Keine Jugendsünde

Un­ser Mit­glied An­dre­as H. Höl­scher hat wie un­se­re Rei­se­grup­pe am 1. Ok­to­ber die Vor­stel­lung der „Feen“ am Staats­thea­ter Mei­nin­gen be­sucht und uns sei­ne zu­erst bei O-Ton ver­öf­fent­lich­te Be­spre­chung zur Ver­fü­gung gestellt.

Alle Sze­nen­fo­tos der Mei­nin­ger „Feen“-Produktion: ©Chris­ti­na Iberl

Wer die Opern Ri­chard Wag­ners liebt oder sich gar als Wag­ne­ria­ner be­zeich­net, der meint in der Re­gel die zehn in Bay­reuth auf­ge­führ­ten Wer­ke, vom „Flie­gen­den Hol­län­der“ bis zum „Par­si­fal“. Für ei­ni­ge ge­hört auch noch „Ri­en­zi oder der letz­te der Tri­bu­nen“ dazu, der aber bis­her in Bay­reuth nicht ge­spielt wur­de, was sich wohl aber ab 2026 än­dern soll. Doch die bei­den ers­ten Wer­ke Wag­ners, „Die Feen“ und „Das Lie­bes­ver­bot oder die No­vi­zin von Pa­ler­mo“, fris­ten eher ein küm­mer­li­ches Da­sein, er­schei­nen so gut wie nie auf ei­nem Spiel­plan. Wag­ner hat sich von sei­nen drei Ju­gend­wer­ken aus un­ter­schied­li­chen Grün­den spä­ter di­stan­ziert, sie gar als „Ju­gend­sün­den“ be­zeich­net und ver­fügt, dass sie nicht in Bay­reuth ge­spielt wer­den dür­fen. In Leip­zig hat man vor zehn Jah­ren an­läss­lich des 200. Ge­burts­ta­ges von Ri­chard Wag­ner alle drei­zehn Wer­ke auf die Büh­ne ge­bracht, ein­schließ­lich der Früh­wer­ke. Da­nach ist es wie­der ru­hig ge­wor­den um Wag­ners Ju­gend­sün­den. Nun hat das Staats­thea­ter Mei­nin­gen Wag­ners ers­te voll­ende­te Oper als Mei­nin­ger Erst­auf­füh­rung auf den Spiel­plan ge­bracht, ziem­lich ge­nau 135 Jah­re nach der Ur­auf­füh­rung in Mün­chen 1888.

Für Wag­ner selbst wa­ren die „Feen“ be­reits sein vier­tes Büh­nen­werk. Von sei­nem De­büt­werk, dem gro­ßen Trau­er­spiel „Leu­bald“ voll­ende­te Wag­ner nur den Text, die Ver­to­nung hat er mög­li­cher­wei­se nie be­gon­nen. Von sei­ner zwei­ten Oper ist nicht ein­mal der Ti­tel über­lie­fert. Die Schau­er­oper „Die Hoch­zeit“ brach Wag­ner um die Jah­res­wen­de 1832/33 ab, nach­dem die Fa­mi­lie, vor al­lem sei­ne Schwes­ter Ro­sa­lie, die Hand­lung ab­scheu­lich fand. Im Ja­nu­ar 1833 wen­de­te sich Wag­ner dann schließ­lich den „Feen“ zu. Die li­te­ra­ri­sche Vor­la­ge für die­se Oper war Car­lo Goz­zis „La don­na ser­pen­te“ – Die Frau als Schlan­ge – von 1762. Wag­ner hat­te den Text be­reits in Leip­zig fer­tig­ge­stellt, be­vor er mit der Ab­sicht, ihn zu ver­to­nen, im Ja­nu­ar 1833 nach Würz­burg zog. Dort wur­de er von 1833 bis 1834 als Chor­re­pe­ti­tor am Würz­bur­ger Thea­ter tä­tig. Die Par­ti­tur be­en­de­te er am 6. Ja­nu­ar 1834. Der Ver­such, die Oper in Leip­zig auf­zu­füh­ren, schlug fehl. Nach­dem die In­ten­dan­ten eine Zu­sa­ge über die Auf­füh­rung der „Feen“ in ih­rem Hau­se im­mer wei­ter hin­aus­scho­ben, wand­te sich Wag­ner im Herbst 1835 wohl end­gül­tig von dem Werk ab. „Die Feen“ spie­len ab die­sem Zeit­punkt kei­ne Rol­le mehr in sei­nem Le­ben. Zu Weih­nach­ten 1865 schenk­te Wag­ner die Ori­gi­nal­par­ti­tur der Oper sei­nem Gön­ner Kö­nig Lud­wig II. von Bayern.

Zur Ur­auf­füh­rung der „Feen“ kam es erst post­hum am 29. Juni 1888 im kö­nig­li­chen Hof- und Na­tio­nal­thea­ter in Mün­chen un­ter Lei­tung von Fritz Fi­scher. Die Ein­stu­die­rung hat­ten Her­mann Levi und Ri­chard Strauss vor­ge­nom­men. Die Pro­duk­ti­on war so er­folg­reich, dass das Werk bis 1891 fünf­zig Mal ge­ge­ben wur­de. Es wur­de aber auch gleich nach der Ur­auf­füh­rung harsch kri­ti­siert. So schrieb Edu­ard Hans­lick, der zu die­sem Zeit­punkt al­ler­dings ein mi­li­tan­ter An­ti­wag­ne­ria­ner war: „Dies un­ge­nieß­ba­re Feen-Ra­gout hat der jun­ge Wag­ner in ein Ge­bräu von Mu­sik ge­taucht, aus dem nie­man­dem die Ah­nung ei­ner gro­ßen Zu­kunft auf­däm­mern wür­de. (…) Nicht ein star­ker ori­gi­nel­ler Ge­dan­ke, nicht eine reiz­vol­le Me­lo­die, nicht ein aus dem Her­zens­grund auf­quil­len­der Ton un­ter­bricht das Ei­ner­lei die­ser mu­si­ka­li­schen Fa­briks­ar­beit.“ Auf Dau­er ver­moch­ten sich die „Feen“ nicht auf den Spiel­plä­nen zu be­haup­ten. Nun ist mit der Mei­nin­ger Erst­auf­füh­rung auch das letz­te Werk der drei­zehn Opern Ri­chard Wag­ners in Mei­nin­gen auf die Büh­ne ge­bracht worden.

Mu­si­ka­lisch ste­hen „Die Feen“ in der Tra­di­ti­on der deut­schen ro­man­ti­schen Oper, be­ein­flusst von Kom­po­nis­ten wie Carl Ma­ria von We­bers „Eu­ryan­the“ und „Der Frei­schütz“ so­wie Hein­rich Marsch­ners „Der Vam­pyr“. Das Buf­fo-Paar Ger­not und Drol­la, ein­zig­ar­tig in die­ser Kon­stel­la­ti­on bei Wag­ner, scheint aus ei­ner Spiel­oper Al­bert Lortzings ent­lie­hen zu sein. Aber auch der Ein­fluss von Beet­ho­vens „Fi­de­lio“ und Mo­zarts „Zau­ber­flö­te“ ist ne­ben an­de­ren mu­si­ka­li­schen Vor­bil­dern wie Mey­er­beer und Ber­li­oz un­über­hör­bar. Schon in die­sem frü­hen Werk taucht Wag­ners spä­te­res Haupt­the­ma auf, die Er­lö­sung durch die Lie­be. Auch ein­zel­ne Mo­ti­ve wei­sen schon auf spä­te­re Wer­ke wie „Der Flie­gen­de Hol­län­der“, „Tann­häu­ser“ und „Lo­hen­grin“ hin. Schon in der Ou­ver­tü­re er­klingt deut­lich ein Mo­tiv, das spä­ter fast no­ten­gleich im gro­ßen Du­ett von Hol­län­der und Sen­ta im zwei­ten Akt ver­wen­det wird. Der jun­ge Wag­ner hat sich an die­sem über drei Stun­den dau­ern­den Weg mu­si­ka­lisch rich­tig aus­ge­tobt. Es schien in ihm ge­bro­delt zu ha­ben, der jun­ge Kom­po­nist woll­te ganz früh al­les, was in sei­nem Kopf vor­ging, in ei­nem Werk zu­sam­men­fas­sen. Das konn­te so nicht funk­tio­nie­ren. Un­ter­schied­li­che, teil­wei­se in­ho­mo­ge­ne Mu­sik­sti­le, noch kom­plett durch­kom­po­nier­te Re­zi­ta­ti­ve und Ari­en, die von den Sän­gern na­he­zu Un­mög­li­ches ver­lan­gen, ha­ben auch dazu ge­führt, dass das Werk, von dem Wag­ner sich selbst sehr früh di­stan­ziert hat, so gut wie kei­nen Zu­gang mehr zum heu­ti­gen Opern­re­per­toire ge­fun­den hat. Den­noch sind die „Feen“ bei­lei­be kei­ne Ju­gend­sün­de. Man muss sie los­ge­löst von Wag­ners spä­te­ren Wer­ken be­trach­ten, als ein Werk sei­ner Zeit, der gro­ßen Ro­man­tik, in der Nach­fol­ge vom „Frei­schütz“ oder dem „Vam­pyr“.

GMD Kil­li­an Far­rell bei sei­ner Ein­füh­rung – Foto: Mo­ni­ka Beer

Re­gis­seu­rin Yona Kim, Büh­nen­bild­ner Jan Free­se und Kos­tüm­bild­ner Frank Schön­wald ver­le­gen die Oper in die Zeit der Ent­ste­hungs­ge­schich­te, des Vor­märz, und stel­len die Epo­che der Ro­man­tik in den Vor­der­grund. Mit ei­ner mu­si­ka­lisch et­was ge­straff­ten Ver­si­on geht das Kon­zept voll auf, ohne zu po­li­ti­sie­ren, zu mo­ra­li­sie­ren oder es in die heu­ti­ge Zeit über­tra­gen zu wol­len. Das hät­te bei dem Werk auch nicht funk­tio­niert. Fast bis zum Schluss der Ou­ver­tü­re bleibt wohl­tu­end der Vor­hang ge­schlos­sen, so dass zu­nächst der Fo­kus ganz der Mu­sik ge­hört, die vom jun­gen Di­ri­gen­ten Kil­li­an Far­rell sehr ro­man­tisch mit Be­to­nung der ver­schie­de­nen Mo­ti­ve vor­ge­tra­gen wird. Far­rell, seit die­ser Spiel­zeit der neue GMD am Staats­thea­ter Mei­nin­gen, hat schon bei der Werk­ein­füh­rung vor der Vor­ein­stel­lung mit Mu­sik­bei­spie­len am Kla­vier auf die Be­zie­hun­gen der „Feen“ zum „Tann­häu­ser“, zum „Frei­schütz“ und zu „Fi­de­lio“ hin­ge­wie­sen und da­bei mit ei­ner an­spre­chen­den Ge­sangs­stim­me über­rascht. Far­rell ist auch aus­ge­bil­de­ter Chor­sän­ger. Als sich der Vor­hang öff­net, er­blickt man ei­nen weiß­ge­tä­fel­ten Raum mit ei­nem Kran­ken­bett, an der Sei­te ein Cem­ba­lo, und in der Mit­te ein Bild des Ma­lers Jo­hann Hein­rich Wil­helm Tisch­bein, „Kos­mi­sche Land­schaft“, der es um 1821 als ro­man­ti­sches Land­schafts­bild an­fer­tig­te und eine mond­be­glänz­te Zau­ber­nacht und Wald­ein­sam­keit dar­stellt. Das Bild wird dann auf die gan­ze Büh­nen­wand pro­ji­ziert, und man taucht als Zu­schau­er gleich ein in die ro­man­ti­sche, über 200 Jah­re alte Zeit. Das Kran­ken­bett sym­bo­li­siert von Be­ginn an den Ge­müts­zu­stand Arind­als, der un­ter De­pres­sio­nen und Wahn­vor­stel­lun­gen lei­det. Am Schluss der Auf­füh­rung wird klar, die gan­ze Ge­schich­te ist die Wahn­vor­stel­lung ei­nes psy­chisch kran­ken Menschen.

Gleich­zei­tig wird die Vor­ge­schich­te der Oper, die für das Ver­ständ­nis des Wer­kes un­er­läss­lich ist, in gro­ßen Let­tern ein­ge­blen­det: „Arind­al, Prinz von Tra­mond, und sein Jä­ger Ger­not sind auf der Jagd im Wald. Da se­hen sie eine be­son­ders schö­ne Hirsch­kuh. Als Arind­al ver­sucht, das Tier zu er­le­gen, ver­wan­delt es sich in die Fee Ada. Arind­al und Ada ver­lie­ben sich so­fort in­ein­an­der. Ge­gen den Wil­len des Feen­kö­nigs will Ada ih­ren Ge­lieb­ten hei­ra­ten. Der Feen­kö­nig wil­ligt un­ter der Be­din­gung ein, dass Arind­al Ada wäh­rend der ers­ten acht Jah­re nicht fra­gen darf, wer sie sei. Arind­al ak­zep­tiert die­se Be­din­gung. Die Jah­re ver­ge­hen, bei­de ha­ben zwei Kin­der, als schließ­lich Arind­al Ada kurz vor Ab­lauf der Frist fragt, wer sie sei.“ Das Fra­ge­ver­bot und sein Bruch kommt dem Opern­freund na­tür­lich be­kannt vor. Im „Lo­hen­grin“ ist es der Grals­rit­ter, der das Ver­bot aus­spricht, und sei­ne Braut Elsa die­je­ni­ge, die es noch in der Hoch­zeits­nacht bricht. „Als Kon­se­quenz wer­den Arind­al und Ger­not aus dem Feen­reich ver­trie­ben und in eine wil­de, öde Ge­gend ver­frach­tet. Ada, die nicht be­reit ist, ih­ren Ge­mahl auf­zu­ge­ben, will auf ihre Un­sterb­lich­keit ver­zich­ten und be­gibt sich auf die Su­che nach Arindal.“

Yona Kim sagt über ihre In­sze­nie­rung, dass Wag­ner das Werk in der Vor­märz­zeit vor der Deut­schen Re­vo­lu­ti­on kom­po­niert habe, es ist die Zeit des Ham­ba­cher Fes­tes 1832. Da­mals habe ein re­pres­si­ves Ge­sell­schafts­kli­ma in „bi­got­ter Freud­lo­sig­keit und bie­der­mei­er­li­cher Be­klom­men­heit“ ge­herrscht. Dem vor­märz­li­chen Men­schen blieb oft nur der Rück­zug ins Pri­va­te. Gleich­zei­tig wuchs die „sub­ver­si­ve Un­ru­he in der Ge­sell­schaft wie ein Schwel­brand.“ Der Zu­fluchts­ort aus die­ser un­er­träg­li­chen Rea­li­tät sei die Na­tur ge­we­sen. Der Wald mit all sei­nen un­heim­li­chen Mär­chen­ge­stal­ten dien­te ja auch des­halb als Schau­platz der deut­schen Ro­man­tik. Des­halb habe sie die Ge­schich­te dort ver­or­tet und die Fi­gu­ren un­ter der „his­to­ri­schen Fo­lie des Vor­märz“ un­ter­sucht, sagt Kim. Das spie­gelt sich auch in den Kos­tü­men des Cho­res und der Feen Far­z­a­na und Ze­mi­na so­wie bei Arind­al und Ger­not wi­der, die sehr an die Bie­der­mei­er­zeit er­in­nern, wäh­rend Ada und Lora eher mo­dern ge­klei­det sind. Wäh­rend der Büh­nen­raum sich vom Grund­satz nicht än­dert, nur durch Ver­schie­ben von Wän­den er­wei­tert oder ver­klei­nert wird, wer­den wei­te­re be­kann­te ro­man­ti­sche Bil­der ge­zeigt, dar­un­ter „Der Wan­de­rer über dem Ne­bel­meer“, ein um 1818 ent­stan­de­nes Ge­mäl­de von Cas­par Da­vid Fried­rich, das ei­nen Mann in dun­kel­grü­ner Klei­dung als Rü­cken­fi­gur, in auf­rech­ter Hal­tung am Berg­stock mit lin­kem Bein ge­stützt auf ei­nem fel­si­gen Gip­fel ei­nes Ge­bir­ges über das Meer aus dich­tem Ne­bel hin­weg­schau­end zeigt. Arind­al sieht man, wie der Wan­de­rer selbst, vor die­sem Bild ste­hend, als ob er in das Ne­bel­meer ein­tau­chen wol­le. Hier steht der Ne­bel mehr für die Ge­müts­ver­fas­sung. Das gilt auch für das „Das Eis­meer“, ein in den Jah­ren 1823/1824 eben­falls ent­stan­de­nes Ge­mäl­de von Cas­par Da­vid Fried­rich. Es zeigt eine ark­ti­sche Land­schaft mit sich auf­tür­men­den Eis­schol­len, un­ter de­nen auf der rech­ten Sei­te ein ge­ken­ter­tes Se­gel­schiff be­gra­ben liegt, nur mit ei­nem Teil des Hecks und ei­nem ge­bro­che­nen Mast sicht­bar. Die­se At­mo­sphä­re liegt qua­si über der Hand­lung, die et­was kon­fus und ver­wir­rend ist, aber von Kim und ih­rem Team sehr sau­ber her­aus­ge­ar­bei­tet wird.

Aus Lie­be zu Arind­al will Ada ein Mensch wer­den, was die Feen Ze­mi­na und Far­z­a­na je­doch zu ver­hin­dern ver­su­chen. Auf der Su­che nach Arind­al trifft Mo­rald, der Ge­lieb­te von Arind­als Schwes­ter Lora, auf Ger­not, Arind­als bes­tem Freund und Weg­be­glei­ter. Der of­fen­bart das Schick­sal Arind­als, wäh­rend Mo­rald sei­ner­seits vom aus­ge­bro­che­nen Krieg in Tra­mond und vom Tod des Kö­nigs be­rich­tet. Arind­al trifft auf sei­ne Freun­de. Ger­not be­zeich­net Ada ver­geb­lich als Hexe, um Arind­al zur Rück­kehr zu be­we­gen. Da Ger­nots Ver­leug­nung kei­ne Wir­kung zeigt, ap­pel­liert Mo­rald an Arind­als Pflicht­ge­fühl als Thron­fol­ger, der für den ver­stor­be­nen Va­ter in den Krieg zie­hen soll. Letzt­lich stimmt Arind­al der Rück­kehr nach Tra­mond zu. Da be­geg­net er noch ein­mal Ada. Sie ver­spricht ihm, dass sie sich am nächs­ten Tag wie­der­se­hen. Sie bit­tet ihn, sie nicht zu ver­flu­chen, was auch im­mer ge­sche­hen wer­de. Arind­al leis­tet den Schwur. So­weit der In­halt des ers­ten Ak­tes, der in dem Kran­ken­zim­mer ähn­li­chem Raum spielt. Arind­als zwei­te Arie singt er am Cem­ba­lo sit­zend, und tat­säch­lich auch nur vom Kla­vier be­glei­tet, mit ei­ner Pro­jek­ti­on der Kla­vier­tas­ta­tur und der spie­len­den Hän­de. Es ist wie eine Fan­ta­sie­welt, die sich nur in Arind­als Kopf ab­spielt, fern­ab jeg­li­cher Rea­li­tät. Der Über­gang zum zwei­ten Akt er­folgt mu­si­ka­lisch naht­los, le­dig­lich der sich sen­ken­de Vor­hang weist auf die Akt­fol­ge hin. Jetzt kommt auch Lora, Arind­als Schwes­ter, ins Spiel, die vor­her nur als stum­me Fi­gur zu se­hen ge­we­sen ist. Sie re­giert Tra­mond in Ab­we­sen­heit ih­res Bru­ders. In ei­nem ele­gan­ten wein­ro­ten Rock mit Bla­zer ge­klei­det, fällt sie vor al­lem durch ihre Ner­vo­si­tät auf und der un­se­li­gen Ma­rot­te, sich stän­dig eine Zi­ga­ret­te an­zün­den zu müs­sen. Nach der Rück­kehr Arind­als be­stimmt er Mo­rald zum Ober­be­fehls­ha­ber, der dann mit den Sol­da­ten Tra­monds in den Krieg zieht.

Der Wahn­sinn hat Arind­al schon ge­packt, und er sieht, wie Ada die bei­den ge­mein­sa­men Kin­der dem Feu­er­tod aus­setzt. Groß­ar­tig die Sze­ne, wie in dem al­ten Kin­der­wa­gen plötz­lich das Feu­er aus­bricht. Gleich­zei­tig be­haup­tet der Feld­herr Ha­rald, Ada habe sich mit dem Feind ver­bün­det und das Heer Tra­monds be­siegt. An die­ser Stel­le hat der Chor die ele­gan­ten Bie­der­mei­er­kos­tü­me mit ver­dreck­ter und blut­ver­schmier­ter Un­ter­wä­sche ge­tauscht. Das ist al­les zu viel für Arind­al, er ver­flucht Ada, die ihn doch so in­nig ge­be­ten hat­te, ihn nicht zu ver­flu­chen, was auch im­mer pas­sie­ren möge. Denn es war eine Pro­be für Arind­al, die er nicht be­stan­den hat. Hier ist auch die in­halt­li­che Nähe zur Zau­ber­flö­te ge­ge­ben. Der ei­gent­li­che Ver­rä­ter ist Ha­rald, und auch die Kin­der sind nicht tot, es war nur eine Täu­schung. Ada aber wird ob des ge­bro­che­nen Fluch­ver­bots für 100 Jah­re in ei­nen Stein ver­wan­delt. Für Arind­al ist das nicht zu er­tra­gen, er ver­fällt end­gül­tig dem Wahn­sinn. Im Schluss­akt sucht Arind­al ver­zwei­felt nach Ada. Die Feen Ze­mi­na und Far­z­a­na wei­sen ihm den Weg, und mit Hil­fe des Zau­be­rers Gro­ma be­steht er den Kampf ge­gen die Geis­ter. Der Chor der Geis­ter ist schon ein Vor­bo­te des Chors der to­ten See­leu­te des „Flie­gen­den Hol­län­der“. Der Feen­kö­nig be­lohnt Arind­als Mut, in­dem er ihn zu­sam­men mit Ada in sei­ne un­ter­ir­di­sche Welt auf­nimmt. Eine Sze­ne, die sehr dem Auf­tritt Sa­ras­tros am Schluss der „Zau­ber­flö­te“ äh­nelt. Man sieht eine wei­ße Hirsch­kuh mit ei­nem blu­ten­den Auge, wäh­rend Ada in ei­nem mo­der­nen blau­en Kos­tüm nicht mehr in Stein ver­wan­delt ist. Mo­rald und Lora hin­ge­gen über­neh­men die Re­gent­schaft über Tra­mond. Und die bei­den Feen und Ger­not ha­ben am Schluss ei­nen Arzt­kit­tel über­ge­zo­gen, ge­lei­ten Arind­al zu sei­nem Kran­ken­bett, ein­ge­sperrt von ei­ner gro­ßen Git­ter­tür, die den psy­chisch schwer trau­ma­ti­sier­ten Arind­al für im­mer von der Rea­li­tät entfernt.

Es sind gro­ße und nach­hal­ti­ge Bil­der, die Kim und ihr Team da pro­du­ziert ha­ben, die der ge­fühls­du­se­li­gen Ro­man­tik ein bru­ta­les Ende be­rei­tet. Ein wun­der­ba­rer An­satz, das so von The­men über­frach­te­te Ju­gend­werk Wag­ners in ei­ner pa­cken­den und mit­rei­ßen­den In­sze­nie­rung auf die Büh­ne zu brin­gen. Und auch mu­si­ka­lisch wie sän­ge­risch ist es eine über­zeu­gen­de Dar­bie­tung, was das Staats­thea­ter Mei­nin­gen hier auf die Büh­ne bringt. Lena Kutz­ner in der Rol­le der Fee Ada ist die bril­lie­ren­de Sän­ger­per­sön­lich­keit des Abends. Ihre Par­tie, ein Zwi­schen­ding zwi­schen Sen­ta und Beet­ho­vens Leo­no­re, meis­tert sie mit Bra­vour. Ihr ju­gend­lich-dra­ma­ti­scher kla­rer So­pran be­wäl­tigt die dra­ma­ti­schen Aus­brü­che und Spit­zen­tö­ne mit schein­ba­rer Leich­tig­keit. Ihre gro­ße So­lo­arie im zwei­ten Auf­zug meis­tert sie gran­di­os. Hier kün­digt sich hoff­nungs­voll eine gro­ße Wag­ner-Sän­ge­rin an. Man kann nur hof­fen, dass man sie in Mei­nin­gen be­hut­sam wei­ter auf­baut und Kutz­ner nicht den Feh­ler macht, sich zu früh mit den ganz gro­ßen Par­tien zu ver­bren­nen. Auch spie­le­risch ist sie gran­di­os, ihre Ge­fühls­schwan­kun­gen zeigt sie mit star­kem kör­per­li­chem Einsatz.

Chris­to­pher Dif­fey in der Rol­le des Arind­al ist der ein­zi­ge Gast im En­sem­ble und die „B-Be­set­zung“, die aber an die­sem Abend eine ein­deu­ti­ge „A-Be­set­zung“ ist. Er ist von der Stimm­la­ge ein Max, ein Eric, und da­mit ide­al für die kräf­te­zeh­ren­de Par­tie, die man durch­aus schon mit dem Tann­häu­ser ver­glei­chen kann. Dif­fey hat so­wohl die strah­len­den Hö­hen in den dra­ma­ti­schen Aus­brü­chen als auch wun­der­ba­re ly­ri­sche Mo­men­te. Und im Aus­druck und im Ges­tus ist er kein strah­len­der Held, son­dern ein ver­letz­ter, trau­ma­ti­sier­ter und sen­si­bler Mensch. Die Fi­gur ge­stal­tet Dif­fey mit sehr viel Herz­blut. Die So­pra­nis­tin De­niz Ye­tim als Fee Ze­mi­na und die Mez­zo­so­pra­nis­tin Ma­ri­an­ne Sch­ech­tel als Fee Far­z­a­na er­gän­zen sich in Spiel und Ge­sang wun­der­bar, sind die In­tri­gan­tin­nen und Mo­tor der In­sze­nie­rung, ha­ben stets die Fä­den in der Hand. Emma McN­airy als Arind­als Schwes­ter Lora be­sticht durch ih­ren kla­ren und in den Hö­hen leuch­ten­den So­pran, der stimm­lich und spie­le­risch mit Kutz­ners So­pran har­mo­niert, ohne da­bei hin­ten run­ter­zu­fal­len. Shin Ta­ni­guchi als ihr Ge­lieb­ter Mo­rald ge­fällt mit mar­kan­tem und text­ver­ständ­li­chem Ba­ri­ton und kräf­ti­gem Spiel. Der Bass-Ba­ri­ton Jo­han­nes Schwarz über­zeugt als Arind­als Freund Ger­not mit sehr ly­risch-war­mem Ge­sang, und die So­pra­nis­tin Sara-Ma­ria Saal­mann als sei­ne Ge­lieb­te Drol­la mit schö­ner Klang­fär­bung und sehr ex­al­tier­tem Spiel. Ge­mein­sam ge­fal­len sie als Buf­fo-Paar, das ein­zi­ge, das Wag­ner je­mals ge­schrie­ben hat. Sel­cuk Ha­kan Ti­raşoğ­lu als Feen­kö­nig hat sei­nen gro­ßen, aber kur­zen Auf­tritt zum Schluss und über­zeugt da­bei mit schön­tö­nen­dem Bass.

Kil­li­an Far­rell lei­tet die Mei­nin­ger Hof­ka­pel­le mit gro­ßem En­ga­ge­ment und viel Fin­ger­spit­zen­ge­fühl für die schwie­ri­ge Par­ti­tur. Das Or­ches­ter hat die vie­len Stil­schwan­kun­gen und Tem­po­wech­sel gut aus­ba­lan­ciert, und zu kei­nem Zeit­punkt wer­den die Sän­ger von der Wucht des Or­ches­ters er­schla­gen. Der Chor und Ex­tra­chor des Staats­thea­ters Mei­nin­gen un­ter dem neu­en Chor­lei­ter Ro­man Da­vid Ro­the­nai­cher ist stimm­lich bes­tens ein­ge­stellt und zeigt eine gro­ße Spiel­freu­de. Das Pu­bli­kum an die­sem Sonn­tag ist zu­nächst et­was ver­hal­ten mit dem Ap­plaus, viel­leicht ist es auch et­was über­for­dert mit dem bild­rei­chen und stimm­ge­wal­ti­gen An­ge­bot. Lena Kutz­ner, Chris­to­pher Dif­fey und Kil­li­an Far­rell wer­den dann aber bei ih­ren So­lo­vor­hän­gen zu­recht um­ju­belt. Dem Staats­thea­ter Mei­nin­gen ist mit der Pro­duk­ti­on des Früh­werks von Ri­chard Wag­ner, was kei­ne Ju­gend­sün­de ist, ein gro­ßer Coup ge­lun­gen. In die­ser Spiel­zeit ste­hen „Die Feen“ noch vier­mal auf dem Pro­gramm. Und wer den Weg nicht nach Mei­nin­gen fin­det, aber neu­gie­rig auf die Mu­sik ge­wor­den ist, dem sei die le­gen­dä­re, vier­zig Jah­re alte Auf­nah­me un­ter Wolf­gang Sa­wal­lisch, ein Live-Mit­schnitt von den Münch­ner Opern­fest­spie­len 1983, empfohlen.

Pre­mie­re am 15. Sep­tem­ber 2023, be­such­te Vor­stel­lung am 1. Ok­to­ber 2023

Beim Schluss­ap­plaus vor dem Vor­hang: Chris­to­pher Dif­fey, Lena Kutz­ner und Kil­li­an Far­rell – Foto: Mo­ni­ka Beer