Die Münchner Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ (Inszenierung: Krzysztof Warlikowski, Musikalische Leitung: Kirill Petrenko) in Bildern von Wilfried Hösl. Meine Kritik finden Sie hinter einer Bezahlschranke auf fraenkischertag.de und hier weiter unten. Die Vorstellung am 31. Juli um 17 Uhr wird im Rahmen von „Oper für alle“ live und kostenlos auf den Marstallplatz neben dem Nationaltheater übertragen, ist zeitgleich kostenlos auf Staatsoper.TV als Livestream zu erleben und danach ab 2. August 19 Uhr nochmals für 24 Stunden kostenlos abrufbar.
„Der öde Tag – zum letzten Mal“
Der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski legt an der Bayerischen Staatsoper Wagners hochromantisches Liebespaar Tristan und Isolde suizidal auf Sigmund Freuds Couch.
Deutliches Buh gegen die Regie, Bravorufe und frenetischer Beifall für die musikalische Umsetzung. Es ist fast wie immer bei den Münchner Opernfestspielen. Das aufgebrezelte, wegen Corona noch halbierte Publikum, das die Pausen jetzt endlich auch in aufgebrezelten Restaurantbereichen verbringen kann, ist bei der jüngsten Neuproduktion von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ gespalten.
Gleich an den Anfang, wenn Pultmagier Kirill Petrenko das Vorspiel zu Richard Wagners so bezeichneter „Handlung“ mit fesselnder Energie aufbaut, stellt der Regisseur ein Rätselbild, das sich, wenn überhaupt, erst im Laufe des langen Abends erklären lässt. Vor allem aber legt das glatzköpfige, wie Schaufensterpuppen wirkende Tänzerpaar (Choreographie: Claude Bardouil) eine prägende todtraurige Grundstimmung fest.
Nein, sagt Krzysztof Warlikowski, hier geht es nicht um eine romantische Liebesgeschichte, sondern um zwei schrecklich einsame, womöglich kranke, in jedem Fall todgeweihte Menschen. Hat schon Heiner Müller in seiner legendären Bayreuther Deutung von 1993 entdeckt, wie viel Tod nicht nur wortwörtlich in Wagners „Tristan“ steckt, so zeigt der polnische Regisseur, dass die beiden Titelhelden nichts anderes wollen als den gemeinsamen Selbstmord.
Die Kunst dieser Inszenierung besteht – wie bei fast allen Arbeiten Warlikowskis am Nationaltheater – darin, dass sie, ohne sich besserwisserisch aufzudrängen, den Blick öffnet für andere, neue Assoziationen und gleichzeitig der Musik den Freiraum gibt, den sie braucht, damit das Publikum jenseits des musikalischen Schwelgens ins Innere, in unbekannte Tiefen der Figuren vordringen kann.
Dafür genügen eine Videowand mit Filmszenen, Wasserwogen und psychodelischen Tapeten (Kamil Polak), eine akustisch günstige Einheitsbühne, in die Ausstatterin Małgorzata Szczęśniak eine Hommage an Erich Wonders Bayreuther Lichtdramaturgie einbaut, während die Regie die Idee Christoph Marthalers von 2005 aufgreift, dass Isolde immer wieder am Lichtschalter dreht.
Dazu zwei schwere Ledersessel, eine Couch à la Sigmund Freud, eine Vitrine und eine mit Puppen bestückte Tafel im 3. Akt. Ob die Zuschauer daraus das Kindheitstrauma Tristans entschlüsseln können, sei allerdings dahingestellt. Fragwürdig bleiben, weil teils ins Modisch-Parodistische gehend, auch die Kostüme.
Es versteht sich, dass es dazu Protagonisten braucht, die das Schwierige, Sperrige, das Ungewohnte und scheinbar Uninszenierte darstellerisch auch umsetzen können. Nikolaus Bachler, der zum Monatsende scheidende Intendant, hat noch einmal sein Traumpaar gewinnen können, für zwei Rollendebüts der Spitzenklasse: Jonas Kaufmann als Tristan und Anja Harteros als Isolde wurden schon bei der Premiere am Dienstag einhellig umjubelt.
Die beiden werden, mit den weiteren, bereits ausverkauften Vorstellungen noch jene Sicherheit hinzugewinnen, die sie zu bedeutenden Interpreten aufrücken lässt. Natürlich spielt dabei der Zeitgeschmack eine Rolle: Trompetenhafte Wagner-Heroinen sind out, deshalb kann heute eine Sopranistin wie Harteros punkten, die – bei entsprechender Unterstützung aus dem Graben — eher das Lyrische kultiviert, aber für die Isolde des 1. Akts genug Kraft und Wut im Ausdruck mitbringt.
Noch überraschender die Leistung des Tenors. Die Corona-Zwangspause hat Jonas Kaufmann hörbar gut getan. Das Gaumige in seiner Stimme ist fast verschwunden, auch er ist, wie bei seinem „Der öde Tag — zum letzten Mal“, ein Meister im Leisen, verfügt aber auch über heldentenorale Durchschlagskraft. Dass er das lange Sterben im 3. Akt, anstatt es nur ökonomisch klug zu bewältigen, wirklich gestaltet, gehört für mich auf Anhieb zu den ergreifendsten Tristan-Erfahrungen.
Was auch deshalb so gut funktioniert, weil diese Produktion noch einmal Kirill Petrenko, der vormalige Münchner Generalmusikdirektor, einstudiert hat und dirigiert. Wie immer trägt er die Solisten auf sorgsamen Händen, dosiert mit großer Partiturkenntnis und -genauigkeit, wann das ihm beglückt folgende Bayerische Staatsorchester in die Vollen gehen kann und darf und wann nicht.
Petrenko ist für mich, neben dem jetzt in Wien wirkenden Philippe Jordan, immer noch der wichtigste Wagnerdirigent, obwohl er als Chef der Berliner Philharmoniker leider weniger in der Oper arbeitet. Er hat sich einerseits der bestmöglichen sängerischen Interpretation, ihrer Wortverständlichkeit und dramaturgischen Wahrhaftigkeit verschrieben, kann andererseits aber uneitel in Dynamik und Tempo den Instrumentalisten an den richtigen Stellen viel und mitreißenden Freiraum geben.
Am Ort der „Tristan“-Uraufführung ist übrigens jede Partie top besetzt. Dean Power, Christian Rieger und Manuel Günther in den Nebenrollen überzeugen genauso wie Mika Kares als Marke, Wolfgang Koch als Kurwenal, Okka von der Damerau als Brangäne und Sean Michal Plumb als Melot.
Aktualisiert und erweitert am 20. Juli 2021
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