Musikalisch hat die Neuinszenierung von Richard Wagners „Lohengrin“ unter Joana Mallwitz am Staatstheater Nürnberg Suchtpotenzial. In einem schlüssigen Bühnenbild setzt Regisseur David Hermann eine leider absurde und abwegig parodistische Interpretation um.
Nicht nur an der Noris gibt es einen Hype um Joanna Mallwitz, die neue Generalmusikdirektorin – und er hat seine Berechtigung, wie ihr aktuelles Dirigat von Richard Wagners „Lohengrin“ zeigt. Die 32-jährige Maestra setzt konsequent auf Tempo, auf einen unpathetischen musikdramatischen Fluss, der selbst in den kostbar fragilen und schwebenden Tönen erfahrbar wird. Das ist ein herausragendes Musikerlebnis, auch dank einiger bemerkenswerter Sängerleistungen.
Über die Inszenierung von David Hermann, der bei der Premiere heftige Buhrufe kassierte, lässt sich nach der besuchten zweiten Vorstellung ähnlich Positives nicht sagen. Zwar muss sich niemand nirgends langweilen, sprich: der inzwischen international gefragte deutsch-französische Regisseur, der vor zehn Jahren mit Donizettis letzter Oper „Dom Sebastien, roi de Portugal“ in Nürnberg debütierte, versteht sein Handwerk.
Aber sein Konzept ist sowohl ästhetisch als auch inhaltlich fragwürdig. Schon dass Wotan (den Ortrud als „Wodan“ lautstark anruft) und Parzival (den Lohengrin in dieser Schreibweise in seiner Gralserzählung am Schluss erwähnt) in seiner Interpretation mitspielen, verweist darauf, dass er und sein Team weit über Wagners Handlung hinausgehen. Das Problem ist nur, dass unklar bleibt, warum sie das tun.
Uneingeschränkt gelungen sind Bühnenbild und Licht von Jo Schramm. Der abstrakte Stangenwald ist sehr beweglich und durchlässig, schafft spielerisch die unterschiedlichsten Räume, verengt sich mal zu einer schmalen Allee, spult sich weit aus, wirkt mal wie ein Gefängnis, dann wieder endlos groß. Beeindruckend die archaischen Fahrzeuge und der abgestorbene Baum des 2. Akts als eine Mischung zwischen Weltesche und Gerichtseiche. Nur die Orgelpfeifen im 2. Akt sind zu konkret, ja überflüssig.
Dass letzteres ironisch gemeint sein mag, unterstreichen die zwischen den Zeiten vagierenden Kostüme von Katharina Tasch. Die Brabanter sehen aus, als wären sie gaaanz wilde Germanen, die Entourage des Königs kommt daher wie die Ritter der Kokosnuss, kunsthaarglänzende Pagenköpfe inklusive, und die sonnenbebrillten roten Gralsritter, die schon in der Ouvertüre auftreten, sind eine merkwürdige Mischung aus Glöckner von Notre Dame und Superman.
Dass die präzise und durchaus eindrücklich geführten Figuren aus einer Opernparodie oder aus einem Comic stammen könnten, schafft eine Distanz, die verhindert, dass die Zuschauer mit den Figuren mitfühlen oder sich gar in ihnen wiederfinden – besonders im 3. Akt, dessen Vorspiel mit dem fressenden und saufenden Wotan samt Walküren bebildert wird, sodann in eine nur peinliche Brautgemachszene mündet und schließlich alles ad absurdum führt, indem der Parzival-Darsteller den getöteten Telramund wiedererweckt und als neuen Machthaber installiert.
Warum schickt Parzival Lohengrin überhaupt auf Mission, wenn er am Ende, was so natürlich nicht im Libretto steht, dafür sorgt, dass Telramund und Ortrud, also die hier einzig authentisch wirkenden Bösen, obsiegen? Ist das jetzt nur eine Inszenierung für Kenner, die einen schrägen Blick zu schätzen wissen? Was erfahren Neulinge? Dass es in „Lohengrin“ um den Antagonismus von Christen und Heidentum geht? Um Vaterfiguren, die nicht loslassen können und sich einmischen?
Jenseits der eher abseitigen Fragen, die diese Interpretation der Frageverbots-Oper auslöst, bleiben große sängerdarstellerische Leistungen und Wagners „Lohengrin“-Musik, die auf einem Niveau aufgeführt wird, dass sich die Fahrt nach Nürnberg nicht nur einmal lohnt. Schon allein einen Telramund zu erleben, der so viele stimmliche Ausdrucksnuancen zur Verfügung hat wie Sangmin Lee, ist ein seltenes Ereignis.
Eric Laporte als Lohengrin kann seinem Gegenspieler zwar darstellerisch nicht das Wasser reichen, aber er meistert die Partie im Lyrischen wie in den heldischen Passagen eindrucksvoll. Stimmlich sind auch König Heinrich mit Nicolai Karnolsky (alternierend: Karl-Heinz Lehner) und der Heerrufer mit Daeho Kim gut besetzt, bleiben aber ebenso wie der Titelheld machtlos gegen die sie verkleinernden Kostüme. Martina Dike ist eine rundherum bezwingende Ortrud, während die mimisch großartige und mutige Emily Newton als Elsa sängerisch zuweilen an ihre Grenzen stößt.
Die von Tarmo Vaask pointiert einstudierten Chöre dürfen an den richtigen Stellen auftrumpfen, die Staatsphilharmonie Nürnberg klingt, was an ein Wunder grenzt, nie zu laut, die Balance zwischen Orchester- und Gesangsstimmen, die grandiosen Steigerungen und Raumklangeffekte gelingen vorzüglich. Was damit zu tun hat, dass der Zugang von Dirigentin Joana Mallwitz auf sehr gründlicher Analyse fußt. Bei ihr kann man zum Beispiel hören, wie Wagner im Vorspiel in den Streichern und Bläsern zwei unterschiedliche Melodielinien gleichzeitig zusammengeflochten hat, ohne dass eine der beiden untergeht. Ja, musikalisch hat der Nürnberger „Lohengrin“ Suchtpotenzial.
Premiere am 12. Mai, besuchte zweite Vorstellung am 19. Mai, Erstdruck im Feuilleton des Fränkischen Tags. Weitere Vorstellungen am 30. Mai, am 2., 8. 16. und 29. Juni sowie am 7. und 14. Juli. Tickets unter Telefon 0180/1344-276, zusätzliche Infos auf der Homepage des Staatstheaters
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