Herz, Schmerz und viel Hormone

Jens-Da­ni­el Her­zog und ein be­stechend jun­ges und be­weg­li­ches So­lis­ten­en­sem­ble brin­gen in Nürn­berg Mo­zarts „Così fan tut­te“ mit groß­ar­ti­gem Kör­per­thea­ter auf den Punkt.

Im gül­de­nen „Così“-Container geht es hoch her: Sze­ne mit Mar­tin Platz und Ju­lia Grü­ter (links), An­dro­mahi Rap­tis, Ami­ra El­mad­fa und De­nis Milo (rechts). Foto: Lud­wig Olah

Die zwei­ak­ti­ge ko­mi­sche Mo­zart-Oper „Così fan tut­te“ (So machen’s alle) lässt sich  brand­ak­tu­ell, his­to­ri­sie­rend und zeit­los, ernst, hei­ter und so­gar kri­tisch-böse in­sze­nie­ren. In Nürn­berg hat Jens-Da­ni­el Her­zog eine Ver­si­on er­ar­bei­tet, die nie­mand ver­pas­sen soll­te. Denn dank ei­ner ex­zel­len­ten, auf­fal­lend jun­gen und be­weg­li­chen So­lis­ten­rie­ge kann er den Fo­kus auf so viel Kör­per­lich­keit le­gen, dass ei­nem fast angst und ban­ge wird.

„Die Schu­le der Lie­ben­den“ un­ter­ti­tel­ten Wolf­gang Ama­de­us Mo­zart und sein kon­ge­nia­ler Li­bret­tist Lo­ren­zo da Pon­te die­se ihre Ver­suchs­an­ord­nung über die Treue be­zie­hungs­wei­se Treu­lo­sig­keit von Frau­en und Män­nern. Zwar ist das Sub­jekt im ita­lie­ni­schen Ori­gi­nal­ti­tel gram­ma­ti­ka­lisch ein­deu­tig weib­lich, aber na­tür­lich be­trifft das die Her­ren der Schöp­fung ge­nau so, um nicht zu sa­gen noch viel mehr.

Zu­mal, wenn sie so tes­to­ste­ron­ge­steu­ert sind wie hier! Was schon am Spiel­ort (Büh­ne und Kos­tü­me: Ma­this Neid­hardt) ab­les­bar ist. Wir be­fin­den uns zu Be­ginn mit­nich­ten in ei­nem Café im Nea­pel des aus­ge­hen­den 18. Jahr­hun­derts, son­dern in ei­ner nicht klar de­fi­nier­ten Mi­schung aus Ta­gungs­ho­tel und Fern­seh­stu­dio, wo die Ak­teu­re für eine Con­tai­ner­show zu­sam­men­kom­men: Es gilt, vier jun­ge Lie­ben­de zu de­mon­tie­ren – vor al­ler Augen.

Ta­gungs- bzw. Spiel­lei­ter Don Al­fon­so (aus­drucks­stark: Won­yong Kang) kriegt von den zwei männ­li­chen Prot­ago­nis­ten gleich mal was auf die Nase. Schließ­lich sind Gu­gliel­mo und Fer­ran­do kei­ne ab­ge­ho­be­nen Kunst­fi­gu­ren, son­dern jun­ge Män­ner aus Fleisch und Blut, die vor Lie­bes­ei­tel­keit und Be­sit­zer­stolz nur so vi­brie­ren. Dass ihre An­ge­be­te­ten was Be­son­de­res sind, fin­den Fior­di­li­gi und Do­ra­bel­la sel­ber auch: De­ren  her­ab­las­sen­de At­ti­tü­de ge­gen­über De­spi­na, der As­sis­ten­tin des Show­mas­ters, spricht Bände.

Da­bei ist die nicht nur ein biss­chen di­rekt und prol­lig. Als Sprit­zen­dok­tor mit Blau­licht und Win­kel­ad­vo­kat gibt sie rol­len­ge­recht die ko­mö­di­an­ti­sche Knall­char­ge, als quir­li­ge Her­rin der Re­qui­si­ten­kam­mer ist sie un­ver­zicht­bar. All das be­wäl­tigt die So­pra­nis­tin An­dro­mahi Rap­tis mit so viel ar­tis­ti­schem Kön­nen, dass man nur staunt, wenn sie schein­bar ne­ben­bei auch noch so erst­klas­sig singt. Eine Wucht!

De­nis Milo als Gu­gliel­mo und Mar­tin Platz als Fer­ren­do sin­gen groß­ar­tig und sind eben­falls in kör­per­sprach­li­chem Groß­ein­satz. Sie ma­chen die Pro­be aufs Treue-Ex­em­pel als tür­ki­sche Gangs­ta-Rap­per ver­klei­det, was schon des­halb ganz schön böse ist, weil die an­geb­lich fei­nen Da­men letzt­lich halt auch auf die­se Ty­pen rein­fal­len, die sich öf­ter in den Schritt fas­sen und noch lie­ber fas­sen lassen.

Gast­so­lis­tin Ami­ra El­mad­fa als Pre­mie­ren-Do­ra­bel­la macht in je­der Hin­sicht eine gute Fi­gur. Und Ju­lia Grü­ter sieht man eine klei­ne Schwä­che in den tiefs­ten Tö­nen ger­ne nach, weil sie in die Stim­me ih­rer Fior­di­li­gi so viel kost­ba­re Leich­tig­keit, Na­tür­lich­keit und Wär­me legt, dass man süch­tig da­nach wer­den könn­te und sich schon auf ihre kom­men­den Par­tien freut.

Merk­wür­di­ger­wei­se bei­ßen sich das zu­wei­len def­ti­ge Kör­per­thea­ter und die un­ge­schminkt heu­ti­gen Über­ti­tel nicht mit den im­mer wie­der über­ir­disch schö­nen und durch die Bank vor­züg­lich ge­sun­ge­nen Ari­en, Kavati­nen, Du­et­ten, Ter­zet­ten, Quar­tet­ten, Quin­tet­ten und Sex­tet­ten. Im Ge­gen­teil: Ge­ra­de weil die jun­gen Leu­te nicht nur von Herz und Schmerz sin­gen, son­dern sicht­lich von ih­ren Hor­mo­nen ge­beu­telt sind, wir­ken sie trotz al­ler Ver­wick­lun­gen und ko­mö­di­an­ti­schen Un­mög­lich­kei­ten glaubhaft.

Zu­mal der Re­gis­seur weiß, wann sze­nisch Ruhe an­ge­sagt ist. Selbst der sonst ger­ne auf­ge­setzt wir­ken­de Chor (Ein­stu­die­rung: Tar­mo Vaask) ist in die­ser In­ter­pre­ta­ti­on kei­ne Ne­ben­sa­che. So wie der in­sze­nie­ren­de Staats­in­ten­dant ihn führt, hat er eine dra­ma­tur­gi­sche Funk­ti­on, die die Zu­schau­er al­ler­dings auch dann ka­pie­ren wür­den, wenn das zei­ge­fin­ger­haf­te Saal­licht und die all­zu bil­li­ge  Möch­teg­ern­tra­gik ge­gen Ende ausblieben.

Di­ri­gent Lutz de Veer ver­sucht im Gra­ben mit der Staats­phil­har­mo­nie den Spa­gat zwi­schen his­to­risch ori­en­tier­ter und mo­der­ner Auf­füh­rungs­pra­xis, setzt ne­ben dem heu­ti­gen In­stru­men­ta­ri­um mit den Trom­pe­ten und der Pau­ke auch His­to­ri­sches ein. An die mu­si­ka­li­sche Qua­li­tät der für mich un­er­reich­ten Nürn­ber­ger „Figaro“-Vorstellungen un­ter Pe­ter Til­ling in 2015 mit den auch traum­wand­le­risch na­tür­li­chen Re­zi­ta­ti­ven kommt die mu­si­ka­li­sche In­ter­pre­ta­ti­on noch nicht ganz her­an. Aber was bei der an­hal­tend ge­fei­er­ten Pre­mie­re am Sams­tag nicht war, kann ja noch werden.

Erst­druck im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags vom 27. Fe­bru­ar 2019. Be­such­te Pre­mie­re am 23.2.2019, wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 1., 3., 7., 24. und 30. März; 7., 15. und 28. April; 14., 22. und 24. Mai so­wie am 1. und 10. Juni 2019. Kar­ten un­ter Te­le­fon 0180-1344276


Mar­tin Platz (Fer­ran­do), De­nis Milo (Gu­gliel­mo), Won­yong Kang (Don Al­fon­so) und die quir­li­ge An­dro­mahi Rap­tis (De­spi­na) Foto: Lud­wig Olah

 

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