Was für ein Kuddelmuddel!

Mit „Flieg, Hol­län­der, flieg!“ hat die Stu­dio­büh­ne Bay­reuth ei­nen neu­en Wag­ner-Hit. Uwe Hop­pes jüngs­te Sprech­thea­ter-Ad­ap­ti­on schürft tief in den Be­zie­hungs­kis­ten der Figuren.

Sen­ta (An­net­te Zeus) und der Hol­län­der (Lu­kas Stüh­le) ver­su­chen in Uwe Hop­pes jüngs­ter Wag­ner-Ad­ap­ti­on ab­zu­he­ben. – Foto: Tho­mas Eberlein

Co­ro­na macht’s mög­lich: End­lich hat Uwe Hop­pe in sei­ner Dop­pel­funk­ti­on als Au­tor und Re­gis­seur es ge­schafft, eine neue Wag­ner-Ad­ap­ti­on auf die Büh­ne zu brin­gen, bei der man nicht auf An­hieb denkt, dass er kür­zen müss­te. Sei­ne Ver­si­on von Ri­chard Wag­ners Oper „Der flie­gen­de Hol­län­der“ dau­ert nur eine Stun­de, sorgt aber zu­ver­läs­sig für Fra­ge­zei­chen in den Köp­fen der Zu­schau­er. Was schon mal gut ist.

Hop­pe, der seit 1982 schon mehr als ein Dut­zend Mal nicht nur das klas­si­sche Fest­spiel-Re­per­toire par­odis­tisch in Sprech­thea­ter um­ge­setzt, son­dern auch Wag­ners Erst­lings­dra­ma „Leu­bald“ ur­auf­ge­führt und Stü­cke über die Wag­ner­fa­mi­lie rea­li­siert hat, blickt auch dies­mal ziem­lich schräg, ent­schlos­sen und kühn hin­ter die Fas­sa­den der Hand­lung und der Figuren.

Es ver­steht sich von selbst, dass das Be­zie­hungs­ge­flecht zwi­schen Hol­län­der, Sen­ta, Erik, Da­land und Mary sich in den zwölf Sze­nen von „Flieg, Hol­län­der, flieg!“ et­was an­ders dar­stellt als in der ro­man­ti­schen Oper. Es be­ginnt stür­misch, mit der ge­ra­de ein Hol­län­der-Por­trät be­en­den­den Hob­by­ma­le­rin Sen­ta (An­net­te Zeus) in wei­ßem Ma­ler­kit­tel (Kos­tü­me: Hei­ke Betz).

Doch der Clou schon der ers­ten Sze­ne ist Mary (Con­ny Trap­per) – bei Wag­ner als Sen­tas Amme eher eine Ne­ben­fi­gur, bei Hop­pe viel viel mehr. Sie stimmt im­mer wie­der das ti­tel­ge­ben­de Kin­der­lied an, bei dem an­stel­le des Mai­kä­fers der Hol­län­der steht, und ent­hüllt Stück für Stück ihre ei­ge­ne Ver­gan­gen­heit als Aus­rei­ße­rin, Kom­mu­nar­din, Dro­gen­süch­ti­ge und Mut­ter ei­nes zur Ad­op­ti­on frei­ge­ge­be­nen Sohns, des­sen Va­ter viel­leicht auch Da­land sein könnte.

Da­land (Frank Jo­seph Mais­el), mal in Öl­zeug, mal in ele­gan­ter Ka­pi­täns­uni­form, ent­puppt sich als Kriegs­schif­fe bau­en­der Waf­fen­händ­ler, der Hol­län­der (Lu­kas Stüh­le), der un­ter sei­nem Re­gen­man­tel ei­nen grau­en Sa­tin­an­zug trägt, ist mit sel­te­nen Er­den, Blut­dia­man­ten und als Men­schen­schlep­per stein­reich ge­wor­den – und sehr sehr einsam.

Erik (Finn Leib­le) in le­der­ner Knie­ho­se und Trach­ten­ja­cke ist zwar ein Jä­ger, aber auch ein zit­tern­der Angst­ha­se, den die Ei­fer­sucht und der längst ge­ahn­te Ver­lust Sen­tas letzt­lich zum Äu­ßers­ten treibt. Am Ende zielt er auf den Ne­ben­buh­ler, trifft aber die Ge­lieb­te, die mit ih­rem Treue­schwur für den Hol­län­der ihr Le­ben aus­haucht. „Und bei­de“, kom­men­tiert Mary, die am Ende so­gar eine Jung­frau­en­geburt ins Spiel bringt, „fah­ren in den Him­mel, eng um­schlun­gen und er­löst.“ Was fast ge­nau­so bei Wag­ner in der Re­gie­an­wei­sung steht.

Die Dar­stel­ler von links: Lu­kas Stüh­le, Finn Leib­le (sit­zend), Con­ny Trap­per, An­net­te Zeus und Frank Jo­seph Mais­el – Foto: Tho­mas Eberlein

Schon die Be­zie­hun­gen der Fi­gu­ren un­ter­ein­an­der – auch Hol­län­der und Da­land ent­pup­pen sich hier als Kon­kur­ren­ten, und zwar um Sen­tas Mut­ter, Da­lands dann früh ver­stor­be­ne Frau –, sind ein ein­zi­ges Kud­del­mud­del. Erst recht sind es die Quel­len, aus de­nen sich das Stück speist.

Uwe Hop­pe baut wie im­mer nicht nur ori­gi­na­le und leicht ver­än­der­te Wag­ner-Zi­ta­te ein, son­dern sucht und fin­det für die „Holländer“-Handlung auch sprach­li­che und in­sze­na­to­ri­sche Ana­lo­gien in sei­nen ei­ge­nen Ad­ap­tio­nen, in an­de­ren Wag­ner-Wer­ken und in der Thea­ter­li­te­ra­tur. Eine Fund­gru­be für Ken­ner, an­sons­ten ein Zitatendschungel!

Was den tra­di­tio­nel­len Spiel­ort im Hof der Kla­vier­ma­nu­fak­tur Stein­grae­ber be­trifft, wur­de, um nicht nur vor höchs­tens zwan­zig Zu­schau­er auf­tre­ten zu dür­fen, eine krea­ti­ve Lö­sung ge­fun­den. Das karg mö­blier­te Büh­nen­vier­eck un­ter dem al­ten „Hier gilt’s der Kunst“-Gebälk öff­net sich jetzt im rech­ten Win­kel nach zwei Sei­ten und wird ge­konnt so be­spielt, dass das Pu­bli­kum aus un­ter­schied­li­chen Rich­tun­gen den­noch al­les se­hen und in fri­scher Luft sit­zen kann.

Die spar­sa­men wei­ßen Se­gel (Büh­ne: Uwe Hop­pe) er­mög­li­chen Auf­trit­te und Ab­gän­ge, was noch fehlt, ist eine kla­re­re Um­set­zung der vi­sio­nä­ren Tei­le des Stücks, die we­ni­ger ver­sier­te Thea­ter­gän­ger viel­leicht nicht er­ken­nen. Und rich­tig scha­de ist, dass der Re­gis­seur den sonst so ver­sier­ten  Stu­dio­büh­nen-Ak­teu­ren, die alle kei­ne Pro­fi­dar­stel­ler sind, die not­wen­di­ge Un­ter­stüt­zung bei den nicht we­ni­gen Ge­sangs­ein­la­gen ver­sagt. Ein Be­gleit­in­stru­ment könn­te da Wun­der wirken.

Dass es im Ver­gleich zu den an­de­ren Wag­ner-Stü­cken Hop­pes kaum et­was zu la­chen gibt, hat wohl mit der Ver­dich­tung der Hand­lung zu tun. Es geht Schlag auf Schlag, und gleich­zei­tig bleibt kaum Luft, den zu­sätz­lich ver­kom­pli­zier­ten Be­zie­hungs­kis­ten in al­len Ver­äs­te­lun­gen zu fol­gen. Am Ende fragt man sich ver­duzt, wer jetzt mit wem wel­ches Kind ge­macht hat. Es lohnt sich aber trotz­dem. Don­nern­der Bei­fall bei der Ur­auf­füh­rung am 17. Juli.

Ter­mi­ne und Tickets
Wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 23., 25., 29. und 30. Juli so­wie am 3., 6., 7., 8., 12., 13., 14., 17., 20. und 21. Au­gust. Kar­ten­te­le­fon 0921/69001, on­line di­rekt bei der Stu­dio­büh­ne Bay­reuth. An­fra­gen nach Rest­kar­ten ab ei­ner Stun­de vor Vor­stel­lungs­be­ginn un­ter 0151/56291925.

Am Ende ste­hen alle be­dröp­pelt vor der to­ten Sen­ta: Schluss­sze­ne aus Uwe Hop­pes neu­em Wag­ner-Stück „Flieg, Hol­län­der, flieg!“ – Foto: Tho­mas Eberlein