Nur drei Mal stand heuer Wagners Erstlingsdrama „Leubald“ auf dem Sommerspielplan der Studiobühne Bayreuth. Und das ist ehrlich gesagt ein Jammer.
Noch einmal und hoffentlich nicht zum letzten Mal hat die Studiobühne Bayreuth „Leubald“ in ihren Sommerspielplan aufgenommen – ein Stück, das in der gegebenen Realisierung jeden Wagnerianer nicht nur interessieren sollte, sondern muss. Handelt es sich doch um den dramatischen Erstling, den Richard Wagner im zarten Alter von fünfzehn Jahren vollendete.
Der Text in teils antiquierter, verquaster Sprache galt lange als verschollen. Manche würden sagen zu Recht – angesichts von Sentenzen wie: „Soll sträuben sich mein Haar, soll’s freudig wallen? Soll schaudern, oder jauchzen meine Zunge? – Jauchze in Schaudern! – o, bist du mein Vater?“ Es versteht sich von selbst, dass die Studiobühnenversion hin und wieder sprachlich noch was draufsetzt.
Wagner selbst erinnerte sich nur bruchstückhaft an das ihm abhanden gekommene große Trauerspiel und schrieb 1871 im ersten Band seiner „Gesammelten Schriften“: „Zweiundvierzig Menschen starben im Verlaufe des Stückes, und ich sah mich bei der Ausführung genöthigt, die Meisten als Geister wiederkommen zu lassen, weil mir sonst in den letzten Akten die Personen ausgegangen wären.“
Das stimmt zwar zahlenmäßig nicht, vom Ansatz her aber irgendwie schon. Als das 61 Seiten umfassende, in schwer lesbarer Schrift verfasste Manuskript bei einer Versteigerung 1978 in den Besitz der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth kam, wurde es von Isolde Vetter und Egon Voss transkribiert, wissenschaftlich bearbeitet und erstmals im „Meistersinger“-Programmheft 1988 der Bayreuther Festspiele komplett veröffentlicht.
Studiobühnen-Autor, -Regisseur und -Schauspieler Uwe Hoppe, der Wagners Werke in- und auswendig kennt und sie seit bald vierzig Jahren so einfallsreich, pointiert und schlüssig zu kürzen und zu inszenieren weiß, dass man sich schon lange fragt, warum Katharina Wagners ihn nicht längst engagiert hat, besorgte die Uraufführung 1989.
Er hat das Stück, das ungekürzt gute fünf Stunden dauern würde, auf neunzig pralle Minuten verdichtet und mit dem aus Kulmbach stammenden Musiker Hans Martin Gräbner zu einem Melodram verarbeitet, das später im Felsentheater von Sanspareil und in einer Neuinszenierung im Steingraeber-Garten wieder auf den Spielplan kam.
Und jetzt erneut im Hoftheater bei Steingraeber, in leider nur drei ausverkauften Aufführungen. Warum die Studiobühne die Produktion im nächsten Jahr unbedingt wieder aufnehmen sollte – womöglich abwechselnd mit Wagners nur im Libretto erhaltenen komischen Oper „Männerlist größer als Frauenlist oder: Die glückliche Bärenfamilie“ –, ist schnell gesagt.
Erstens hat weltweit keine andere Bühne „Leubald“ im Programm, der schon sprachlich und inhaltlich unschwer nicht nur die Vorbilder des späteren Musikdramatikers erkennen lässt. Zweitens ist die Inszenierung in ihrer Mischung aus halsbrecherischem Körpertheater mit Ballettchoreographie sowie der unsereins längst fremd gewordenen Stummfilmgestik und -mimik unbedingt sehenswert.
Und drittens ist da die von Hoppe genial konzipierte Begleitmusik, die erst recht deutlich macht, dass in dem Jüngling Wagner schon fast alles steckte. Für ein lustiges Leitmotiv- und Stellenraten geht das Ganze selbst für Kenner manchmal zu schnell, was an der eben nicht nur von Wagner, sondern auch von Live-Pianist Gräbner souverän gepflegten Kunst des unmerklich fließenden Übergangs liegt.
Man sieht den Mann am Klavier zwar nicht, er spielt aber neben Jürgen Skambraks als Leubald eine Hauptrolle. Dass die beiden schon 1989 dabei waren, darf als Qualitätszeichen gelten. Zwar wirkt Skambraks nun nicht mehr wie ein 20-Jähriger, aber er gibt diesem aberwitzigen Leubald-Hamlet, der in seinem Wahn zum achtfachen Schlagetot wird, glaubhafte Statur.
Trotz des Hauen und Stechens, trotz aller Tragik gibt es viel und herzlich zu lachen: Das haben Wagner und Hoppe von William Shakespeare gelernt. Auf der Ebene des niederen Volks agieren mit Stimmkraft und Verve Lukas Stühle (Flamming), Sascha Retzlaff (Bärting und Wirt) sowie Charis Hager als prächtige Hexe (Kostüme: Andrea Partenfelder), während Uwe Hoppe mal als derber Schrammbold, mal als edler, aber nicht minder lauter Ritter Roderich zu Höchstform aufläuft.
Wenn auch Finn Leible, Anja Kraus und alle weiteren Gespenster ihr grausiges Werk vollbracht, wenn die wunderbare Annette Zeus (Adelaide) und die ebenso wunderbare Johanna Rönsch (Gundchen) auf Leubalds Leiche zu Liebestodklängen ihr Leben aushauchen, ist im Auditorium kein Halten mehr. Tosender Beifall, Getrampel – wie es sich eben auch im Hoftheater der Klaviermanufaktur Steingraeber für eine richtig gute Aufführung gehört.
Besuchte zweite Vorstellung am 10. August, Druckversion im Feuilleton des Fränkischen Tags
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