Am Tag vor der Festspieleröffnung 2020 debütiert das Bundesjugendorchester mit der Symphonie Nr. 13 b-Moll „Babi Yar“ von Dmitri Schistakowitsch im Bayreuther Festspielhaus.
Es ist eine kleine Sensation: In ihrem Rahmenprogramm „Diskurs Bayreuth“ veranstalten die Festspiele am 24. Juli 2020, also am Vorabend der Festspieleröffnung, ein Konzert mit der Symphonie Nr. 13 b-Moll „Babi Yar“ von Dmitri Schostakowitsch im Festspielhaus. Es spielt das Bundesjugendorchester, Gesangssolist ist der Bassist Dmitry Belosselskiy, der Männerchor kommt aus Estland, nur der Dirigent steht noch nicht endgültig fest.
In Richard Wagners Festspielhaus wurden – abgesehen von einer Gastspielperiode nach dem Zweiten Weltkrieg – Werke anderer Komponisten bisher nur in Ausnahmefällen gespielt. Wagner selbst führte nach der Grundsteinlegung 1872 im Markgräflichen Opernhaus die 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven auf, ein Stück, das später bei anderen wichtigen Ereignissen auch im Festspielhaus selbst erklingen sollte.
Unter Richard Strauss wurde Beethovens Neunte aus Anlass des 50. Todestags von Wagner 1933 erstmals im Festspielhaus gespielt, weitere Aufführungen folgten zur Wiedereröffnung der Festspiele 1951 unter Wilhelm Furtwängler sowie 1953, 1954, 1963 und zuletzt 2001 unter Christian Thielemann. Am 30. August 2020 wird aus Anlass des 250. Geburtstags von Beethoven die Neunte unter Marek Janowski zum siebten Mal im Festspielhaus zu erleben sein. Damit gibt es heuer sowohl vor als nach dem normalen Festspielprogramm jeweils ein Konzert im Festspielhaus. Die Beethoven-Produktion gastiert anschließend beim Beethovenfest in Bonn.
Daneben zählt die Festspielstatistik bisher zehn Sonderkonzerte, bei denen ebenfalls auch Werke anderer Komponisten gespielt wurden, beginnend 1976 zum Festspiel-Zentenarium und weiteren zentralen Jubiläumsdaten zur Festspielgeschichte. Das Festspielhaus, so steht es in der Satzung der Richard-Wagner-Stiftung, die sich am Testament von Siegfried und Winifred Wagner orientiert, soll eigentlich „einzig der festlichen Aufführung der Werke Richard Wagners“ dienen.
Festspielleiterin Katharina Wagner, die dem Stiftungsrat der Richard-Wagner-Stiftung das außergewöhnliche Konzert ganz ohne Musik ihres Urgroßvaters vorgeschlagen hatte, ist dankbar, dass das Gremium dem Projekt zugestimmt hat. Aus guten Gründen: „Wir wollten als Bayreuther Festspiele, die eine besondere historische Verpflichtung tragen“, so Wagner auf Anfrage unserer Zeitung, „ein Zeichen setzen gegen Antisemitismus, Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit.“
Das Sonderkonzert am 24. Juli 2020, bei dem erstmals im Festspielhaus ein Werk von Schostakowitsch erklingen wird, fällt auch von der Besetzung her aus dem Rahmen. Weil laut Holger von Berg, der zusammen mit Katharina Wagner als Geschäftsführer der Festspiel-GmbH fungiert, das Festspielorchester durch die „Ring“-Neueinstudierung und die Wiederaufnahmen voll ausgelastet ist, darf das Bundesjugendorchester am Grünen Hügel debütieren.
Schostakowitschs Symphonie Nr. 13 op. 113 für einen Bass-Solisten, Männerchor und Orchester in fünf Sätzen mit dem Text von Jewgeni Jewtuschenko wurde 1962 in Moskau uraufgeführt. Sie erinnert an eines der größten Massaker des Zweiten Weltkriegs: In der Schlucht von Babi Yar bei Kiew wurden unter dem Kommando der SS und der deutschen Wehrmacht innerhalb von 36 Stunden über 33 000 Juden jeden Alters erschossen.
„Babi Yar“, hieß es dazu in einer aktuell nicht mehr zugänglichen Meldung vom 10. Januar auf der Homepage der Festspiele, „steht für schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der russische Komponist Schostakowitsch erfuhr als Künstler selbst Repression und Bedrohung durch das Stalin-Regime. In diesem packenden Werk nimmt er unverhohlen Stellung gegen die Unterdrückung.“
„Das Bundesjugendorchester“, so der offizielle Infotext weiter, „wird das Werk im Festspielhaus aufführen – junge Menschen werden also die Ausführenden in diesem Konzert von Bedeutung sein, und damit an historischem Ort ein wichtiges Zeichen für Freiheit und Humanität in unserer Welt heute setzen.“ Detailliertere Angaben über das Konzert und die Modalitäten Kartenvergabe sowie das weitere Diskurs-Programm sollen Ende März veröffentlicht werden.
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