Plakativ, gewalttätig und laut

Jens-Da­ni­el Her­zog schei­tert kra­chend an Giu­sep­pe Ver­dis „Don Car­los“. Und selbst die zu Recht ge­hyp­te Di­ri­gen­tin Jo­a­na Mall­witz kommt nicht un­fall­frei durch den Abend.

Die Hoch­zeits­sze­ne of­fen­bart, wie bra­chi­al Kö­nig Phil­ipp II. (et­was ver­deckt, mit der größ­ten Mas­ke: Ni­ko­lai Kar­nol­sky) die Jung­fräu­lich­keit sei­ner Braut Eli­sa­beth (in wei­ßer Robe: Emi­ly New­ton) prüft, die ei­gent­lich sei­nem Sohn Don Car­los (knie­end: Ta­de­usz Szlen­kier) ver­spro­chen war. Foto: Lud­wig Olah 

Wer wis­sen will, was ein wasch­ech­tes Büh­nen­tier ist, der darf die nächs­te Vor­stel­lung der Ver­di-Oper „Don Car­los“ am Staats­thea­ter Nürn­berg nicht ver­säu­men. Denn nur noch am 8. Ok­to­ber tritt als Prin­zes­sin Ebo­li die Mez­zo­so­pra­nis­tin Raehann Bryce-Da­vis auf, die als Gast für zwei Auf­füh­run­gen die Par­tie über­nom­men hat – und ein­fach um­wer­fend, ja ein sän­ger­dar­stel­le­ri­sches Na­tur­er­eig­nis ist.

Wahr­schein­lich ist auch En­sem­ble­mit­glied Mar­ti­na Dike, die sonst die Ebo­li singt, von die­sem Ka­li­ber. Was aber nur hei­ßen kann, dass bei der be­such­ten zwei­ten Vor­stel­lung lei­der alle an­de­ren So­lis­ten deut­lich we­ni­ger über­zeu­gend rü­ber­ka­men. Und das wie­der­um ist größ­ten­teils der ori­gi­nell sein wol­len­den Neu­in­sze­nie­rung von Haus­herrn Jens-Da­ni­el Her­zog anzulasten.

Na­tür­lich ehrt es den Re­gis­seur, dass er Ideen aus sei­nen vor­he­ri­gen In­sze­nie­run­gen die­ser Oper in Mann­heim und Dort­mund nur spar­sam re­cy­clet hat. Son­dern ver­su­chen woll­te, sze­ni­sche Fun­ken aus der ge­kürz­ten, aber fünf­ak­ti­gen Fas­sung zu schla­gen, die sich we­sent­lich auf Ver­dis 1882 in­iti­ier­te Neu­fas­sung von „Don Car­los“ in fran­zö­si­scher Spra­che bezieht.

Die­se fünf­ak­ti­ge Ver­si­on – schon Ver­di selbst soll ins­ge­samt sie­ben Fas­sun­gen er­ar­bei­tet ha­ben – ent­hält das Fon­taine­bleau-Bild zu Be­ginn, um das Ver­di die Vor­la­ge von Fried­rich Schil­ler er­wei­tert hat und das die Lie­bes­ge­schich­te zwi­schen dem Ti­tel­hel­den und Eli­sa­beth von Va­lo­is plau­si­bler macht. Aber lei­der hat Her­zog auch die von Ver­di nicht über­nom­me­ne In­fan­tin eingebracht.

War­um muss un­be­dingt eine Sta­tis­tin im Grund­schul­al­ter il­lus­trie­ren, wie Macht Men­schen kor­rum­piert? Las­sen sich die da­mit ver­bun­de­nen Gräu­el noch bes­ser ver­kau­fen, wenn sie nicht nur vor den Au­gen ei­nes Kin­des pas­sie­ren, son­dern schließ­lich so­gar von ihm aus­ge­hen? Dass der Re­gis­seur sei­ne Toch­ter Ot­ti­lie auf die Büh­ne schickt (ne­ben der schon in „Ma­dama But­ter­fly“ ein­ge­setz­ten Jana Beck), macht die Sa­che nicht we­ni­ger fragwürdig.

All­zu kli­schee­haft, plump und teils auch wi­der­sin­nig  prä­sen­tiert Her­zog die Fi­gu­ren der Hand­lung – und be­raubt sie schon da­durch al­ler Glaub­wür­dig­keit. Der Ti­tel­held auf sei­nem grü­nem Ses­sel ist und bleibt ein Couch-Po­ta­to (auch stimm­lich über­for­dert: Ta­de­usz Szlen­kier), Kö­nig Phil­ipp II. (Ni­co­lai Kar­nol­sky) ist ein ein­glei­sig grau­sa­mer Po­ten­tat, der ger­ne sel­ber mor­det und kei­ne emo­tio­na­le Fall­hö­he mehr hat.

Der Groß­in­qui­si­tor (Ta­ras Ko­no­sh­chen­ko) kommt als Ma­fio­so rü­ber und Frei­heits­kämp­fer Mar­quis von Posa (der ein­zi­ge So­list, der un­an­ge­strengt und gut fran­zö­sisch singt: Sang­min Lee) hat als At­tri­but sei­nen Bom­ben­kof­fer. Den bei­den Frau­en – Eli­sa­beth (Emi­ly New­ton) und Ebo­li – geht es nur in­so­fern bes­ser, als sie im­mer­hin glaub­haf­ter Ge­füh­le ha­ben dür­fen. Aber in ers­ter Li­nie sol­len sie, ob frei­wil­lig oder nicht, die Bei­ne breit machen.

Um Miss­ver­ständ­nis­sen vor­zu­beu­gen: Am spa­ni­schen Hof um das Jahr 1600 ist es schon dank der In­qui­si­ti­on furcht­bar zu­ge­gan­gen. Aber das recht­fer­tigt nicht eine Re­gie, die den Kern des Dra­mas ne­giert und nur dem Re­gie­thea­ter-Zeit­geist hin­ter­her­läuft. Was sich un­ter an­de­rem in den Kos­tü­men von Si­byl­le Gä­de­ke spiegelt.

Pa­pier­mas­ken am Ste­cken, Kar­ne­vals­kos­tü­me, Kon­fet­ti­re­gen und Luft­bal­lons fürs Volk sind satt­sam be­kannt. Wenn der In­sze­na­tor ne­ben un­mo­ti­vier­ter Ge­walt­dar­stel­lung als pro­ba­tes Mit­tel nur noch den Kos­tüm­wech­sel der Haupt­fi­gu­ren kennt, ist das eine Bank­rott­erklä­rung und stellt bes­ten­falls die sze­ni­sche Ge­dan­ken­frei­heit in Frage.

Wo­mög­lich birgt die­se Um­set­zung so­gar mu­si­ka­li­sches Un­heil. Denn ähn­lich wie schon bei der Spiel­zeit­pre­mie­re vor ei­nem Jahr könn­te das schnell wan­del­ba­re Büh­nen­bild von Ma­this Neid­hardt – Holz­ver­tä­fe­lun­gen wech­seln ab mit fast kli­nisch wei­ßen Wän­den, die zum Teil sehr weit vor­ne ste­hen – akus­tisch im­mer wie­der Pro­ble­me verursachen.

An­ge­sichts des zu­wei­len knal­lig lau­ten Or­ches­ter­klangs, der selbst hoch­so­li­de Sän­ger in Ver­le­gen­heit bringt, fragt sich, ob es im Nürn­ber­ger Opern­haus nicht ei­nen Zu­sam­men­hang gibt zwi­schen be­stimm­ten Büh­nen­bild­po­si­tio­nen und der Kla­ge über zu viel Laut­stär­ke aus dem Gra­ben. Schon Mar­cus Bosch, der Vor­gän­ger der jet­zi­gen Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­to­rin, hat­te im­mer wie­der da­mit zu kämpfen.

Es gibt also viel zu tun für Jo­a­na Mall­witz, die zwar auch in die­ser Pro­duk­ti­on ihre ei­ge­ne und un­ver­wech­sel­ba­re Hand­schrift zeigt, aber es hör­bar nicht schafft, den Sän­gern durch­gän­gig die Ent­fal­tungs­mög­lich­kei­ten zu ge­ben, die sie für ei­nen gu­ten Ver­di-Abend brauchen.

Pre­mie­re am 29. Sep­tem­ber, be­such­te zwei­te Vor­stel­lung am 4. Ok­to­ber. Wei­te­re Auf­füh­run­gen am 8., 13., 20. und 30. Ok­to­ber so­wie am 1., 4., 7., 11., 16. und 22. No­vem­ber. Ti­ckets un­ter Te­le­fon 0180/1344-276, wei­te­re In­fos auf der Home­page des Staats­thea­ters.

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