Hans von Bülow war der erste genuine Pultstar, der die Orchester zu seinem Instrument machte. Am 12. Februar 1894 starb er in Kairo.
Hans Guido Freiherr von Bülow war kein herkömmlicher Kapellmeister, sondern der erste moderne Maestro. Was sich spätestens 1865 abzeichnete, als Richard Wagner – der berufliche Stern und private Unstern seines Lebens – ihn als Spezialisten für die „Tristan“-Uraufführung durch Ludwig II. nach München rufen ließ. Zehn Wochen nach der Premiere, die Bülow auswendig dirigiert hatte, schrieb Wagner dem König: „Sterbe ich heute, so ist Hans von Bülow der Einzige, dem ich die Aufführung meiner Werke übergeben kann. Ausser mir verstehnt keiner so zu dirigieren.“
Wofür Wagner durchaus etwas konnte. Denn er war nicht nur als Komponist „die größte künstlerische Erscheinung unseres Jahrhunderts“ für den jungen Liszt-Adepten. Der als Pianist brillierende und als Komponist eher dilettierende Hans von Bülow zählte im März 1851 zu den Besuchern eines Abonnementkonzerts in Zürich, das Wagner dirigierte. Seinem Vater berichtete er enthusiastisch: „Ein Wunder hat er bewirkt, unbegreiflich, großartig und hinreißend, und das Orchester folgte, genial im Parieren.“ Orchestermusiker dazu zu bringen, die durch Dirigiergesten übermittelten musikalischen Intentionen interpretatorisch kongenial umzusetzen, sollte ihm in seiner Karriere später beispielhaft gelingen – mit der Meininger Hofkapelle, die er mit endlosen Proben und Unnachgiebigkeit von 1880 bis 1885 zu einem überall bewunderten Elite-Klangkörper formte, und als erster Chefdirigent der Berliner Philharmoniker 1887 bis 1893.
Dass er, drastisch formuliert, auch ein Kotzbrocken war, hatte mit seiner unglücklichen Kindheit ebenso zu tun wie mit seiner schwachen körperlichen Konstitution. Auf seine streitsüchtigen Eltern und das, was ihm mit den damals als Erziehungsmittel üblichen Prügeln eingebläut wurde, reagierte er mit Anfällen von Hirnhautentzündung. Norman Lebrecht beschreibt die Folgen so: „Abwechselnd unterwürfig und herrisch, bescheiden und hochmütig, sentimental und sadistisch, verkörperte er den Widerstreit zweier Seelen und damit das Dilemma aller zukünftigen Dirigenten. Ihre kollektive Unsicherheit und ein Großteil der mythischen Aura sind bereits in Bülows widersprüchlichem, bärbeißigen Charakter angelegt.“
1868 dirigierte er die „Meistersinger“-Uraufführung in München und bescherte dem Mann, der ihm Ehefrau Cosima abspenstig gemacht hatte, den größten Premieren-Erfolg seines Lebens. Im Jahr darauf beschreibt Wagner eine Beethoven-Interpretation Bülows als „ein großes Kunstwerk durch ein großes Temperament gehört. Das machte ihn einzig, das macht jeden Vergleich mit jedem anderen Dirigenten so lächerlich. Die anderen sind gute, vortreffliche, ausgezeichnete Kapellmeister; er war er selbst, war eben Bülow, und wirkte deshalb nicht durch erlernte oder erfühlte Reize, sondern immer durch seine Persönlichkeit, die in dem Rahmen des musikalischen Gedichtes, und weit oft über diesen Rahmen hinaus, sich regte und rührte, um im Fremden Besitz doch ein Schöpfer zu sein.“ Das große Temperament, das sich selbst immer als „Taktstock Wagners“ vorstellte, ist am 12. Februar 1894 beim Genesungsurlaub in Kairo an einem nicht erkannten Hirntumor gestorben.
Erstveröffentlichung auf https://www.takt1.de/
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