Digital Natives auf Drachenjagd

Frank Jo­seph Mais­el als Wo­tan. Foto: Tho­mas Eberlein

„Werk­statt Bay­reuth“? Ist doch längst (Festspiel-)Geschichte. Aber es gibt sie noch. Nicht oben im Fest­spiel­haus, son­dern un­ten, in der klei­nen »Scheu­ne«, im über­dach­ten Hof der Kla­vier­fa­brik Stein­grae­ber, wo sich die Stu­dio­büh­ne Bay­reuth un­ter ih­rem Au­tor und Re­gis­seur Uwe Hop­pe seit sage und schrei­be fünf­und­drei­ßig Jah­ren Fest­spiel­som­mer für Fest­spiel­som­mer an Wag­ner selbst und sei­nen Nach­kom­men, vor al­lem aber an sei­nen Wer­ken ab­ar­bei­tet. Und zwar so pas­sio­niert, dass man ins Schleu­dern kommt, wenn man nach­zäh­len will, wie vie­le Ring-Ver­sio­nen der Stu­dio­büh­ne in wel­cher Län­ge be­zie­hungs­wei­se Kür­ze es schon gab. Die neu­es­te (dies­mal kom­bi­niert mit ei­nem kna­ckig kur­zen Par­si­fal) heißt Heda! Heda! Hedo! What the Fuck is Wag­ner? und hat­te am 14. Juli Premiere.

Frug man sich bei der Fest­spiel-Werk­statt am Grü­nen Hü­gel frü­her, was der Re­gis­seur im Ver­gleich zum Vor­jahr ge­än­dert und ver­bes­sert hat­te – und da ging es bei­lei­be nicht nur dar­um, ob es noch ein über­flüs­si­ges Kro­ko­dil mehr ge­ben wür­de oder nicht –, stellt sich bei den Wag­ner-Ad­ap­tio­nen Uwe Hop­pes fürs Sprech­thea­ter eher die Fra­ge, ob und wie er sei­ne gül­ti­gen Wag­ner-Werk-Kon­zen­tra­te an­ders auf­zieht. Der An­satz ist dies­mal ei­ner, der fast je­den Kul­tur­ver­ant­wort­li­chen um­treibt: Wie kriegt man jun­ge Leu­te ins Thea­ter? Wie kann man ih­nen – schwie­ri­ger noch – Wag­ner schmack­haft ma­chen, wenn sie kei­nen blas­sen Schim­mer von Oper, ge­schwei­ge denn vom aus­schwei­fen­den Mu­sik­thea­ter des Bay­reu­ther »Meis­ters« haben?

Uwe Hop­pe schickt also Di­gi­tal Na­ti­ves, die à la „Po­ké­mon Go“ auf Mons­ter­jagd sind, kon­kret ins Hof­thea­ter im Stein­grae­ber-Pa­lais, wo sie zwangs­läu­fig auf zwei Bay­reu­ther Alt-Wag­ne­ria­ner tref­fen – „zu­nächst vor ei­ner Schup­fen­wand, die sich spä­ter zum Hort von Wag­ners Geist ver­wan­delt“ (Büh­nen­bild: Mi­cha­el Bach­mann). Erst ist es eher eine Kol­li­si­on, dann eine Ko­ali­ti­on, denn die Sto­ry von Sieg­fried und Faf­ner, die die zwei Al­ten er­zäh­len, klingt zwar alt­mo­disch, aber so schwer nach Sex & Crime & Rock’n’Roll, dass die vier jun­gen Leu­te (Drachen-)Blut le­cken und sich mehr oder we­ni­ger wil­lig dar­auf ein­las­sen, mit ih­ren Men­to­ren die Ring-Ge­schich­te in ver­teil­ten Rol­len und ver­än­der­ter Rei­hen­fol­ge nachzuspielen.

Erst gibt es die Kurz­ver­si­on von Sieg­fried, es fol­gen Rhein­gold und Wal­kü­re, wo ers­tens Ne­ben­gott Don­ner aus­nahms­wei­se, weil ti­tel­ge­bend, nicht auf Ur­laub ist, und wo zwei­tens, auf den Punkt ge­nau wie im­mer, Sieg­mund und Sieg­lin­de sich un­ter dem spät­abend­li­chen Glo­cken­klang der Stadt­kir­che krie­gen, was ein­ge­fleisch­ten Fans der Stu­dio­büh­nen-Wag­ner-Pro­duk­tio­nen feuch­te Au­gen be­schert. Dann erst kommt die Göt­ter­däm­me­rung, er­neut mit ei­nem Brünn­hil­den-Schluss­mo­no­log, der es in sich hat. Als Zu­ga­be folgt noch eine Po­cket-Fas­sung des Büh­nen­weih­fest­spiels Par­si­fal, und das al­les wird gar­niert mit Er­in­ne­run­gen an Zei­ten vor al­lem der jün­ge­ren Fest­spiel­ge­schich­te, als Bay­reuth tat­säch­lich wie­der der Na­bel der Kunst­welt war.

Def­ti­ge An­mer­kun­gen zum ak­tu­el­len Neu­neu­bay­reuth dür­fen nicht feh­len. „Die gau­keln uns vor“, sagt Esche, „al­les wäre groß­ar­tig.“ Max kon­tert: „Da­bei ist es klein­geis­ti­ger Käse, den es über­all auf der Welt bes­ser zu se­hen gibt.“ Die Kri­tik ist hand­fest, die Spra­che ist es auch. Aber das war schon im­mer so bei Uwe Hop­pe, der aus­gie­big nicht nur in ori­gi­na­len und ver­frem­de­ten Wag­ner-Zi­ta­ten, son­dern in­zwi­schen auch in Selbst­zi­ta­ten ba­det, so­wohl was das Text­buch als auch die In­sze­nie­rung (samt Aus­stat­tung) betrifft.

Das er­schließt sich na­tür­lich nicht je­dem Zu­schau­er, was aber gar nichts macht, denn die Pro­duk­ti­on bie­tet selbst­ver­ständ­lich meh­re­re Ver­ständ­nis­ebe­nen: Wag­ner für An­fän­ger, für Fort­ge­schrit­te­ne – und für Ein­ge­weih­te bzw. Ve­te­ra­nen. Letz­te­re ni­cken in­ner­lich zu­stim­mend, wenn auf­ge­zählt wird, wel­che neu­en Re­gie-Ein­fäl­le, wel­che In­ter­pre­ta­ti­ons­va­ri­an­ten, Büh­nen­bild- und Kos­tüm-Ideen zu­al­ler­erst beim Stu­dio­büh­nen-Wag­ner zu er­le­ben wa­ren und mit zum Teil Jahr­zehn­te lan­ger Ver­spä­tung schließ­lich in den gro­ßen Staats­thea­tern wie­der­ge­käut wur­den und werden.

Ein Hauch Bit­ter­keit schwingt da schon mit. Na­tür­lich muss man sich fra­gen, war­um kein In­ten­dant – von un­be­gabt Re­gie füh­ren­den Fest­spiel­lei­te­rin­nen ganz zu schwei­gen – je dar­auf ge­kom­men ist, Uwe Hop­pes stu­pen­den Wag­ner-Kennt­nis­se für die In­sze­nie­rung ei­nes kom­plet­ten und nicht ge­kürz­ten Wag­ner-Werks zu nut­zen. Er bräch­te ne­ben sei­nem hand­werk­li­chen Kön­nen zu­dem et­was mit, das bei den Fest­spie­len in­zwi­schen weit­ge­hend ver­lo­ren scheint: den Wil­len zur Wei­ter­ar­beit an ei­ner Neu­pro­duk­ti­on, mög­lichst mit der­sel­ben Be­set­zung, was ei­nen Fein­schliff er­mög­licht, der sich nur dann er­gibt, wenn man nicht nur für eine Sai­son zu­sam­men­ar­bei­tet, son­dern als Fern­ziel vor Au­gen hat, Sai­son für Sai­son bes­ser zu werden.

Die Stu­dio­büh­ne prak­ti­ziert die­sen Werk­statt­ge­dan­ken im­mer noch. Des­halb braucht man sich auch kei­ne Sor­gen zu ma­chen, wenn der Be­ginn des neu­en Stücks zu um­ständ­lich und lang­at­mig ge­ra­ten ist: Vom Kür­zen ver­steht Uwe Hop­pe jede Men­ge. Von prä­zi­ser Per­so­nen­füh­rung auch, was die be­wun­derns­wer­te Leis­tung der nur sechs Ak­teu­re spie­gelt, die al­le­samt kei­ne pro­fes­sio­nel­len Schau­spie­ler sind, son­dern Lai­en, die über sich hin­aus­wach­sen. Frank Jo­seph Mais­el und Con­ny Trap­per als Alt-Wag­ne­ria­ner Max und Esche be­hal­ten sin­ni­ger­wei­se ihr ori­gi­na­les Bay­reu­ther Idi­om bei, wäh­rend die vier jun­gen Dar­stel­ler – Lu­kas Stüh­le (Wil­helm), Anja Kraus (Ros­wi­tha), Finn Leib­le (Cas­par) und An­net­te Lauck­ner (Hed­wig) – im stän­di­gen Rol­len­wech­sel nicht nur das dar­stel­le­ri­sche Pro­fil und ih­ren Stil, son­dern auch ihre Sprech­wei­se än­dern dür­fen, kön­nen, müs­sen, sollen.

Das al­les in ei­nem atem­be­rau­ben­den Tem­po, ver­steht sich. Auch beim Kos­tüm­wech­sel, der mit den be­son­de­ren Reiz von Heda! Heda! Hedo! aus­macht. Hei­ke Betz hat ne­ben hin­rei­ßen­den Kos­tüm­zi­ta­ten er­neut Lö­sun­gen ge­fun­den, die ih­res­glei­chen su­chen. Was für ein Wal­kü­ren­helm! Was für ein ge­nia­les Par­si­fal-Kos­tüm, das – ver­mut­lich hand­ge­strickt – alle Hel­den­röck­chen und Rup­fen­hem­den in sich ver­eint! Über­ra­schen­der­wei­se kommt dies­mal die Mu­sik auf­fal­lend kurz. Ein paar Ori­gi­nal­klän­ge, da­mit hat es sich schon. Ist das viel­leicht ein Ab­ge­sang, wie ihn die sonst nur schwer er­klär­li­chen Ei­gen­na­men der Fi­gu­ren die­ser Ko­mö­die sug­ge­rie­ren? Hof­fent­lich nicht. Denn wo sonst be­kommt das Pu­bli­kum nach dem Ring und nach dem Schluss­ap­plaus noch Rory Gal­lag­hers Pis­tol Slap­per Blues mit auf den Weg?

Be­such­te Ur­auf­füh­rung am 14. Juli, wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 25., 28. und 31. Juli so­wie am 2., 4., 5., 10., 16., 17. und 19. Au­gust 2017, je­weils um 20 Uhr. Kar­ten­te­le­fon 0921/69001, wei­te­re In­fos auf der Home­page der Stu­dio­büh­ne Bay­reuth