Drei Tage lang sprachen hochkarätige Theaterpraktiker und Experten im Diskurs-Symposium in Haus Wahnfried darüber, wie Inszenierungen früher waren und heute sind und was Interpretation darf, kann und muss.
Tobias Kratzer („Tannhäuser“ 2019) und Valentin Schwarz („Der Ring des Nibelungen“ 2020) als aktuelle beziehungsweise künftige Festspielregisseure, dazu mehr als ein Dutzend Dramaturgen, Musik- und Theaterwissenschaftler, Intendanten und/oder Inszenatoren: So viele Opernmacher auf einen Haufen hat der Wahnfried-Saal bestimmt noch nicht gesehen.
Und das waren nur die auf dem Podium. Denn auch im Publikum saßen etliche Leute vom Fach beim diesjährigen Symposium von „Diskurs Bayreuth“, dem umfangreichen Rahmenprogramm der Bayreuther Festspiele, das heuer zum dritten Mal veranstaltet wird und unter dem Motto „Szenen-Macher“ unter anderem auch Konzerte und am 13. August mit „Siegfried“ von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel eine Schauspiel-Uraufführung bietet.
Beim Symposium standen drei Tage der intensiven Beschäftigung mit Richard Wagner an, der in seinen Werken im eigens dafür gebauten Theater das Verhältnis von Tönen, Bildern, Worten und Drama neu definierte. Kuratorin Marie Luise Maintz hat wieder dafür gesorgt, dass die Vorträge und Gesprächskonstellationen eine Steilvorlage für Erkenntnis-, Gedanken- und Meinungsaustausch waren, wovon die kostenlos teilnehmenden Zuhörer in jeder Hinsicht profitierten.
Zunächst stand die Vergangenheit im Fokus. Kai Köpp gab spannende Einblicke in die Bühnenpraxis des 19. Jahrhunderts, Rebecca Grotjahn verdeutlichte das am Beispiel der damals beispiellosen Sängerdarstellerin Wilhelmine Schröder-Devrient. Alexander Meier-Dörzenbach und Markus Kiesel beleuchteten Siegfried Wagner, der zwischen Tradition und aufbrechender Moderne lavierend als Regisseur nur in einem ästhetischen Hohlraum landen konnte.
Dass die Nachwelt ihm den gegebenen Antisemitismus weniger ankreidete als seiner Mutter und seiner Ehefrau, stufte Kerstin Schüssler-Bach als wenig überraschend ein. Cosima Wagner und Winifred Wagner wurden erst als Witwen Festspielleiterin und hatten – unabhängig von den eigenen Leistungen und Fehlleistungen – sowohl als Frauen als auch als Ausländerinnen von vornherein mit viel mehr Ablehnung zu kämpfen als die männlichen Familienmitglieder in Leitungsfunktion.
Den Beginn einer realistischen Personenregie in Bayreuth datierte Matthias Pasdzierny in die Ära der nicht inszenierenden Winifred, in der ihr Partner und Dirigent Heinz Tietjen sich sieben Mal auch als Regisseur einbrachte. Von seinem erst jüngst aufgefundenen „Tristan“-Regiebuch erwartet sich die Forschung weitere Erkenntnisse.
Warum die „Ring“-Inszenierung Patrice Chéreaus 1976 einen Zeitenwandel in Bayreuth markierte, hing laut Stephan Mösch unmittelbar mit ihrer Ereignishaftigkeit und Erlebnisqualität zusammen, die der Regisseur selbst in erster Linie ästhetisch begründete. Chéreau, der im Alter von nur 31 Jahren am Grünen Hügel debütierte, setzte vor allem auf die Sprache der Körper, während die Zuschauer seine Deutung politisch aufluden.
Spätestens seit Christoph Schlingensiefs „Parsifal“-Inszenierung spiele die Stückdeutung auch in Bayreuth keine Rolle mehr. Zwischen den Polen von ästhetischer Autonomie und politischer Konkretion habe Tobias Kratzer jetzt in seiner intermedialen „Tannhäuser“-Inszenierung Vexierbilder gezeigt – und damit einen dynamischen Handlungsspielraum eröffnet, „der uns nicht die Erleichterung der Eindeutigkeit schafft“.
Kratzer selbst – ein sehr schnell denkender und schnell sprechender Zeitgenosse – drückte das im Gespräch mit der Musikologin Kristel Pappel, das sich frei nach Nietzsche um „Nutzen und Nachtheil der Historie für die Wagner-Regie“ drehen sollte, nicht so professoral aus. Kein Wunder: Für ihn und sein Team ist in der Arbeit mit den Sängern ausschlaggebend, ob das, was sie wollen, sich in einem Satz vermitteln lässt. „Wenn das nicht geht, ist schon eine Falltür offen.“
Anders als in der konkreten Arbeitssituation ist ihm aber die Mehrdeutigkeit wichtig, wie auch seine „Tannhäuser“-Schlusslösung mit der Film-Sequenz und der surrealen Vermischung von Vorschichte und dem Geschehen im ersten Akt als einer Art Nahtoderlebnis zeige: „Ich habe keinen Wunschbetrachter“, so Kratzer, „sondern versuche, dem Zuschauer die Möglichkeit zu geben, sich zu der Geschichte zu verhalten.“
Nicht mit dem angekündigten Paradigmenwechsel, sondern eher mit dem Perspektivwechsel in der Wagner-Regie befassten sich mit Johannes Erath und Wolfgang Nägele zwei weitere Regie-Praktiker. „Wir wollen“, so Erath, „auch verzaubert und nicht nur entzaubert werden. Aber es muss ambivalent bleiben. Es ist ein bloßer Wunschgedanke, dass alles erklärt werden kann.“
Was Museumsdirektor Sven Friedrich an anderer Stelle in der ihm eigenen Deutlichkeit unterstrich: „Die größten Dumpfbacken wissen, was bei Richard Wagner richtig ist! Aber die Musik hat bei Wagner ihm nur Funktion innerhalb des Dramas. Wir müssen das aushalten, brauchen auch den Mut zum Scheitern. Auch das Publikum hat das Recht, an einer Inszenierung zu scheitern.“
Tags darauf sprachen Francis Hüsers und Michael Schulz, der eine Intendant in Hagen, der andere Intendant in Gelsenkirchen und selbst auch Wagner-Regisseur, darüber, warum und wie man Wagner in der Provinz auf die Bühne stellt. Paul Esterhazy, ebenfalls Regie führender Intendant, der bei Diskurs 2018 mit der Uraufführung der Oper „der verschwundene hochzeiter“ in Bayreuth debütierte, war schließlich Gesprächspartner des Haupt-Acts mit „Ring“-Regisseur Valentin Schwarz.
Eine naheliegende Paarung, denn erstens sind beide Österreicher und zweitens lehrte Esterhazy in Wien als Gastprofessor, als Schwarz dort studierte. Womöglich vermittelte er ihm unter anderem, dass es einem Regisseur – und zwar nicht nur wegen plötzlicher Erkrankungen oder sonstigen Unpässlichkeiten – völlig egal sein sollte, ob eine Carmen-Sängerin dick oder dünn ist.
Der inzwischen 30-jährige Jung-Regisseur, der als Neunjähriger erstmals eine Wagner-Inszenierung erlebt hat und sich davon überfordert fühlte, sucht den Zugang zu den Werken jenseits des Offensichtlichen denn auch über eine „sehr große Psychologisierung“. Er bewegt sich eher zwischen den Grenzen, fragt danach, wie sehr man „für jedes Werk den Assoziations- und Interpretationsspielraum pushen kann“.
Da Nornenfragen zum „Ring“ nicht erlaubt waren, wurden natürlich Nebelkerzen geworfen. Aber auch die können leuchten: „Je präziser das Setting“, so Valentin Schwarz, „je genauer der Konzeptrahmen ist, in dem ein Sänger seine Figur findet, desto freier kann der dann sein, wenn der Regisseur weg und er allein mit dem Publikum ist.“
Symposium von 2. bis 4. August 2019 in Haus Wahnfried, Druckversion im Feuilleton des Fränkischen Tags
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