Die Bayreuther Festspiele haben ihr Programm für die Saison 2021 vorgestellt. Für Schlagzeilen sorgen vor allem das Engagement des Aktionskünstlers Hermann Nitsch und die Rückkehr von Dirigent Andris Nelsons.
Eines muss man der Festspielleiterin lassen: Katharina Wagner hat, obwohl sie im letzten Jahr lebensgefährlich erkrankt und für mehr als sechs Monate komplett außen vor war, ihren Mut und ihre Entschlossenheit nicht verloren. Das Programm 2021 spiegelt das nicht nur durch das spektakuläre Engagement von Aktionskünstler Hermann Nitsch für drei „Walküre“-Vorstellungen. Dass Opernplanung in Zeiten von Corona besonders schwierig ist, liegt auf der Hand. Nach dem Komplettausfall der Festspiele 2020 wäre heuer die „Ring“-Neuinszenierung unter Valentin Schwarz und mit Pietari Inkinen am Pult an der Reihe gewesen. Das war aber bei Beibehaltung der für 2021 fixierten „Holländer“-Neuproduktion von der Besetzung und den Probenzeiten her offenbar nicht realisierbar.
Der neue „Ring“ wird erst 2022 kommen, dafür gibt es im Rahmenprogramm Diskurs Bayreuth unter dem Titel „Ring 20.21“ vier Projekte zu den Werken der Tetralogie. Als besonders medienwirksam hat sich dabei schon im Vorfeld die „Walküre“ erwiesen. Kaum lieferte ein Magazin das erste Gerücht zum Hügel-Debüt des 82-jährigen Künstlers, war Bayreuth wieder weltweit für Schlagzeilen und Spekulationen gut. Und für Befürchtungen. Denn schließlich hat sich Hermann Nitsch, ein Protagonist des Wiener Aktionismus, mit Schüttbildern und seinem Orgien-Mysterien-Theater, in dem Darsteller sich rituell mit Fleisch, Blut und Eingeweiden beschäftigen, einen Namen gemacht hat. Er steht aber nicht als Regisseur oder Ausstatter der drei „Walküre“-Termine im Programm, sondern als „Aktionskünstler“.
Wie Nitsch dazu im ersten Interview mit der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“ erläuterte, wird es auf der Bühne eine seiner Malaktionen geben. Zehn erfahrene Nitsch-Akteure und Statisten unter seiner Leitung sollen die Ausführenden der Malerei, der Aktionen und Prozessionen sein, während die Gesangssolisten wie bei einem Oratorium am Rand der Bühne stehen. „Durch die Farben“, erläutert er die Performance, „werde ich die Möglichkeit haben, auf die Musik einzugehen, deren großer Liebhaber ich bin, so farbig und sinnlich wie sie ist.“ Nitsch hat wegen Bayreuth die lange geplante jüngste Version seines eigenen Sechstagespiels im niederösterreichischen Prinzendorf eigens vorverlegt. Dirigent der „Walküre“ ist Pietari Inkinen, die Hauptpartien singen Klaus Florian Vogt (Siegmund), Lise Davidsen (Sieglinde), Dmitri Belosselskiy (Hunding), Günther Groissböck (Wotan), Iréne Theorin (Brünnhilde) und Christa Mayer (Fricka).
Wälsungenblut wird in dieser „Walküre“ so oder so blühen und fließen. Darauf können alle setzen, die eine Karte bekommen werden – wenn es denn überhaupt Karten gibt. Denn aktuell können nur diejenigen, die für 2020 bestellt, bezahlt und auf eine Erstattung des Geldes verzichtet haben, demnächst mit Bestellunterlagen rechnen. Alle anderen müssen sich bis zum 6. Juni gedulden, wenn der Online-Sofortverkauf für die Restkarten startet. Wieviel Karten dann in den Verkauf kommen, steht noch in den Corona-Sternen. Momentan planen die Festspiele nach einem strengen Hygienekonzept und rechnen, je nach Pandemie-Lage, mit minimal 200 und maximal 1000 Besuchern pro Aufführung im Festspielhaus mit seinen 1972 Plätzen. Was sich bei einem Betrieb, der sich laut Noch-Geschäftsführer Holger von Berg zu immerhin 65 Prozent aus den Einnahmen aus dem Kartenverkauf speist, natürlich negativ auswirkt. Im Zwangspausenjahr 2020 fehlten rund 15 Millionen Euro, auch heuer werden die Gesellschafter – Bund, Land, Stadt Bayreuth und die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth – zusätzlich Geld geben müssen.
Zurück zur Kunst: Dafür, dass auch die Festspielpremiere am 25. Juli mit der „Holländer“-Neuinszenierung von Dmitri Tscherniakov ein Ereignis wird, dürften in insgesamt sieben Vorstellungen unter anderem zwei Frauen sorgen: die Sopranistin Asmik Grigorian als Senta sowie Oksana Lyniv als erste Frau, die eine Festspielproduktion dirigiert. Lyniv ist in Bamberg keine Unbekannte. Sie wurde 2004 beim ersten Mahler-Wettbewerb der Symphoniker mit dem 3. Preis ausgezeichnet. Ebenfalls Bayreuth-Debütanten sind neben dem Leitungsteam Eric Cutler als Erik und Attlio Glaser als Steuermann. Als Holländer wird John Lundgren, als Daland Georg Zeppenfeld und als Mary Marina Prudenskaya zu erleben sein.
Neben den Wiederaufnahmen – die von Kritik und Publikum gleichermaßen gefeierten „Tannhäuser“- und „Meistersinger“-Produktionen mit nur kleinen Umbesetzungen in jeweils sechs Aufführungen – stehen außerdem drei konzertante Termine auf dem Programm: „Parsifal“ unter Christian Thielemann am 10. August mit Michael Volle (Amfortas), Groissböck (Titurel), Zeppenfeld (Gurnemanz), Stephen Gould (Parsifal) und Petra Lang (Kundry) sowie zwei Konzerte unter Andris Nelsons sowie mit Christine Goerke, Groissböck und Vogt als Solisten jeweils mit dem 1. Akt „Walküre“ sowie Szenen aus „Lohengrin“ und „Parsifal“ am 22. August sowie aus „Walküre“ und „Götterdämmerung“ am 25. August . Andris Nelsons wird anschließend mit dem Festspielorchester auf Tournee gehen.
Welchen Stellenwert der lettische Dirigent in Bayreuth neuerdings genießt, ist auf der Homepage der Festspiele nicht zu übersehen. Während der einzige Auftritt des noch nicht verlängerten Musikdirektors Thielemann als „Konzert Parsifal“ übertitelt ist, steht über den Nelsons-Terminen „Konzerte unter der musikalischen Leitung von Andris Nelsons“. Das könnte bedeuten, dass es künftig keinen Musikdirektor Thielemann mehr geben wird. Glaubt man Hügel-Gerüchten, bat Andris Nelsons 2016 wenige Wochen vor der „Parsifal“-Premiere um die Auflösung seines Vertrags, weil Thielemann sich zu sehr in seine Arbeit eingemischt haben soll. Letzterer hat das stets bestritten, aber er hat beispielsweise auch in einem „News“-Interview Anfang Mai 2020 behauptet, Katharina Wagner habe keine schwere Erkrankung, was die Festspiele offiziell und auch in seinem Namen dementieren mussten. Und wenig später musste Thielemann sich von einer gegebenen Unterschrift zu einer Petition distanzieren.
Katharina Wagner sagte erst unlängst im F.A.Z.-Interview wörtlich, dass die Neuregelung des Vertrags mit Thielemann eine komplexe Sache sei, bei der viele Dinge wie Titel (!) und Aufgaben abgestimmt werden müssten. Wenn man dazu ihre jüngsten Äußerungen zu Nelsons mitdenkt, dann ist das wohl nicht nur Intendantinnen-Pragmatismus. „Ich freue mich wirklich wahnsinnig“, zitiert die Deutsche Presse-Agentur die Festspielleiterin, „dass er zurückkommt. Er ist ein Ausnahmekünstler.“ In der Passauer Neuen Presse hatte sie präzisiert: „Dieser Ausnahmekünstler zeichnet sich für mich durch seine Liebe zum Wagner’schen Werk und seine konzentrierte Arbeit aus, die ausschließlich die musikalische Qualität in den Mittelpunkt rückt.“ Was womöglich bei Christian Thielemann nicht ganz der Fall ist.
Ausnahmekunst darf man auch von der Kinderoper mit Stephen Gould als Tristan erwarten – die zehn Vorstellungen finden diesmal, vermutlich weil in der bisher dafür genutzten Probebühne zu der Zeit „Ring“-Proben ablaufen, in der Kulturbühne Reichshof statt. Und natürlich von „Ring 20.21“, dem Rahmenprogramm: An den „Walküre“-Tagen wird jeweils um 11 Uhr am Teich im Festspielpark als Uraufführung eine „Rheingold“-Bearbeitung des großartigen Puppenspielers Nikolaus Habjan (Konzeption und Realisation), Gordon Kampe (Komposition) und Paulus Hochgatterer (Libretto) gezeigt. Wie Habjan der Deutschen Presse-Agentur erklärte, handelt es sich um ein Stück, in dem die Rheintöchter und Erda über Feuer- und Halbgott Loge zu Gericht sitzen. „Nach der Götterdämmerung, nach dem Weltenbrand, wollten wir schauen: Wer bleibt übrig?“, sagte er. „Wir haben es ja mit einem ‚Ring‘ zu tun. Anfang und Ende gehen ineinander über. Wenn der Weltenbrand gelöscht ist, fließt der Rhein wieder.“
In den Pausen und bis zu eine Stunde nach der „Walküre“-Vorstellung ist voraussichtlich vor dem Königsportal außerdem eine multimediale „Siegfried“-Version des US-amerikanischen Künstlers Jay Scheib zu erleben. Für die „Rheingold“- und „Siegfried“-Aktionen soll es nach Angaben von Pressesprecher Hubertus Herrmann für Inhaber von „Walküre“-Karten ein Kombiticket geben. Der Beitrag zur „Götterdämmerung“, eine Installation der japanischen Künstlerin Chiharu Shiotu im Festspielpark, wird während der Festspielzeit hingegen rund um die Uhr kostenlos für alle Interessenten zu sehen sein.
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