Das erst offiziell dementierte, dann bestätigte Festspielkonzert am Samstag findet jetzt im Wahnfried-Saal statt.
Ja, ich weiß, das ist nicht die gängige Schreibweise. Aber die wohl früheste literarische Nennung des Krähwinkels, der ab 1802 durch das Lustspiel „Die deutschen Kleinstädter“ weithin bekannt wurde, stammt, in der Schreibung mit E, aus der Satire „Das heimliche Klagelied der jetzigen Männer“ von Jean Paul Friedrich Richter – womit wir uns gleich am richtigen Ort befinden, nämlich nicht in Possenhofen, sondern in Bayreuth, der sogenannten Weltstadt auf Zeit. Denn auch hier passiert so manches, was visionäre Köpfe wie Heinrich Heine, Gottfried Keller, August von Kotzebue und Jean Paul nicht besser hätten erfinden können.
Es geht um das Festspielkonzert am 25. Juli 2020, über das ich andeutungsweise erstmals am 12. Juni geschrieben habe und das der in Sachen Festspiele sehr gut informierte Axel Brüggemann in seiner Crescendo-„Klassikwoche“ vom 15. Juni mit Ausnahme der Location schon haarklein so beschrieben hat, wie es letztendlich an diesem Samstag sein wird: „Es könnte diesen Sommer, am 25. Juli, tatsächlich zur traditionellen Bayreuth-Eröffnung kommen. Denn dann soll – so ist zu hören – ein Konzert mit Christian Thielemann im Festspielhaus stattfinden. An historischem Ort, eventuell ohne Publikum, quasi unsichtbar: Da passt es, dass der Bayerische Rundfunk das Konzert auch nur im Radio übertragen will.“
Die Lokalzeitung Nordbayerischer Kurier reagierte am 16. Juni mit einer kurzen Meldung, um wenig später, am 18. Juni, nach der angeblichen „Entscheidungsfindung für oder gegen ein solch ungewöhnliches Event“ das klare Dementi von Heinz-Dieter Sense zu veröffentlichen, dem anstelle der erkrankten Festspielleiterin Katharina Wagner agierenden Geschäftsführer der Festspiel GmbH neben Holger von Berg, dessen Arbeitsverhältnis in Bayreuth zum nächsten April endet. Am 5. Juli lieferte Hubertus Herrmann, der neue Leiter des Festspiel-Pressebüros, unter dem Titel „Alternatives Top-Programm für Bayreuther Festspiel-Fans“ erste Infos über das gemeinsam mit BR-Klassik, ARD-alpha und 3sat konzipierte Angebot. Unter den „Corona-verträglichen Live-Veranstaltungen, exklusiven Archivschätzen und Sondersendungen“ tauchte plötzlich doch – allerdings ohne Angabe des Veranstaltungsorts – das Festspielkonzert vom 25. Juli auf.
Mit der zutreffenden Feststellung „Das Kommunikationschaos trägt zunehmend absonderlichere Blüten“ berichtete Roman Kocholl, der Festspielspezialist des Nordbayerischen Kuriers, am 8. Juli, dass der BR auf seiner Homepage das Konzert inzwischen im Markgräflichen Opernhaus verorte. In der Druckausgabe vom 11. Juli kommentierte Kocholl das Geschehen unter dem Titel „Bittere Aussichten“ ungewohnt kritisch: „Das Signal, das in diesen Tagen vom Grünen Hügel ausgeht, ist: Geht uns bloß nicht auf die Nerven! Seit einigen Wochen doktert man dort und in der Stadt an einem Konzert herum, das es am 25. Juli an einem noch nicht genannten Ort in Bayreuth geben soll. Als diese Zeitung erstmals über solche Pläne berichtete, lagen im Festspielhaus offenbar die Nerven blank.“ Dabei gehe es doch nur um eine Veranstaltung, in der unter anderem die Wesendonck-Lieder und Wagners „Siegfried-Idyll“ in kleiner Besetzung aufgeführt werden sollen. Und unter Hinweis auf die Uraufführung des „Siegfried“-Idylls in Tribschen: „Wäre doch gelacht, wenn sich nicht auch in Bayreuth noch ein hübsches Stiegenhaus für diesen Anlass finden ließe.“
Das Stiegenhaus hat sich also gefunden. Um die Reaktionsschnelligkeit der jetzigen Festspielverwaltung zu illustrieren, verweise ich gerne darauf, dass diese es immerhin fünf Tage vor dem Festspielkonzert dann doch noch geschafft hat, auf der Festspiel-Homepage nun auch den präzisen Veranstaltungsort bekannt zu geben. Apropos: Zeitgleich wurde erst vor wenigen Tagen der immer noch komplett ohne Corona-Hinweis präsentierte Spielplan insofern korrigiert, als ihm jetzt wenigstens eine Kurzinfo zur Festspiel-Absage vorangestellt ist. (Und für das Rahmenprogramm Diskurs Bayreuth, das heuer von Berlin aus quasi nur im Netz stattfinden wird, gibt es zumindest eine vierzeilige Ankündigung. Aber mehr auch nicht. Liegt das nur am mangelnden Organisationstalent von Kuratorin Marie Luise Maintz oder ist das Dickicht der Zuständigkeiten innerhalb der Festspielverwaltung einfach zu groß? Jedenfalls sollte man jetzt besser nicht daran denken, dass beispielsweise die Deutsche Oper Berlin blitzschnell Corona-verkürzte „Rheingold“-Aufführungen auf ihrem Parkdeck realisiert hat, mit ausverkauften Vorstellungen auch im August.)
In der Pressemitteilung des Wagnermuseums liest sich die Konzertankündigung (unter Auslassung von wenigstens ein paar Mitgliedern des Festspielorchesters, sonst bräuchte es ja den dirigierenden Musikdirektor nicht) so: „Trotz der coronabedingt schwierigen Umstände werden die Stadt Bayreuth und die Bayreuther Festspiele am traditionellen Eröffnungstag der Festspiele, Samstag, 25. Juli 2020, um 16 Uhr ein Konzert im Haus Wahnfried veranstalten. Unter Leitung von Christian Thielemann führen die Solisten Camilla Nylund, Sopran, und Klaus Florian Vogt, Tenor, sowie Jobst Schneiderat am Wahnfried-Flügel Richard Wagners Ausschnitte aus ‚Die Meistersinger von Nürnberg‘, das ‚Siegfried-Idyll‘ und die ‚Wesendonck-Lieder‘ auf. Das Konzert wird live vom Bayerischen Rundfunk auf BR Klassik (www.br-klassik.de/programm/radio/ausstrahlung-2207268.html) und zudem vor Ort auf Videowänden als Public Viewing für bis zu 400 Personen nach außen übertragen. Das Café Wahnfried sorgt für Erfrischungen. Der Eintritt beträgt 5 Euro als Registrierungsgebühr zur Erfüllung der Corona-Auflagen. Tickets für das Public Viewing sind ab Mittwoch, 22.Juli, online auf der Website der ‚Musica Bayreuth‘ unter www.musica-bayreuth.de/event/wahnfried-open-air und an der Theaterkasse (www.bayreuth-tourismus.de/ueber-uns/theaterkasse) erhältlich. Wegen des aufwändigen Aufbaus und der technischen Einrichtung muss Haus Wahnfried am 25. Juli 2020 leider ganztägig geschlossen bleiben. Das Siegfried Wagner-Haus und der Neubau des Museums bleiben dagegen regulär und bei freiem Eintritt bis 17 Uhr geöffnet.“
Da kann, darf, muss ich schnell nochmals auf die Reportage „Wagner-Pilger auf Entzug“ von Peter Jungblut auf BR24 bzw. in der Sendung „Fazit“ auf Deutschlandradio Kultur verweisen. Zwar verlegt der Fachjournalist fälschlicherweise das „Wilde Felsengebirge“ aus der „Walküre“ vom zweiten in den dritten Akt, aber er umreißt über einige wenige O-Töne von Georg Freiherr von Waldenfels, warum Bayreuth nicht nur wegen Corona in der Krise steckt. Der neue Vorsitzende des Festspiel-Verwaltungsrats und Chef der nicht nur mäzenatischen, sondern in der Gesellschafterversammlung der Festspiel-GmbH mitbestimmenden „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e.V.“ (GdF), spricht davon, dass man sich am Samstag, an einem Tresen beim Eingang zur GdF-Geschäftstelle oben am Grünen Hügel, darauf einrichtet, eher wenige, aber treue Festspielgäste zu trösten: „Kann auch sein, wenn genügend Publikum da ist, dass Christian Thielemann und ich Briefe von Richard Wagner vorlesen, das war so eine Überlegung. Man muss einfach sehen, ob das Sinn macht. Jedenfalls wollen wir an diesem 25. Juli Gastgeber sein.“