Mit Ironie geht alles besser: Kay Metzgers Inszenierung des „Fliegenden Holländer“ im Staatstheater Meiningen wurde begeistert aufgenommen und ist auch musikalisch ein Hit.
Gerade erst gab es bei uns von Sabine Sonntag über „Wagner im Film“ einen spannenden Multimediavortrag. Und schon schwappt aus Meiningen die Kunde von einer „Holländer“-Inszenierung, die tatsächlich im Kino spielt – ein Zufall, der vor Ort nur dadurch getoppt wurde, dass in der Premierenwoche der Theaterparkplatz noch als Rummelplatz fungierte, unter anderem mit einer Riesenschiffsschaukel à la „Fluch der Karibik“. Letzterer inspirierte denn auch Kay Metzger, der zum Abschluss seiner Wagner-Produktionen in Detmold 2017 den „Fliegenden Holländer“ inszenierte, ihn zu seinem neuen Wirkungsort als Intendant mit nach Ulm nahm und damit auch für Meiningen engagiert wurde. Die Premiere musste wegen Corona dreimal verschoben werden, am 16. Oktober konnte das Staatstheater ihn endlich vom Stapel lassen.
Wie im heutigen Regietheater üblich, haben der Regisseur und seine Ausstatterin Petra Mollérus Zeit und Ort der Handlung nicht wörtlich genommen. Das einzige Schiff, das hier noch vorkommt, ist aus Papier und wird von Senta gefaltet. Und zwar nicht nur einmal, denn die ansonsten brav wirkende Tochter des trinkfreudigen Seemanns Daland geht jeden Tag in denselben Film. „Fluch der Meere“ heißt er, und der Kapitän nennt sich nicht Jack Sparrow, sondern Holländer. Er materialisiert sich plötzlich aus dem Filmplakat, das im Kinofoyer hängt, dem Einheitsraum mit Bistro, wo alle drei Akte spielen. Das Tolle an dieser Grundidee ist, sie funktioniert – funktioniert prächtig! Sogar besser als beim neuen „Holländer“ in Bayreuth, wo die Kneipe nur im 1. Akt vorkommt.
Das Kinofoyer als Übergangsbereich zwischen Realität und Fiktion erweist sich auch deshalb so praktisch für diese Geschichte, weil durch den ganzen Abend nicht nur ein Hauch, sondern eine ganz schön steife Brise an szenischer Ironie weht. Im zwischen den späten 50er- und frühen 70er-Jahren schwankenden Kleinbürgermilieu geht es hin und wieder ganz schön gruselig zu. So schnell wie die Spinnerinnen kann kein normaler Mensch stricken. Aber sie sind ja eh nur eine farbig markierte Senta-Projektion, eine ausnahmsweise sinnvolle Vervielfachung. Dass Steuermann und Mary die Barkeeper sind, leuchtet hier ebenso ein wie das „Mensch ärgere dich nicht“-Spiel, in das Holländer, Senta und Daland im 3. Akt so vertieft sind, dass sie das Bohei der exzellent singenden Barkeeper-Chöre gar nicht wahrnehmen – und die zu kleinen Segeln sich blähenden Stoffservietten auch nicht.
Gespielt wird eine Mischfassung nach der kritisch-wissenschaftlichen Ausgabe, mit dem Erstdruck der Partitur als Hauptquelle, aber mit Erlösungsschluss in der Ouvertüre. Die Pausenunterbrechung mitten im 2. Akt ist machbar, weil das Publikum sich bis dahin an Ein- und Ausblendungen und daran gewöhnt hat, als Inszenierungsbestandteil hin und wieder voll beleuchtet zu werden.
Das überraschende Ende des Abends soll nicht verraten werden. Nur so viel: Senta muss nicht sterben. Auch sonst geht bei dieser Produktion alles gut aus. Die Sängerdarsteller verkörpern ihre Rollen glaubhaft und singen in überraschend großer Wortverständlichkeit, was daran liegt, dass Generalmusikdirektor Philippe Bach, der Meiningen am Ende dieser Saison leider verlassen wird, das Orchester nur dann schwer aufbrausen lässt, wenn kein Solist singen muss. Es geht dem Dirigenten weniger um hochromantischen Rausch. Vielmehr betont er das Spielopern-, ja Lortzinghafte der Musik, was sich trifft mit der gegebenen szenischen Leichtigkeit. Indem er die Orchesterdynamik sehr differenziert steuert, macht er einen sängerischen Wohlklang möglich, der diesen Abend zu einem besonderen macht.
In den Hauptpartien überzeugen Shin Taniguchi als Holländer und Lena Kutzner als Senta. Beider Stimmen sorgen in ihren vielfältigen Nuancen dafür, dass sich auf der Bühne das Musikdrama vollzieht, wie Wagner es intendiert haben mag. Tomasz Wija ist ein fast schon zu schunkel-liedhaft singender Daland, während Michael Siemons Erik rollengerecht leidet. Tamta Tarielashvili als beweglich-sonore Mary und Rafael Helbig-Kostka als stimmliche Leuchtraketen abfeuernder Steuermann ergänzen das Solistenensemble. Ein Sonderlob gebührt dem von Manuel Bethe einstudierten Chor und Extrachor des Staatstheaters Meiningen. Der lang entbehrte Vollklang eines Chors beglückt umso mehr, wenn so exakt und klar gesungen wird. Am Ende ungetrübter, begeisterter Premierenbeifall.
Besuchte Premiere am 16. Oktober 2021, weitere Vorstellungen am 1. und 6.11., 29.12.2021 sowie 10.3.2022. Tickets unter Telefon 03693/451-222 und 451-137 sowie auf der Homepage des Theaters
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