Szenisch ist der neue „Parsifal“ an der Bayerischen Staatsoper ein Reinfall, musikalisch hingegen ein Glanzlicht. Die Vorstellung vom 8. Juli gibt es kostenlos im Livestream.
Wenn im Vorfeld einer Premiere auch Medien berichten, die sonst mit Oper nichts am Hut haben, muss es was Besonderes sein. Tatsächlich klang es nach einem Besetzungscoup, als Staatsopernintendant Nikolaus Bachler ankündigte, er habe den weltberühmten bildenden Künstler Georg Baselitz als Bühnenbildner für die Neuinszenierung von Richard Wagners „Parsifal“ gewonnen. Das Kalkül ist nicht aufgegangen, weil der über 80-Jährige nur zweidimensionale selbstreferenzielle Flachware geliefert hat.
Schlimmer noch haben die nicht wenigen szenischen Mitarbeiter versagt, die eigens engagiert wurden, um die spärlichen Baselitzschen Bühnenbild-, Kostüm- und Regieideen umzusetzen. Allen voran Regisseur Pierre Audi, der sich jeglicher Interpretation, fast jeglicher eigener Akzente enthält und mit szenischen Arrangements begnügt, die in ihrer Beliebigkeit und Dürftigkeit in der 136-jährigen „Parsifal“-Rezeptionsgeschichte ihresgleichen suchen.
Wenn einem nur in Erinnerung bleibt, wie Gurnemanz Parsifal die Hände vors Gesicht hält, damit er auf seine innere Reise durch Zeit und Raum gehen kann und Parsifal und die Gralsritter am Schluss diese Geste wiederholen, kann man nur sagen: Augen zu und durch! Schon wer die darstellerischen Qualitäten des Staatsopernchors kennt, ist verstört über dessen Statik und Ausdruckslosigkeit. Teilweise sind die von Sören Eckhoff versiert geleiteten Chöre zudem auch musikalisch unbefriedigend, was aber an der misslichen Akustik liegt.
Womit wir wieder beim Bühnenbild wären, das von Christoph Hetzer ins Dreidimensionale gebracht, nein aufgeblasen werden sollte. Neben Vorhängen mit den typischen „Helden“-Figuren von Baselitz, die im Malersaal der Staatsoper mal normal, mal kopfunter ins Riesenhafte vergrößert wurden, sieht man im 1. und 3. Akt zusammengebundene schwarze Stelen und scherenschnittartige Tannenbäume, die lautlos in sich zusammensinken können, was mich merkwürdigerweise nur an die kleinen Rehlein denken ließ, die im Morgensternschen „Gebet“ ihre Zehlein falten.
Doch doch: Die Bühnentechnik gibt alles. Aber ist das genug für Wagners Weltabschiedswerk? Die wichtige offene Verwandlung? Fehlanzeige. Stattdessen ein schwarzer Vorhang und die Gewissheit, dass der eigentliche Maler, der aus dem Graben heraus starke Bilder evoziert, Kirill Petrenko ist. Das Bühnenbild des 2. Akts ist erst recht eine Bankrotterklärung: Das skizzierte Mauerwerk, das sich vorne an der Rampe aufbaut und am Schluss zusammenfällt, ist kein Bühnenbild, sondern eine Zumutung, weil es nicht den geringsten Raum eröffnet und einen sofort nur langweilt: Öd alles!
Als einzige Erkenntnis drängt sich auf, dass die sinkende Mauer offenbar von Hosenträgern gehalten wird, wie sie auch Klingsor trägt. Kostümbildnerin Florence von Gerkan und ihr Mitarbeiter Tristan Sczesny haben die Gralsritter in klobige Mäntel gehüllt und sich ansonsten an den von Baselitz gewollten Nacktkostümen abgearbeitet, die vor allem auch den Schauwert der mit luxuriösen Solistenstimmen besetzten Blumenmädchenszene schwer beschädigen. Ein tieferer Sinn ist darin nicht erkennbar.
Auch die Hauptfiguren bleiben mit zwei Ausnahmen szenisch seltsam blass. An Parsifal fallen einem nur die künstliche Heldenbrust und die Schamkapsel auf, an Kundry die wechselnden Haarfarben und Frisuren – obwohl sowohl Startenor Jonas Kaufmann als auch Star-Heroine Nina Stemme versierte Darsteller sind. Doch so gut sie auch singen, es berührt einen kaum. Nur zwei Sänger machen dank ihrer großen Rollenerfahrung mehr aus dem szenischen Nichts: Christian Gerhaher, der als mit Gehstock bewaffneter Schmerzenskönig Amfortas mit Wahnsinn im Blick an Antony Hopkins’ Gruselrollen erinnert, und René Pape, dessen Gurnemanz eben nicht salbungsvoll langweilt, sondern vielschichtig, auch abgründig ist.
Beide konnten, obwohl Pape bei der Premiere am Donnerstag Höhenprobleme hatte, jenes wagnerische Ideal erreichen, wo Gesang und Sprache sich so natürlich verbinden, ineinander und miteinander fließen, dass die Künstlichkeit des Operngesangs aufgehoben scheint. Was nur mit einem Dirigenten geht, der sich der partiturgenauen Wiedergabe aller dynamischen Nuancen verschrieben hat und den Solisten auch im Leisen Entfaltungsmöglichkeiten gibt, die atemberaubend schön und wahrhaftig sind. Das Staatsorchester folgt Kirill Petrenko, auch was das eher zügige Grundtempo betrifft, das die langsamen Passagen umso markanter macht, mit Hingabe. Verdienter großer Jubel für die musikalische Seite des Abends, deutliche Buhrufe für die Szeniker.
Besuchte Premiere am 28. Juni 2018, Erstveröffentlichung der Kritik am 30. Juni im Feuilleton des Fränkischen Tags. Die „Parsifal“-Vorstellungen im Rahmen der Münchner Opernfestspiele sind ausverkauft, weitere Aufführungen unter Kirill Petrenko mit teils anderen Solisten folgen im März 2019. Am 8. Juli wird dieser „Parsifal“ um 17 Uhr auf www.staatsoper.tv live und kostenlos übertragen.
P.S. Da ich das Gedicht „Das Gebet“ in der Druckversion fälschlicherweise Joachim Ringelnatz und nicht Christian Morgenstern zugeschrieben habe, sei es hiermit in Gänze in Erinnerung gebracht:
Christian Morgenstern: DAS GEBET
Die Rehlein beten zur Nacht,
hab acht!
Halb neun!
Halb zehn!
Halb elf!
Halb zwölf!
Zwölf!
Die Rehlein beten zur Nacht,
hab acht!
Sie falten die kleinen Zehlein,
die Rehlein.
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