In der Oper „Der goldene Drache“ von Peter Eötvös wird einem jungen Chinesen per Rohrzange ein kariöser Zahn gezogen, was natürlich nicht gut ausgeht. Die Neuinszenierung am Mainfranken Theater Würzburg ist trotzdem sehr empfehlenswert.
„Nein, danke“ lautet die reflexartige Antwort vieler Opernfreunde, wenn es um Zeitgenössisches geht. Dass das ein schrecklicher Irrtum sein kann, stellt aktuell das Mainfranken Theater unter Beweis – mit dem per se gelungenen und wunderbar umgesetzten Musiktheater „Der goldene Drache“ von Peter Eötvös. Begeisterter Beifall, auch für den 76-jährigen Komponisten, nach der leider nicht ausverkauften Premiere am Samstag.
Peter Eötvös ist in Bamberg kein Unbekannter. Bei den Symphonikern wird er zwar nur selten gespielt, aber 2010 stand er im Mittelpunkt eines Werkstattgesprächs im Dominikanerbau, im Vorfeld der Münchner Uraufführung seiner „Tragödie des Teufels“. Während die aufwändige Auftragsoper seither nicht mehr inszeniert wurde, ist sein jüngstes Bühnenwerk ein Renner.
Schon bei der Premiere 2014 in Frankfurt, die der ungarische Komponist selbst dirigierte, waren sich Kritik und Publikum einig, dass „Der goldene Drache“ das Zeug hat, jedem Besucher, der sich vor neuer Musik in etwa so fürchtet wie vor dem Zahnarzt, diesen Zahn zu ziehen. Und zwar im Wortsinn, ja sogar genussvoll und fast schmerzfrei.
Grundlage dafür ist das gleichnamige Erfolgsstück von Roland Schimmelpfennig. Komponist und Librettist haben mehr als die Hälfte der fast fünfzig Miniaturszenen gestrichen. Dank der klug konzipierten Musik reichen 21 Szenen aus, um dem Publikum drastisch, aberwitzig und mit der notwendigen Tiefe allerhand unter die Nase zu reiben: Es geht um unseren Umgang mit Fremdem und Fremden – und im Subtext auch um den Umgang mit Frauen.
Im „Goldenden Drachen“, einem Asia-Schnellimbiss, ist der Fremde ein junger Chinese. Auf der Suche nach seiner verschollenen Schwester verdingt er sich als Küchenhilfe – illegal natürlich, weshalb er mit seinem Zahnweh auch nicht zum Arzt kann. Seine Kollegen holen die Rohrzange, der Zahn landet in der Suppe einer Stewardess, der Kleine verblutet und wird in den Fluss entsorgt, der ihn zurück in die Heimat tragen soll.
Zwischengeschaltet sind Situationen und Ereignissplitter aus dem Umfeld des Lokals sowie aus der Fabel „Die Grille und die Ameise“, die sexuelle Ausbeutung und Unterdrückung, Einsamkeit und soziale Not thematisieren. Nur fünf Gesangssolisten verkörpern in rasantem Kostümwechsel und Geschlechtertausch fast zwanzig sehr unterschiedliche Figuren, darunter auch Hosen- bzw. Rockrollen. In Würzburg sind zusätzlich Komparsen mit am Werk.
Dass die Zuschauer dabei die Orientierung nicht verlieren, ist Regisseurin Aldona Farrugia zu danken, die mit ihrem Team (Bühne: Dorota Karolczak, Kostüme: Gisa Kuhn) für furioses Theater sorgt. Zutiefst dramatische Momente werden mit skurrilem Humor gelöst, auf Realistisches folgt ein surrealistisches Bild, Abstraktion paart sich mit schrillem Outfit und echtem Küchengerät.
Apropos: Selbstredend dienen Wok, Quirl, Gemüsemesser und Kochlöffel als Perkussionsinstrumente – sowohl auf der Bühne wie im Orchestergraben. Dort ist Kapellmeister Gábor Hontvári Chefkoch und tischt mit seiner 16-köpfigen Mannschaft (darunter immerhin zwei Asiaten) die schlagzeuglastige, zuweilen fernöstlich schimmernde, immer wieder betörend transparente Musik auf, die das donnernde Leben in all seinen dynamischen Schattierungen zum Klingen bringt.
Bewunderung gilt den extrem geforderten, souverän singenden, singsprechenden und spielenden Solisten. Silke Evers (Sopran), Barbara Schöller (Mezzo), Roberto Ortiz (1. Tenor), Mathew Habib (2. Tenor) und Hinrich Horn (Bariton) bringen sich auch in punkto Wortverständlichkeit so gekonnt ein, dass man das einzige Manko der Produktion fast vernachlässigen kann: Die Übertitel lassen sich nur selten gut mitlesen.
Am Ende steht die von Silke Evers großartig gesungene Abschiedsarie des untoten Jungen in seiner kunstseidigen China-Klischee-Arbeitsuniform. Nach hundert Minuten endet das hintergründige Musiktheater, das ohne erhobenem Zeigefinger Augen, Ohren und Herzen öffnet – nicht nur für Alltagssorgen, sondern für ganz ernste Menschheitsfragen. Und zwar so unterhaltsam, dass man frischer aus dem Theater kommt als man hineingegangen ist. Was will man mehr?
Besuchte Premiere am 25. Januar, Druckversion im Feuilleton des Fränkischen Tags. Nächste Vorstellungen am 1., 8. und 14. Februar, 1., 5. und 17. März, 1. und 17. April sowie 27. Mai. Karten-Telefon 0931/3908-124, weitere Infos auf der Homepage des Theaters
Ähnliche Beiträge
- Mords was los im „Ring“-Museum 28. Mai 2019
- Fulminantes Musiktheaterfeuerwerk 22. April 2018