Mit „Flieg, Holländer, flieg!“ hat die Studiobühne Bayreuth einen neuen Wagner-Hit. Uwe Hoppes jüngste Sprechtheater-Adaption schürft tief in den Beziehungskisten der Figuren.
Corona macht’s möglich: Endlich hat Uwe Hoppe in seiner Doppelfunktion als Autor und Regisseur es geschafft, eine neue Wagner-Adaption auf die Bühne zu bringen, bei der man nicht auf Anhieb denkt, dass er kürzen müsste. Seine Version von Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ dauert nur eine Stunde, sorgt aber zuverlässig für Fragezeichen in den Köpfen der Zuschauer. Was schon mal gut ist.
Hoppe, der seit 1982 schon mehr als ein Dutzend Mal nicht nur das klassische Festspiel-Repertoire parodistisch in Sprechtheater umgesetzt, sondern auch Wagners Erstlingsdrama „Leubald“ uraufgeführt und Stücke über die Wagnerfamilie realisiert hat, blickt auch diesmal ziemlich schräg, entschlossen und kühn hinter die Fassaden der Handlung und der Figuren.
Es versteht sich von selbst, dass das Beziehungsgeflecht zwischen Holländer, Senta, Erik, Daland und Mary sich in den zwölf Szenen von „Flieg, Holländer, flieg!“ etwas anders darstellt als in der romantischen Oper. Es beginnt stürmisch, mit der gerade ein Holländer-Porträt beendenden Hobbymalerin Senta (Annette Zeus) in weißem Malerkittel (Kostüme: Heike Betz).
Doch der Clou schon der ersten Szene ist Mary (Conny Trapper) – bei Wagner als Sentas Amme eher eine Nebenfigur, bei Hoppe viel viel mehr. Sie stimmt immer wieder das titelgebende Kinderlied an, bei dem anstelle des Maikäfers der Holländer steht, und enthüllt Stück für Stück ihre eigene Vergangenheit als Ausreißerin, Kommunardin, Drogensüchtige und Mutter eines zur Adoption freigegebenen Sohns, dessen Vater vielleicht auch Daland sein könnte.
Daland (Frank Joseph Maisel), mal in Ölzeug, mal in eleganter Kapitänsuniform, entpuppt sich als Kriegsschiffe bauender Waffenhändler, der Holländer (Lukas Stühle), der unter seinem Regenmantel einen grauen Satinanzug trägt, ist mit seltenen Erden, Blutdiamanten und als Menschenschlepper steinreich geworden – und sehr sehr einsam.
Erik (Finn Leible) in lederner Kniehose und Trachtenjacke ist zwar ein Jäger, aber auch ein zitternder Angsthase, den die Eifersucht und der längst geahnte Verlust Sentas letztlich zum Äußersten treibt. Am Ende zielt er auf den Nebenbuhler, trifft aber die Geliebte, die mit ihrem Treueschwur für den Holländer ihr Leben aushaucht. „Und beide“, kommentiert Mary, die am Ende sogar eine Jungfrauengeburt ins Spiel bringt, „fahren in den Himmel, eng umschlungen und erlöst.“ Was fast genauso bei Wagner in der Regieanweisung steht.
Schon die Beziehungen der Figuren untereinander – auch Holländer und Daland entpuppen sich hier als Konkurrenten, und zwar um Sentas Mutter, Dalands dann früh verstorbene Frau –, sind ein einziges Kuddelmuddel. Erst recht sind es die Quellen, aus denen sich das Stück speist.
Uwe Hoppe baut wie immer nicht nur originale und leicht veränderte Wagner-Zitate ein, sondern sucht und findet für die „Holländer“-Handlung auch sprachliche und inszenatorische Analogien in seinen eigenen Adaptionen, in anderen Wagner-Werken und in der Theaterliteratur. Eine Fundgrube für Kenner, ansonsten ein Zitatendschungel!
Was den traditionellen Spielort im Hof der Klaviermanufaktur Steingraeber betrifft, wurde, um nicht nur vor höchstens zwanzig Zuschauer auftreten zu dürfen, eine kreative Lösung gefunden. Das karg möblierte Bühnenviereck unter dem alten „Hier gilt’s der Kunst“-Gebälk öffnet sich jetzt im rechten Winkel nach zwei Seiten und wird gekonnt so bespielt, dass das Publikum aus unterschiedlichen Richtungen dennoch alles sehen und in frischer Luft sitzen kann.
Die sparsamen weißen Segel (Bühne: Uwe Hoppe) ermöglichen Auftritte und Abgänge, was noch fehlt, ist eine klarere Umsetzung der visionären Teile des Stücks, die weniger versierte Theatergänger vielleicht nicht erkennen. Und richtig schade ist, dass der Regisseur den sonst so versierten Studiobühnen-Akteuren, die alle keine Profidarsteller sind, die notwendige Unterstützung bei den nicht wenigen Gesangseinlagen versagt. Ein Begleitinstrument könnte da Wunder wirken.
Dass es im Vergleich zu den anderen Wagner-Stücken Hoppes kaum etwas zu lachen gibt, hat wohl mit der Verdichtung der Handlung zu tun. Es geht Schlag auf Schlag, und gleichzeitig bleibt kaum Luft, den zusätzlich verkomplizierten Beziehungskisten in allen Verästelungen zu folgen. Am Ende fragt man sich verduzt, wer jetzt mit wem welches Kind gemacht hat. Es lohnt sich aber trotzdem. Donnernder Beifall bei der Uraufführung am 17. Juli.
Termine und Tickets
Weitere Vorstellungen am 23., 25., 29. und 30. Juli sowie am 3., 6., 7., 8., 12., 13., 14., 17., 20. und 21. August. Kartentelefon 0921/69001, online direkt bei der Studiobühne Bayreuth. Anfragen nach Restkarten ab einer Stunde vor Vorstellungsbeginn unter 0151/56291925.
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