Operndirektorin Aldona Farrugia verabschiedet sich gekonnt mit „Ariadne auf Naxos“ aus Meiningen.
Opern, die das Theater spiegeln, sind keine Rarität. Wenn aber das reale Bühnenleben mit hineinspielt, wird es zumindest pikant. Bei der Neuinszenierung der „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss am Meininger Staatstheater ist das der Fall. Denn sowohl in der Handlung als auch am Theater selbst scheint es hinter den Kulissen ganz schön hoch her zu gehen. Nachdem erst vor über einem Jahr Knall auf Fall Dramaturg Patrick Seibert gegangen wurde, verlässt zum Saisonende nach nur zwei Jahren auch Operndirektorin Aldona Farrugia das Haus. Ihre virtuose Abschiedsinszenierung unterstreicht, was für ein herber Verlust das ist. Und lässt einen fast denken, Intendant Ansgar Haag könnte der anonyme gnädige Herr sein, der die von ihm engagierte Operntruppe damit düpiert, dass in die Tragödie gleichzeitig noch eine Komödie eingebaut werden muss, und zwar so, dass das Feuerwerk rechtzeitig beginnen kann.
Der hingetupfte hochherrschaftliche Hautgout passt zur Inszenierung von Aldona Farrugia wie die Faust aufs Auge. Und es geht schon los, bevor es überhaupt losgeht. Der Vorhang ist von vornherein offen, auf der von Ausstatterin Anja Hertkorn mit ein paar Felsen, Säulen, Stühlen und Meereshintergrund bestückten Bühne tummeln sich Bühnenarbeiter, Assistenten, Inspizienten und sich aufwärmende Solisten, während Bacchus seinen wenig heroischen Anflug aus Göttergefilden probt. Auch beim Vorspiel gibt es ungewohnte Interaktionen – mal von der Souffleuse, mal vom Haushofmeister (Gregor Nöllen), der mit einer Armbrust schwer auf Wilhelm Tell macht und seine braven Kammerdiener sogar ins Publikum scheucht – mit Pralinen, die sich musikalisch im Pausen-Intermezzo in den „Chocolate Drops“ von Iggy Pop wiederfinden.
Bevor der geneigte Leser jetzt fragt, wer Iggy Pop ist und was er in einer Strauss-Oper zu suchen hat, sei versichert: Das, was die Regisseurin als unerwarteten Pausen-Bonus hinzugefügt hat, ist sicher schräg, aber sinnfällig und ungemein unterhaltsam – vom Blockflötensolo übers finnische Poem bis zu Auftritten einer Girls-Group à la Brox Sisters. Alles ist gleichzeitig Entzauberung und Verzauberung, und zwar so gekonnt, dass die bei der Premiere darstellerisch einspringende Regieassistentin Tanyel Bakir als Najade und die kostümiert von der Seite her singende Einspringerin Ani Taniguchi wirkten wie ein Teil der Inszenierung. Auf der Bühne ist über weite Strecken ein derartiges Gewimmel, dass man fast den roten Ariadnefaden verlieren könnte. Aber nur fast. Denn auf die operettenhafte Leichtigkeit des Vorspiels und des Intermezzos folgt in zunehmend reduzierter und wirkungsvoller Ausstattung auch Tiefgang.
Wobei auffällt, dass die Regisseurin ihr Augenmerk auf die weiblichen Protagonisten gerichtet hat. Der gern akzentuierte Zickenkrieg zwischen Zerbinetta und Primadonna bzw. Ariadne steht nicht im Vordergrund. Sondern ein breiteres Spektrum an Schattierungen dessen, was und wie eine Frau sein kann. Lebensbejahend und lebensklug, aber offensichtlich auch verliebt ist Zerbinetta, während die Primadonna nicht so patent und Ariadne zunächst eher depressiv und rückwärtsgewandt erscheint, dann aber ihre Zukunft entschlossen in die Hand nimmt. Wenn das wie in Meiningen nicht nur szenisch, sondern auch musikalisch überzeugend gelingt, ist es das reine Opernglück.
Dafür sorgten bei der Premiere vor allem zwei Gäste und aus dem Ensemble die alternierend ohnehin eingearbeitete, sehr spielfreudige Monika Reinhard als Zerbinetta, die nach ihrer großen Arie im Opernakt zu Recht bejubelt wurde. Auch Michael Siemon war nach zurückhaltendem Beginn als Tenor und Bacchus sängerisch eine Überraschung und glänzte mit Geschmeidigkeit und Strahlkraft. Noch näher an das, was man Erfüllung nennt, kam die dänische Sopranistin Brit-Tone Müllertz als Primadonna und Titelheldin. Sie flutete den Raum förmlich mit ihrer scheint’s grenzenlosen Stimme. Keine Anstrengung nirgends. Dafür eine Fülle des Wohllauts, die unter die Haut geht und die man in einem Opernleben unter Strauss-Heroinen so vielleicht nur ein- oder zweimal erleben darf. Großartig. Unter den weiteren Solisten hervorzuheben sind, weil auch wunderbar wortverständlich, Dae-Hee Shin als Musiklehrer und Siyabonga Maqungo als Brighella.
Die guten bis sehr guten Solistenstimmen kommen in Meiningen auch deshalb so gut zur Geltung, weil die Hofkapelle und ihr GMD Philippe Bach mehr als eine sichere Bank sind: Kammermusik für großes Orchester wird hier zelebriert, gerade im Vorspiel sind die solistischen Qualitäten der Musiker gefragt. Es zahlt sich hörbar aus, dass die Instrumentalisten in dieser Saison unter anderem schon gefordert waren mit György Ligetis „Le Grand Macabre“ (zu einem großartigen szenischen Gastspiel aus Luzern), mit der hauseigenen szenischen Realisierung von Carl Orffs „Carmina Burana“, im Konzertprogramm durch zwei deutsche Erstaufführungen mit Werken von Oliver Waespi und Denis Wright und zum Saisonende noch die selten gespielten „Piraten von Penzance“ von Gilbert & Sullivan vor sich haben. Und als wär’s ein göttliches Geschenk, klingt diese „Ariadne“ nach all der musikalischen Magie aus mit einem veritablen Feuerwerk, das der Haushofmeister gekonnt auf der Bühne entfacht. Großer begeisterter Jubel.
Besuchte Premiere am 13. April, weitere Vorstellungen am 22. und 29. April, 30. Mai, 10. Juni, 5. Juli sowie am 19. und 27. Oktober und 4. November 2018. Infos und Fotos auf der Homepage des Meininger Theaters
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