Ratlos unter der Zirkuskuppel

Car­lus Ped­ris­sa von La Fura dels Baus zeigt im Münch­ner Na­tio­nal­thea­ter ver­blüf­fen­de Bil­der und vir­tuo­se Ef­fek­te, aber Ernst Kren­eks Oper „Karl V.“ bleibt auf der Strecke.

Bo Skov­hus als Karl V. (lie­gend), der Schau­spie­ler Ja­nus Torp als des­sen Beicht­va­ter Juan de Re­g­la so­wie das Staats­bal­lett in akro­ba­ti­schem Ein­satz à la Fura dels Baus. Foto: Wil­fried Hösl

Kön­nen sich rund 2100 Zu­schau­er ir­ren? Da steht mit Ernst Kren­eks „Karl V.“ ein sel­ten ge­spiel­tes, durch­aus sper­ri­ges, 1938 in Prag ur­auf­ge­führ­tes Mu­sik­thea­ter­stück erst­mals seit 1965 wie­der auf dem Pro­gramm der Baye­ri­schen Staats­oper und das Pre­mie­ren­pu­bli­kum ist am Ende hör­bar be­geis­tert. Doch wie weit geht die­ser ein­hel­li­ge Zu­spruch? Wür­den die­sel­ben Men­schen sich noch­mals Kar­ten  für die Pro­duk­ti­on kau­fen? Ver­mut­lich nicht.

Al­les nur Spe­ku­la­ti­on, dürf­te jetzt Staats­opern­in­ten­dant Ni­ko­laus Bach­ler kon­tern und wo­mög­lich so­gar von ei­nem Run auf die Kar­ten der nächs­ten Vor­stel­lun­gen spre­chen kön­nen. Denn zwei­fel­los ist die In­sze­nie­rung ein Event der Spit­zen­klas­se: ein Hin­gu­cker im Mu­sen­tem­pel an der Münch­ner Ma­xi­mi­li­an­stra­ße, wo Mün­chen be­kannt­lich be­son­ders lu­xu­ri­ös leuch­tet. Das muss man ge­se­hen ha­ben, wenn man mit­re­den will.

Ach, Au­gen­men­schen las­sen sich ger­ne füt­tern! Der Auf­wand an Mensch und Ma­te­ri­al ist im­mens. Ne­ben drei­zehn Ge­sangs­so­lis­ten und ei­nem Schau­spie­ler, ne­ben dem Chor und der Sta­tis­te­rie, die reich­lich wir­kungs­los auch die Par­kett­rei­hen en­tert, tum­melt sich noch das Opern­bal­lett in ar­tis­ti­schem Ein­satz auf der Büh­ne – wo üb­ri­gens al­les un­ter ein paar Zen­ti­me­ter Was­ser steht, ohne dass ein­leuch­tet, war­um (In­sze­nie­rung, Büh­ne: Car­lus Ped­ris­sa; Büh­ne, Kos­tü­me, Vi­deo­kon­zept: Lita Cabellut).

Dazu gibt es jede Men­ge Feu­er (Spe­zi­al­ef­fek­te: Tho­mas Bau­ten­ba­cher), vir­tuo­se Pro­jek­tio­nen, Spie­ge­lun­gen und Licht­ef­fek­te bis hin­auf zum Pla­fond, als stün­de das Na­tio­nal­thea­ter am Ca­nal Gran­de. Nicht zu ver­ges­sen die zir­zen­si­schen Sen­sa­tio­nen: Die Tän­zer fun­gie­ren wie ein mensch­li­ches Mo­bi­le, bau­en bau­melnd al­ler­lei kunst­fer­ti­ge Fi­gu­ren und wer­den scheint’s naht­los in Vi­deo­bil­der ein­ver­leibt, so dass man sich stau­nend die Au­gen reibt.

Nur die Ge­schich­te bleibt auf der Stre­cke. Dass Karl V. –  je­ner spa­ni­sche Habs­bur­ger­kai­ser, in des­sen Reich die Son­ne nie un­ter­ging – vor ei­nem jun­gen Mönch eine Art Le­bens­beich­te mit vie­len Rück­blen­den ab­legt, ka­piert man noch. Aber war­um sein Plan, ein gro­ßes christ­li­ches Welt­reich zu schaf­fen, letzt­lich ge­schei­tert ist, ver­steht man schon nicht mehr, ob­wohl in dem so be­zeich­ne­ten Büh­nen­werk mit Mu­sik in zwei Tei­len auf­fal­lend viel  ge­spro­chen wird.

Dass es hier um Welt­macht­stre­ben, na­tio­na­lis­ti­sche Be­we­gun­gen und po­li­ti­schen Op­por­tu­nis­mus ge­hen soll, also brand­ak­tu­el­le The­men, teilt sich nicht mit. Denn Car­lus Ped­ris­sa und sein ein­falls­rei­ches Team sind zwar auf Über­wäl­ti­gung aus, lie­fern aber nur spek­ta­ku­lä­re Ober­flächrei­ze. Das ist eine Mu­si­cal­i­sie­rung der Oper. Die op­ti­sche Fül­le kann nicht über­tün­chen, dass eine in­halt­li­che Durch­drin­gung der Fi­gu­ren nicht statt­fin­det: Hilf­lo­se Ram­pen­oper statt Personenführung.

Schlim­mer noch ma­chen die an sich phan­ta­sie­vol­len Kos­tüm­schöp­fun­gen – alle, ver­steht sich, aus was­ser­fes­ter Gum­mi­haut – die Fi­gu­ren zu­sätz­lich klein. Franz I. mit sei­ner Hah­nen­kamm­kro­ne kann ernst­lich nie­mand ernst neh­men. Und Karls fünf­tei­li­ger Kopf­putz, eine merk­wür­di­ge Mi­schung aus gel­ber Kro­ne und Zopf­fri­sur, de­gra­diert den Ti­tel­hel­den eher zu ei­ner Co­mic­fi­gur, mit der ober­leh­rer­haft sti­li­sier­ten Uhr auf sei­nem Outfit.

Je­der ka­piert, dass sei­ne Zeit ab­ge­lau­fen ist. Aber be­rührt die­ser Karl ei­nen auch? Wur­de Bo Skov­hus in der Ti­tel­rol­le bei der Pre­mie­re am Sonn­tag nicht eher des­halb be­ju­belt, weil alle im Saal sei­ne be­wun­derns­wer­te sän­ge­ri­sche Leis­tung wür­di­gen woll­ten, die ihn durch­aus auch an sei­ne Gren­zen ge­bracht hat? Fra­gen über Fra­gen, die der Akro­ba­ten- und Bil­der­zir­kus von Car­lus Ped­ris­sa aufwirft.

Frag­los ta­del­los, nein groß­ar­tig ist die mu­si­ka­li­sche In­ter­pre­ta­ti­on auch der wei­te­ren So­lis­ten, Cho­ris­ten und Or­ches­ter­mu­si­ker un­ter der Lei­tung von Erik Niel­sen. Der ame­ri­ka­ni­sche Di­ri­gent, der da­mit sei­nen Ein­stand in Mün­chen gab, lässt die­se ers­te Zwölf­ton­oper der Mu­sik­ge­schich­te so trans­pa­rent und far­big klin­gen, dass auch et­wa­ige Angst­ha­sen im Au­di­to­ri­um schnell aus ih­rer Schock­star­re ge­holt wer­den und in den sän­ge­ri­schen In­ter­vall­sprün­gen war­me Li­ni­en ent­de­cken können.

In der In­sze­nie­rungs­ge­schich­te dürf­te die ak­tu­el­le Münch­ner Pro­duk­ti­on mit der auf­rei­zen­den Band­stim­me von Mecht­hild Groß­mann, der Staats­an­wäl­tin aus dem Müns­te­ra­ner „Tat­ort“, die spek­ta­ku­lärs­te sein. Ob und wie lan­ge sie sich im Re­per­toire hält, sei da­hin­ge­stellt. Ganz am Ende, beim Kos­tüm­ver­kauf, wer­den die be­mal­ten Gum­mi­haut­kos­tü­me rei­ßen­den Ab­satz und ga­ran­tiert nicht nur im Münch­ner Fa­sching ih­ren Ein­satz finden.

Erst­ver­öf­fent­li­chung am 15. Fe­bru­ar im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags. Be­such­te Pre­mie­re am 10. Fe­bru­ar 2019, wei­te­re Vor­stel­lun­gen 16., 21. und 23. Fe­bru­ar so­wie am 14. Juli bei den Opern­fest­spie­len 2019. Kar­ten un­ter Te­le­fon 089/2185-1920. Kos­ten­lo­ser Live­stream un­ter www.staatsoper​.tv am 23. Fe­bru­ar ab 19 Uhr.

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