Wagner in der Region

„Das Rhein­gold“, „Göt­ter­däm­me­rung“ und „Par­si­fal“ so­wie „Par­zi­val“ nach Wolf­ram von Eschen­bach gibt es ak­tu­ell in Auf­füh­run­gen in Co­burg, Er­furt und Nürn­berg zu erleben.

Brett Spra­gue als Loge und Al­bert Pe­sen­dor­fer als Wo­tan im Er­fur­ter „Rhein­gold“ – Foto: Lutz Edelhoff

In Er­furt soll­te mit der „Rhein­gold“-Pre­mie­re am 23. März 2024 ein neu­er „Ring“ be­gon­nen wer­den. Doch lei­der kann das Pro­jekt un­ter Jür­gen R. We­ber und sei­nem Team nicht wei­ter­ge­führt wer­den, was auch die meis­ten Pre­mie­ren­kri­ti­ker be­dau­ern, dar­un­ter Ro­ber­to Be­cker in der Deut­schen Büh­ne und Ste­fan Schmöe im On­line Mu­sik Ma­ga­zin. Die Über­schrift von Letz­te­rem – „Ein in­ter­kul­tu­rel­les Co­mic-Splat­ter-Fan­ta­sy-Gru­si­cal“ – sagt viel, aber nicht ge­nug. Tat­säch­lich gibt das Thea­ter eine Trig­ger­war­nung, un­ter an­de­rem we­gen der „Dar­stel­lung von ex­zes­si­ver Ge­walt auf der Büh­ne und in den Vi­deo­pro­jek­ti­on so­wie An­spie­lun­gen auf se­xu­el­le Ge­walt“ so­wie „Vi­deo­pro­jek­tio­nen von sich be­we­gen­den Larven/​Maden“. Naja, man muss ja nicht dau­ernd hin­schau­en. Mei­ne War­nung gilt eher den Äs­the­ten un­ter den Wag­ner­freun­den, denn die­se Pro­duk­ti­on, die noch bis 25. Mai zu se­hen ist, dürf­te laut mei­ner Kurz­kri­tik von der be­such­ten zwei­ten Vor­stel­lung nichts für schwa­che (Geschmacks-)Nerven sein:

„Das Rhein­gold“ im küh­nen Er­fur­ter Opern­schiffs­bauch ist eine aber­wit­zi­ge, an­spie­lungs­rei­che, bril­lant durch­in­sze­nier­te Mi­schung aus Fan­ta­sy-, Go­thic-Kitsch, Mar­vel Co­mics und My­then­schwur­bel, C-Film-Klas­si­ker, Trash-, Hor­ror- und Splat­ter-Co­me­dy, Augs­bur­ger Pup­pen­kis­te und ge­woll­tem Lai­en­thea­ter (Leih­ga­ben vom Lich­ten­fel­ser Korb­markt in­klu­si­ve). Ein grel­ler, gro­tes­ker, groß­ar­tig ge­lun­ge­ner Mu­sik­thea­ter­abend, der Kult wer­den könn­te, weil bis auf zwei Rhein­töch­ter auch die So­lis­ten rund­her­um über­zeu­gen, al­len vor­an Brett Spra­gue als quir­li­ger Loge und Al­bert Pe­sen­dor­fer als Wotan.

Iri­na Okni­na als Brünn­hil­de und Kora Pa­ve­lic als Wal­trau­te in der Co­bur­ger „Göt­ter­däm­me­rung“ – Foto: Eike Walkenhorst

Es hat ge­dau­ert, bis der Co­bur­ger „Ring“ sich end­lich schlie­ßen konn­te. Seit 31. März und bis 16. Juni wird im Glo­be die „Göt­ter­däm­me­rung“-Neu­in­sze­nie­rung von Alex­an­der Mül­ler-El­mau ge­zeigt. BR Klas­sik hat nur ei­nen grö­ße­ren Vor­be­richt ver­öf­fent­licht, am um­fas­sends­ten be­schreibt Ro­land Dippel Pro­jekt und Auf­füh­rung in con­cer­ti, wäh­rend Frank Piontek im Kul­tur­brief der Bay­reu­ther Buch­hand­lung Breu­er & Sohn we­ni­ger be­geis­tert ist.

Mei­ne Kurz­kritk: Schon we­gen der Wal­trau­ten-Sze­ne lohnt sich die Fahrt nach Co­burg, denn da tref­fen mit Kora Pa­ve­lić und Iri­na Okni­na (Brünn­hil­de) zwei Sän­ger­dar­stel­le­rin­nen auf­ein­an­der, die so viel zu ge­ben ha­ben, dass selbst dem Re­gis­seur et­was Span­nen­des ein­ge­fal­len ist. Neue Er­kennt­nis­se brin­gen aber we­der das jetzt bun­ker­haf­te Mu­se­ums­bild noch die merk­wür­di­gen „Be­su­cher“, ge­ra­de­zu ein Är­ger­nis sind die Kos­tü­me, die ent­we­der Kli­schees be­die­nen oder ran­zig ge­wor­de­nen Re­gie­mo­den nach­lau­fen. Ein­drucks­voll hin­ge­gen (bis auf die über­wie­gend über­for­der­ten Nor­nen­rhein­töch­ter) mu­si­ka­li­sche Ge­samt­leis­tung und die Chö­re un­ter dem in­spi­rie­ren­den GMD Da­ni­el Car­ter. Und Lars Fos­ser als Gun­ther ist eben­falls eine Entdeckung.*

Das Grals­ge­rüst im 1. und hier 3. Akt er­in­nert vom An­satz her an die Bau­ten von Tho­mas Goer­ge in Chris­toph Schlin­gen­siefs Bay­reu­ther „Parsifal“-Inszierung. – Foto: Lud­wig Olah

Zeit­gleich mit der Co­bur­ger „Göt­ter­däm­me­rung“ hat­te in Nürn­berg die „Parsifal“-Inszenierung von Da­vid Her­mann Pre­mie­re. Das kri­ti­sche Echo war er­war­tungs­ge­mäß am größ­ten und un­ter­schied­lich. Hier zur ers­ten Ori­en­tie­rung Pe­ter Jung­blut auf BR Klas­sik, Mar­kus Thiel im Münch­ner Mer­kur und Frank Piontek im Bay­reu­ther Kul­tur­brief.

Mein Ein­druck: Es sind nicht drei ver­schie­de­ne Set­tings zu den drei Ak­ten, son­dern – vom Büh­nen­bild her – zwei Sze­na­ri­en in drei Zeit­ebe­nen, die durch­aus reiz­voll sind und et­was zu sa­gen ha­ben. Schon al­lein das im 1. Akt von oben durch den Zu­schau­er­raum se­geln­de Tuch darf als ge­nia­ler Büh­nen­bild­ef­fekt be­zeich­net wer­den (er­lebt im 2. Rang Mit­te). Und na­tür­lich sieht man die von den Na­zis „pu­ri­fi­zier­ten“ Räum­lich­kei­ten des Nürn­ber­ger Opern­hau­ses nach dem 2. Akt fort­an mit an­de­ren Au­gen. Sän­ge­risch war die be­such­te drit­te Vor­stel­lung be­acht­lich, aber nicht über­ra­gend – nur der sonst von mir ge­schätz­te Pa­trick Ziel­ke als Gurn­emanz hät­te lei­der an die­sem Abend an­ge­sagt wer­den müssen.

Zum Hin­knien: der hin­rei­ßen­de Ni­co­las Fre­de­rick Dju­ren als Par­zi­val – Foto: Kon­rad Fersterer

Bleibt noch die Nürn­ber­ger Neu­in­sze­nie­rung des „Par­zi­val“ nach Wolf­ram von Eschen­bach. Als Wag­ne­ria­ne­rin sage das nicht ger­ne: Aber wenn ich nur eine Pro­duk­ti­on von den vier hier er­wähn­ten als un­be­dingt emp­feh­lens­wert aus­wäh­len müss­te, wäre das die Schau­spiel-In­sze­nie­rung von Kier­an Joel, die am 21. März Pre­mie­re fei­er­te und bis 17. Juli im­mer wie­der zu er­le­ben ist. Ger­ne las­se hier die Kol­le­gen spre­chen: An­dre­as Radl­mei­er im Curt-Ma­ga­zin, Chris­ti­an Mug­gen­tha­ler auf Nacht­kri­tik und Ro­land H. Dippel in Die deut­sche Büh­ne. Was mich be­trifft: Ich gehe noch min­des­tens ein zwei­tes Mal wenn nicht noch öf­ter in die­sen „Par­zi­val“, der – auch was die wun­der­ba­ren Prot­ago­nis­ten, al­len vor­an Ni­co­las Fre­de­rick Dju­ren und Tho­mas Nun­ner be­trifft – kei­ner­lei Wün­sche of­fen lässt. Ein voll­kom­men kurz­wei­li­ger drei­stün­di­ger tol­ler und auch tief ge­hen­der Schauspielabend!

„Parzival“-Szene mit Sa­sha Weis, Luca Ro­sen­thal und Ni­co­las Fre­de­rick Dju­ren – Foto: Kon­rad Fersterer

*Nach­trag vom 29. April: Nach mei­nem zwei­ten Be­such der Co­bur­ger „Göt­ter­däm­me­rung“ – es war die vier­te Vor­stel­lung von ins­ge­samt acht – darf ich fest­stel­len, dass die­se Auf­füh­rung ins­ge­samt nicht nur we­gen Ein­sprin­ge­rin An­ni­ka Schlicht als Wal­trau­te Groß­stadt­ni­veau hat­te. Co­burg darf stolz auf sein Thea­ter sein, das selbst zwei der drei Nor­nen und Rhein­töch­ter (da kor­ri­gie­re ich gern mei­ne ers­te Kurz­kri­tik) ad­äquat be­set­zen kann! Bar­to­sz Araszkie­wicz als al­ter­na­ti­ver Ha­gen mach­te so­gar in dem nach wie vor un­er­klär­li­chen Kleid des 3. Akts eine gute Fi­gur, wäh­rend ich Gustavo Ló­pez Man­zit­tis Sieg­fried nach dem zwei­ten Er­le­ben zwar ger­ne Durch­hal­te­ver­mö­gen be­schei­ni­ge, ihn aber vom Stimm­cha­rak­ter her eher als Fehl­be­set­zung ein­stu­fe. Gast­so­lis­tin Iri­na Okni­na als Brünn­hil­de hin­ge­gen läuft im Ver­gleich zur Pre­mie­re jetzt zu be­wun­derns­wer­ter Form und fein dif­fe­ren­zie­ren­der Aus­drucks­kraft auf. Und alle auf der Büh­ne und im Gra­ben wer­den an­ge­steckt von Da­ni­el Car­ters un­glaub­li­cher En­er­gie und Mu­si­zier­freu­de: Er packt zu und lässt kei­nen mehr aus, auch wenn’s ge­ra­de mal ein biss­chen wa­ckelt. Ganz gro­ßes Wagnerkino!

Blick aus dem 2. Rang auf die Büh­ne mit „Be­su­chern“ und Opern­di­rek­tor Neil Bar­ry Moss, der Ein­sprin­ge­rin An­ni­ka Schlicht ansagt