Stelldichein der Szenen-Macher

Drei Tage lang spra­chen hoch­ka­rä­ti­ge Thea­ter­prak­ti­ker und Ex­per­ten im Dis­kurs-Sym­po­si­um in Haus Wahn­fried dar­über, wie In­sze­nie­run­gen frü­her wa­ren und heu­te sind und was In­ter­pre­ta­ti­on darf, kann und muss.

Die der­zeit jüngs­ten Re­gis­seu­re der Bay­reu­ther Fest­spie­le, der 30-jäh­ri­ge Va­len­tin Schwarz (links) und der 39-jäh­ri­ge To­bi­as Krat­zer, beim „Diskurs“-Symposium im Saal der Vil­la Wahn­fried Foto: Mo­ni­ka Beer

To­bi­as Krat­zer („Tann­häu­ser“ 2019) und Va­len­tin Schwarz („Der Ring des Ni­be­lun­gen“ 2020) als ak­tu­el­le be­zie­hungs­wei­se künf­ti­ge Fest­spiel­re­gis­seu­re, dazu mehr als ein Dut­zend Dra­ma­tur­gen, Mu­sik- und Thea­ter­wis­sen­schaft­ler, In­ten­dan­ten und/​oder In­sze­na­to­ren: So vie­le Opern­ma­cher auf ei­nen Hau­fen hat der Wahn­fried-Saal be­stimmt noch nicht gesehen.

Und das wa­ren nur die auf dem Po­di­um. Denn auch im Pu­bli­kum sa­ßen et­li­che Leu­te vom Fach beim dies­jäh­ri­gen Sym­po­si­um von „Dis­kurs Bay­reuth“, dem um­fang­rei­chen Rah­men­pro­gramm der Bay­reu­ther Fest­spie­le, das heu­er zum drit­ten Mal ver­an­stal­tet wird und un­ter dem Mot­to „Sze­nen-Ma­cher“ un­ter an­de­rem auch Kon­zer­te und am 13. Au­gust mit „Sieg­fried“ von Fer­idun Za­i­mo­g­lu und Gün­ter Sen­kel eine Schau­spiel-Ur­auf­füh­rung bietet.

Beim Sym­po­si­um stan­den drei Tage der in­ten­si­ven  Be­schäf­ti­gung mit Ri­chard Wag­ner an, der in sei­nen Wer­ken im ei­gens da­für ge­bau­ten Thea­ter das Ver­hält­nis von Tö­nen, Bil­dern, Wor­ten und Dra­ma neu de­fi­nier­te. Ku­ra­to­rin Ma­rie Lui­se Maintz hat wie­der da­für ge­sorgt, dass die Vor­trä­ge und Ge­sprächs­kon­stel­la­tio­nen eine Steil­vor­la­ge für Er­kennt­nis-, Ge­dan­ken- und Mei­nungs­aus­tausch wa­ren, wo­von die kos­ten­los teil­neh­men­den Zu­hö­rer in je­der Hin­sicht profitierten.

Zu­nächst stand die Ver­gan­gen­heit im Fo­kus. Kai Köpp gab span­nen­de Ein­bli­cke in die Büh­nen­pra­xis des 19. Jahr­hun­derts, Re­bec­ca Grot­jahn ver­deut­lich­te das am Bei­spiel der da­mals bei­spiel­lo­sen Sän­ger­dar­stel­le­rin Wil­hel­mi­ne Schrö­der-De­vri­ent. Alex­an­der Mei­er-Dör­zen­bach und Mar­kus Kie­sel be­leuch­te­ten Sieg­fried Wag­ner, der zwi­schen Tra­di­ti­on und auf­bre­chen­der Mo­der­ne la­vie­rend als Re­gis­seur nur in ei­nem äs­the­ti­schen Hohl­raum lan­den konnte.

Dass die Nach­welt ihm den ge­ge­be­nen An­ti­se­mi­tis­mus we­ni­ger an­krei­de­te als sei­ner Mut­ter und sei­ner Ehe­frau, stuf­te Kers­tin Schüss­ler-Bach als we­nig über­ra­schend ein. Co­si­ma Wag­ner und Wi­nif­red Wag­ner wur­den erst als Wit­wen Fest­spiel­lei­te­rin und hat­ten – un­ab­hän­gig von den ei­ge­nen Leis­tun­gen und Fehl­leis­tun­gen – so­wohl als Frau­en als auch als Aus­län­de­rin­nen von vorn­her­ein mit viel mehr Ab­leh­nung zu kämp­fen als die männ­li­chen Fa­mi­li­en­mit­glie­der in Leitungsfunktion.

Den Be­ginn ei­ner rea­lis­ti­schen Per­so­nen­re­gie in Bay­reuth da­tier­te Mat­thi­as Pasd­zier­ny in die Ära der nicht in­sze­nie­ren­den Wi­nif­red, in der ihr Part­ner und Di­ri­gent Heinz Tiet­jen sich sie­ben Mal auch als Re­gis­seur ein­brach­te. Von sei­nem erst jüngst auf­ge­fun­de­nen „Tristan“-Regiebuch er­war­tet sich die For­schung wei­te­re Erkenntnisse.

War­um die „Ring“-Inszenierung Pa­tri­ce Ché­re­aus 1976 ei­nen Zei­ten­wan­del in Bay­reuth mar­kier­te, hing laut Ste­phan Mösch un­mit­tel­bar mit ih­rer Er­eig­nis­haf­tig­keit und Er­leb­nis­qua­li­tät zu­sam­men, die der Re­gis­seur selbst in ers­ter Li­nie äs­the­tisch be­grün­de­te. Ché­reau, der im Al­ter von nur 31 Jah­ren am Grü­nen Hü­gel de­bü­tier­te, setz­te vor al­lem auf die Spra­che der Kör­per, wäh­rend die Zu­schau­er sei­ne Deu­tung po­li­tisch aufluden.

Spä­tes­tens seit Chris­toph Schlin­gen­siefs „Parsifal“-Inszenierung spie­le die Stück­deu­tung auch in Bay­reuth kei­ne Rol­le mehr. Zwi­schen den Po­len von äs­the­ti­scher Au­to­no­mie und po­li­ti­scher Kon­kre­ti­on habe To­bi­as Krat­zer jetzt in sei­ner in­ter­me­dia­len „Tannhäuser“-Inszenierung Ve­xier­bil­der ge­zeigt – und da­mit ei­nen dy­na­mi­schen Hand­lungs­spiel­raum er­öff­net, „der uns nicht die Er­leich­te­rung der Ein­deu­tig­keit schafft“.

Krat­zer selbst – ein sehr schnell den­ken­der und schnell spre­chen­der Zeit­ge­nos­se –  drück­te das im Ge­spräch mit der Mu­si­ko­lo­gin Kris­tel Pap­pel, das sich frei nach Nietz­sche um „Nut­zen und Nacht­heil der His­to­rie für die Wag­ner-Re­gie“ dre­hen soll­te, nicht so pro­fes­so­ral aus. Kein Wun­der: Für ihn und sein Team ist in der Ar­beit mit den Sän­gern aus­schlag­ge­bend, ob das, was sie wol­len, sich in ei­nem Satz ver­mit­teln lässt. „Wenn das nicht geht, ist schon eine Fall­tür offen.“

An­ders als in der kon­kre­ten Ar­beits­si­tua­ti­on ist ihm aber die Mehr­deu­tig­keit wich­tig, wie auch sei­ne  „Tannhäuser“-Schlusslösung mit der Film-Se­quenz und der sur­rea­len Ver­mi­schung von Vor­schich­te und dem Ge­sche­hen im ers­ten Akt als ei­ner Art Nah­tod­erleb­nis zei­ge: „Ich habe kei­nen Wunsch­be­trach­ter“, so Krat­zer, „son­dern ver­su­che, dem Zu­schau­er die Mög­lich­keit zu ge­ben, sich zu der Ge­schich­te zu verhalten.“

Nicht mit dem an­ge­kün­dig­ten Pa­ra­dig­men­wech­sel, son­dern eher mit dem Per­spek­tiv­wech­sel in der Wag­ner-Re­gie be­fass­ten sich mit Jo­han­nes Erath und Wolf­gang Nä­ge­le zwei wei­te­re Re­gie-Prak­ti­ker. „Wir wol­len“, so Erath, „auch ver­zau­bert und nicht nur ent­zau­bert wer­den. Aber es muss am­bi­va­lent blei­ben. Es ist ein blo­ßer Wunsch­ge­dan­ke, dass al­les er­klärt wer­den kann.“

Was Mu­se­ums­di­rek­tor Sven Fried­rich an an­de­rer Stel­le in der ihm ei­ge­nen Deut­lich­keit un­ter­strich: „Die größ­ten Dumpf­ba­cken wis­sen, was bei Ri­chard Wag­ner rich­tig ist! Aber die Mu­sik hat bei Wag­ner  ihm nur Funk­ti­on in­ner­halb des Dra­mas. Wir müs­sen das aus­hal­ten, brau­chen auch den Mut zum Schei­tern. Auch das Pu­bli­kum hat das Recht, an ei­ner In­sze­nie­rung zu scheitern.“

Tags dar­auf spra­chen Fran­cis Hü­se­rs und Mi­cha­el Schulz, der eine In­ten­dant in Ha­gen, der an­de­re In­ten­dant in Gel­sen­kir­chen und selbst auch Wag­ner-Re­gis­seur, dar­über, war­um und wie man Wag­ner in der Pro­vinz auf die Büh­ne stellt. Paul Es­ter­ha­zy, eben­falls Re­gie füh­ren­der In­ten­dant, der bei  Dis­kurs 2018 mit der Ur­auf­füh­rung der Oper „der ver­schwun­de­ne hoch­zei­ter“ in Bay­reuth de­bü­tier­te, war schließ­lich Ge­sprächs­part­ner des Haupt-Acts mit „Ring“-Regisseur Va­len­tin Schwarz.

Eine na­he­lie­gen­de Paa­rung, denn ers­tens sind bei­de Ös­ter­rei­cher und zwei­tens lehr­te Es­ter­ha­zy in Wien als Gast­pro­fes­sor, als Schwarz dort stu­dier­te. Wo­mög­lich ver­mit­tel­te er ihm un­ter an­de­rem, dass es ei­nem Re­gis­seur – und zwar nicht nur we­gen plötz­li­cher Er­kran­kun­gen oder sons­ti­gen Un­päss­lich­kei­ten – völ­lig egal sein soll­te, ob eine Car­men-Sän­ge­rin dick oder dünn ist.

Der in­zwi­schen 30-jäh­ri­ge Jung-Re­gis­seur, der als Neun­jäh­ri­ger erst­mals eine Wag­ner-In­sze­nie­rung er­lebt hat und sich da­von über­for­dert fühl­te, sucht den Zu­gang zu den Wer­ken jen­seits des Of­fen­sicht­li­chen denn auch über eine „sehr gro­ße Psy­cho­lo­gi­sie­rung“. Er be­wegt sich eher zwi­schen den Gren­zen, fragt da­nach, wie sehr man „für je­des Werk den As­so­zia­ti­ons- und In­ter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum pu­shen kann“.

Da Nor­nen­fra­gen zum „Ring“ nicht er­laubt wa­ren, wur­den na­tür­lich Ne­bel­ker­zen ge­wor­fen. Aber auch die kön­nen leuch­ten: „Je prä­zi­ser das Set­ting“, so Va­len­tin Schwarz, „je ge­nau­er der Kon­zept­rah­men ist, in dem ein Sän­ger sei­ne Fi­gur fin­det, des­to frei­er kann der dann sein, wenn der Re­gis­seur weg und er al­lein mit dem Pu­bli­kum ist.“

Sym­po­si­um von 2. bis 4. Au­gust 2019 in Haus Wahn­fried, Druck­ver­si­on im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags

Kris­tel Pap­pel, Ge­sprächs­part­ne­rin von To­bi­as Krat­zer beim Sym­po­si­um, brach­te dem künf­ti­gen „Ring“-Regisseur Va­len­tin Schwarz ein Buch über ih­ren Mann Joa­chim Herz mit, der bis zu sei­nem Tod 2010 ein be­deu­ten­der  Opern- und Wag­ner-Re­gis­seur war. Foto: Mo­ni­ka Beer