Antú Romero Nunes macht aus Verdis selten gespielter Grand Opéra „Les Vêpres siciliennes“ im Münchner Nationaltheater einen apokalyptischen Totentanz.
„Der Tod“, so der Wagner- und Verdi-Kenner Holger Noltze in seinem großartigen „Liebestod“-Buch, „ist der Einschlag in der Weltoberfläche: Wir stehen am Kraterrand und schauen hinein. Genau an diesem Rand, der Leben und Tod trennt, wird aber nicht nur Poesie möglich, sondern auch die Verhandlung von gesellschaftlichen Grundfragen, deren Brisanz so erheblich ist, dass ihre Erörterung ohne den ästhetischen Umweg gar nicht möglich wäre.“ Das ist klug gesagt und klingt wie die Gebrauchsanweisung der jüngsten Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper.
Denn Regisseur Antú Romero Nunes hat Giuseppe Verdis selten gespielte, für Paris komponierte Oper in fünf Akten „Les Vêpres siciliennes“ (Die sizilianische Vesper) auf der Bühne des Nationaltheaters so umgesetzt, dass das Publikum eine Grand Opéra des 19. Jahrhunderts serviert bekommt, also mit Figuren in heillosen Situationen konfrontiert wird, zudem aber auch mit brandaktuellen Problemen und einer Ballettnummer aus der musikalischen Gegenwart: Techno-Klänge bei Verdi, geht das? Natürlich, und wie! Doch der Reihe nach.
Zur Ouvertüre bewegt sich erst einmal nur ein nachtblauer seidener Vorhang. Wenn er fällt, sieht man einen jungen Tänzer in Rettungsweste, der immer noch mit riesigen Wogen aus schwarzer Plastikfolie zu kämpfen hat. Er wird am Ende überleben, aber in was für einer Welt? Lebenswert scheint sie nicht zu sein, denn im hier gegebenen Rückblick – die Handlung spielt auf ein historisches Ereignis auf Sizilien im 13. Jahrhundert an und gipfelt in einem Massaker – sind von Anfang an alle Opfer, auch die Täter. Keiner kann aus seiner von Egoismus, Gewalt, Verrat, Machthunger, Rachegelüsten, Starrsinn und Tod gezeichneten Haut.
Die Männer nicht, und auch nicht die wenigen Frauen, die nichts anderes sind als zweite und spektakuläre Darstellungsebene von gegebenen Unterdrückungsmechanismen und erzwungenen Handlungsoptionen. Liebe hat da keine Chance, ob opernklassisch zwischen Tenor und Sopran, zwischen Bruder und Schwester, Vater und Sohn, Freund und Feind oder als Patriot. Alle wollen das Richtige und tun das Falsche – und umgekehrt.
Der Regisseur und sein Team (abstrakte Bühne: Matthias Koch, anspielungsreiche Kostüme: Victoria Behr, kunstvolles Licht: Michael Bauer) versuchen mit scheinbar einfachen, im Detail aufwändigen Theatermitteln – die Maskenbildnerei verdient ein Sonderlob – zu zeigen, dass in einer fatalistischen Welt die Unterscheidung von Gut und Böse nicht greifen kann. Zu sehen sind fast klassische „lebende Bilder“: große Tableaux mit bewegtem Chor, Statisten und Tänzern, aber immer wieder auch konventionell wirkendes Rampensingen der Hauptfiguren, die aber, wenn sie auf der riesigen schwarzen Bühne allein gelassen dastehen, mit genau jener Energie aufgeladen sind, die einen mitfühlen und begreifen lässt.
Der ästhetische Umweg, den die Inszenierung einschlägt, ist zuweilen riskant. Wenn zwei der vom Bühnenhimmel baumelnden Leichen einen Todestanz vollführen, geht das ebenso ins Geschmäcklerische wie der Clou beim „Hausaltar“ des Besatzers Monfort. Aber viele Bilder haben nicht nur großen Schauwert, sondern wirken nach. Was optisch und akustisch auch für die spektakulärste Ballett-Einlage der Sol Dance Company (Choreographie: Dustin Klein) gilt, die für etwa fünf Minuten den Einbruch von hämmernden Techno-Beats (Sound Interference: Nick & Clemens Prokop) in Verdis Opernmusik bedeutet. Verdi hat das natürlich nicht nötig, aber es macht was her und verortet das ferne Geschehen zusätzlich im Hier und Heute.
Unter den Solisten ragte bei der Premiere am Sonntag der differenziert singende Bariton George Petean als Guy de Montfort heraus, gefolgt von Erwin Schrotts raumfüllendem Procida und der leiseren, aber kunstvolleren Rachel Willis-Sorensen als Hélène. Der Tenor Bryan Hymel ging offenbar angeschlagen in die monströse Partie des Henri und musste im vierten Akt seinem Frosch im Hals Tribut zollen. Leonardi Caimi übernahm vom Bühnenrand her den Gesangspart. Dirigent Omer Meir Wellber meisterte fast alle Situationen und ließ das straff geführte Staatsorchester und die Chöre an den richtigen Stellen aufblühen. Viel Beifall und die scheint’s obligatorischen Buhrufe fürs Regieteam.
Besuchte Premiere am 11. März, weitere Vorstellungen am 15., 18., 22. und 25. März; Karten unter Telefon 089/2185-1920. Kostenloser Livestream im Internet unter www.staatsoper.tv am 18. März ab 18 Uhr.
Erstdruck im Feuilleton des Fränkischen Tags vom 14. März 2018
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