Am 25. Dezember 1830 wurde im Königlich Sächsischen Hoftheater Leipzig zum ersten und vermutlich einzigen Mal die sogenannte Paukenschlag-Ouvertüre des damals 17-jährigen Richard Wagner aufgeführt. Es war sein kompositorisches Konzert-Debüt.
Im Wagner-Werkverzeichnis (WWV) trägt das verschollene Werk die Nummer zehn: die Ouvertüre in B-Dur, die sogenannte Paukenschlag-Ouvertüre. Der siebzehnjährige Richard Wagner komponierte diese seine erste Ouvertüre im Sommer 1830, ohne dass sein erster Kompositionslehrer Christian Gottlieb Müller etwas davon erfuhr – und auf Anregung von Heinrich Dorn, dem damaligen Kapellmeister am Leipziger Theater, der das Werk schließlich auch aus der Taufe hob.
Die Uraufführung fand am 25. Dezember 1830 im Leipziger Hoftheater statt, im Rahmen einer Veranstaltung des Rezitators C. F. Solbrig, bei der Texte vorgelesen, lebende Bilder gestellt und Musikstücke aufgeführt wurden. Als „Neue Ouvertüre“ stand Wagners Werk zu Beginn des ersten Teils dieses „Declamatoriums“ im Programm, von dem als Faksimile der Theaterzettel in Mary Burrells Wagnerbiographie von 1898 erhalten ist. Der Name des Komponisten ist darauf noch nicht vermerkt.
Das erfolgte erst im Jahr darauf, als ebenfalls am 25. Dezember 1831 bei einer ähnlichen Veranstaltung, vermutlich wiederum unter Dorn, Wagners noch erhaltene Ouvertüre in d-Moll uraufgeführt wurde. Wagner hat diese seine Konzert-Ouvertüre Nr.1 wahrscheinlich noch unter seinem Lehrer Müller begonnen, wechselte dann zu Theodor Weinlig und arbeitete sie, dessen klassizistischer Vorliebe entsprechend, stilistisch etwas um. Im selben Rahmen folgte im Frühjahr 1832 eine wiederum verschollene Szene und Arie für Sopran und Orchester, die im WWV als Nummer 28 unmittelbar vor der Sinfonie in C-Dur (WWV 29) steht, die Wagner fünfzig Jahre später heimlich überarbeitete, einstudierte und an Weihnachten 1882 als Geburtstagsüberraschung für Cosima im Teatro la fenice in Venedig dirigierte.
Der folgende Text über das weihnachtliche Konzertdebüt des angehenden Komponisten stammt aus Band I von Richard Wagners Autobiographie „Mein Leben“, deren Diktat er in seiner Münchner Zeit begann. Dass er dabei manches unterdrückte und anderes sehr frei ausschmückte, hatte nicht nur damit zu tun, dass er seine Lebensbeschreibung seiner späteren zweiten Frau Cosima diktierte. Sondern selbstverständlich auch mit seinem spezifischen Bild als Künstler, das er gezielt für seinen damals wichtigsten Leser König Ludwig II. schuf.
Es war zu Weihnachten des verhängnisvollen Jahres 1830, wo am Heiligen Abend wie üblich das Schauspiel ausfiel und dafür ein stets wenig besuchtes Armenkonzert im Leipziger Theater veranstaltet war. Als erste Nummer des Programmes figurierte die aufreizende Benennung „Neue Ouvertüre“; nichts weiter. Ich hatte unter großen Besorgnissen in einem Versteck der Probe beigewohnt und von der Kaltblütigkeit Dorns eine vorteilhafte Meinung gewonnen, welcher der bedenklichen Bewegung der Orchestermusiker gegenüber, als sie mit dem Vortrag der rätselhaften Komposition sich befaßten, eine außerordentlich sichere Fassung bewährte.
Das Hauptthema des Allegros war viertaktiger Natur; nach jedem vierten Takt war jedoch ein gänzlich zur Melodie ungehöriger fünfter Takt eingeschaltet, welcher sich durch einen besonderen Paukenschlag auf das zweite Taktviertel auszeichnete. Da dieser Schlag ziemlich vereinzelt stand, wurde der Paukenschläger, welcher sich stets zu irren glaubte, befangen und gab dem Akzente nicht die in der Partitur vorgeschriebene Schärfe, womit ich, über meine Intention selbst erschrocken, in meiner Unsichtbarkeit recht zufrieden war. Zu meinem wahren Mißbehagen zog jedoch Dorn den verschämten Paukenschlag an das helle Licht und bestand darauf, daß der Musiker ihn stets mit der vorgeschriebenen Stärke zur Ausführung brächte.
Als ich dem Musikdirektor nach der Probe über diesen bedenklichen Punkt meine Besorgnis mitteilte, gelang es mir nicht, ihn zu einer mildern Auffassung des fatalen Paukenschlags zu bewegen; er blieb dabei, daß die Sache sich so recht gut machen würde. Trotz dieser Beruhigung blieb meine Befangenheit groß, und ich getraute mich nicht, meinen Bekannten mich als den Komponisten dieser Ouvertüre im voraus zu bekennen. Nur meine Schwester, welche bereits die heimlichen Vorlesungen von „Leubald und Adelaïde“ zu überstehen gehabt hatte, bewog ich, mit mir zur Anhörung meines Werkes sich aufzumachen.
Es war der Abend der Weihnachtsbescherung im Hause meines Schwagers Friedrich Brockhaus; ich wie meine Schwester hatten ein Interesse, dieser Bescherung beizuwohnen. Sie, als zum Hause meines Schwagers gehörig, war besonders dabei beschäftigt und konnte nur mit Mühe auf kurze Zeit sich entfernen, weshalb der freundliche Verwandte sogar den Wagen anspannen lassen mußte, um die Wiederkunft der Schwester zu beschleunigen. Ich benutzte diese Gelegenheit, um mit einer gewissen Feierlichkeit meiner ersten Einführung in die musikalische Welt beizuwohnen: der Wagen brauste vor dem Theater an; Ottilie begab sich in die Loge meines Schwagers, wogegen ich mein Unterkommen im Parterre zu suchen genötigt war.
Ich hatte vergessen, mir ein Billett zu besorgen, und ward vom Türsteher zurückgewiesen: da hörte ich das Orchester immer intensiver einstimmen, ich glaubte den Beginn meines Werkes versäumen zu müssen und ging in der Angst deshalb so weit, mich dem Türsteher als den Autor der „Neuen Ouvertüre“ zu entdecken, um ihn, wie es mir denn auch gelang, zu bewegen, mich ausnahmsweise ohne Billett zuzulassen. Ich drang bis zu einer der vorderen Bänke des Parterres vor und ließ mich dort in sinnloser Unruhe nieder.
Die Ouvertüre begann: nachdem sich das Thema der „schwarzen“ Blechinstrumente bedeutungsvoll kundgetan, trat das „rote“ Allegro-Thema ein, welches, wie gesagt, mit jedem fünften Takte durch den Paukenschlag aus der „schwarzen“ Welt unterbrochen wurde. Welche Wirkung das später hinzutretende „grüne“ Motiv der Blasinstrumente und endlich das Zusammenwirken des „schwarzen, roten und grünen“ Themas auf die Zuhörer machte, ist mir undeutlich geblieben, da jener fatale Paukenschlag, mit hämischer Brutalität produziert, eine so aufregende Wirkung hervorbrachte, daß ich hierüber alle weitere Besinnung verlor.
Besonders die längere Zeit andauernde regelmäßige Wiederkehr dieses Effektes erregte bald die Aufmerksamkeit und endlich die Heiterkeit des Publikums. Meine Nachbarn hörte ich diese Wiederkehr im voraus berechnen und ankündigen: was ich, der ich die Richtigkeit ihrer Berechnung kannte, hierunter litt, ist nicht zu schildern. Mir vergingen die Sinne. Ich erwachte schließlich, als die Ouvertüre, zu welcher ich alle banalen Schlußformen verschmäht hatte, ganz unversehens abbrach, wie aus einem unbegreiflichen Traum: alle Wirkungen eines Hoffmannschen Phantasiestückes auf mich erblichen gegen den sonderbaren Zustand, in welchem ich zu mir kam, als ich das Erstaunen des Publikums am Schlusse meines Werkes gewahrte.
Ich hörte keine Mißfallsbezeugung, kein Zischen, kein Tadeln, selbst nicht eigentliches Lachen, sondern nahm nur die größte Verwunderung aller über einen so seltsamen Vorfall wahr, der jedem gleich wie mir wie ein unerhörter Traum vorzukommen schien. Das Schmerzliche war, daß ich nun eiligst wieder das Parterre zu verlassen hatte, da ich meine Schwester sofort nach Haus zu begleiten gehalten war. Mich erheben, durch die Bänke des Parterres mich dem Ausgange zu bewegen zu müssen, war furchtbar.
Nichts glich aber der Pein, mit welcher ich jetzt dem Türsteher wieder unter die Augen trat: der sonderbare Blick, den dieser auf mich warf, hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck auf mich, und für lange Zeit blieb ich dem Parterre des Leipziger Theaters fern. Jetzt war noch die Schwester abzuholen, mit ihr, die den Vorgang mitleidend erlebt hatte, einsam nach Haus zu fahren und dort dem Glanze eines Familienfestes entgegenzugehen, welches wie eine grelle Ironie in die Nacht meiner Betäubung hineinleuchtete.
Erstveröffentlichung in dem Blog „Mein Wagner-Jahr“ 2013 auf www.infranken.de
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