Heute vor 150 Jahren wurde in Bayreuth gleich mehrfach gefeiert: Richard Wagner beging seinen 59. Geburtstag mit der Grundsteinlegung des Festspielhauses. Und Richardis Cosima Meyer kam zur Welt.
Schon die Vorbereitungen zur Grundsteinlegung waren umfassend. Allein die Texte Wagners dazu und seine längere Rede, die er in seine Gesammelten Schriften aufnahm, nehmen sehr viele Druckseiten ein. Es gab zur offiziellen Ankündigung ein erstes Rundschreiben an die geehrten Patrone der Bühnenfestspiele vom 1. Februar 1872, gefolgt von der Ankündigung der Aufführung der 9. Beethoven-Symphonie im Markgräflichen Opernhaus vom 16. März, einem Zirkular an die Patrone über die Anwesenheit bei der Grundsteinlegung vom April und endlos viele Mitwirkungs- und Einladungsbriefe. An Hans Richter schrieb er am 20. Mai eine „Instruction für meinen Gesellen Hans, für den Festplatz“, die den geplanten Ablauf schildert wie folgt:
Vor mir oben in der Nähe der Musik sein. – Sobald ich den Platz erreiche, das Zeichen zum Königsmarsche geben. – Rede des Bürgermeisters Muncker. – Hierauf meine Rede, welche so schließt: „Es sei geweiht von dem Geiste, der es Ihnen eingab, meinem Anrufe zu folgen; der Sie mit dem Muthe erfüllte, jeder Verhöhnung zum Trotz, mir ganz zu vertrauen; der aus mir zu Ihnen sprechen konnte, weil er in Ihrem Herzen sich wiederzuerkennen hoffen durfte: von dem deutschen Geiste, der über die Jahrhunderte hinweg Ihnen seinen jugendlichen Morgengruß zujauchzt. –“
Hierauf fällt der Chor mit „Wach‘ auf!“ ein.
Auf die Schlußnote des Chores fällt die Militärmusik mit einem sehr langen Tusch in G-Dur ein.
Folgt kurze Anrede des Herrn Feustel mit
1.) „Hoch“ auf den König – wozu drei kurze Tusche der Musik in B-Dur.
2.) „Hoch“ auf den Kaiser, wozu kein Tusch, sondern sofort der Schluß des Kaisermarsches, womit die Festlichkeit schließt.
Sollte inzwischen ein fremder Redner sprechen wollen, so ändert dies nichts im Voranstehenden.
Der einzige längere Brief, für den Wagner an seinem Geburtstag Zeit fand, ging an Gottfried Sonntag, den Kapellmeister des Musikcorps des Königlich Bayerischen Infanterie-Regiments Nr. 7, dem er ausführlich dafür dankte, dass er und die „tüchtigen Musiker“ seines Corps der „allerungünstigsten Witterung so ausdauernd trotzten“ und damit möglich machten, „der eigentlich verunglückten Feier dennoch einen erhebenden und sehr erfreuenden Ausdruck zu geben.“ Sprich: Wegen des strömenden Regens konnte die vormittägliche Feier um 11 Uhr nicht ganz so stattfinden, wie Wagner es geplant hatte. Nur die Grundsteinlegung selbst erfolgte, wobei Wagner das an diesem Morgen eingetroffene Glückwunschtelegramm von König Ludwig II. spontan mit in die Dokumentenkapsel einschließen ließ, die dann unter den Klängen des Huldigungsmarsches eingemauert wurde. Alle geplanten Reden und der „Wach auf“-Chor wurden ins Markgräfliche Opernhaus verlegt, wo der Festakt um 12 Uhr fortgesetzt wurde.
Die Organisation der Festivitäten oblag dem neu konstituierten Verwaltungsrat des Festspielunternehmens, der unter anderem das Markgräfliche Opernhaus für das Festkonzert um 17 Uhr entsprechend herrichten sollte. Für die rund 350 Mitwirkenden musste die Bühne erweitert und mit Podesten für die Choristen versehen werden. Wie Martin Dürrer in Band 24 der Briefgesamtausgabe berichtet, war auch zusätzliche Beleuchtung gefragt: „Weil der im Opernhaus vorhandene Kronleuchter allein nicht ausreicht, richtet der Verwaltungsrat an die jüdische Gemeinde die Bitte, den großen Lüster der Bayreuther Synagoge leihweise zur Verfügung zu stellen. Dieser Bitte wird entsprochen.“ In einer Fußnote ergänzt Dürrer, dass die Bayreuther Synagoge in der Pogromnacht des Novembers 1938 nur deshalb nicht in Brand gesteckt wurde, weil sie direkt neben dem Opernhaus situiert war. „Gleichwohl kam es zur Schändung und Verwüstung der Einrichtung.“
Cosima Wagner hielt diesen außergewöhnlichen Geburtstag wie folgt fest:
Mittwoch 22ten Geburtstag! Ich beglückwünsche R. sehr schlicht diesmal, das große Fest bereitet er sich selber. Daniella[1] sagt ihm ein kleines Gedicht, von Clemens[2] verfertigt, die Kinder schenken eine Bibel; Fidi[3] sehr hübsch in der Blouse, die Gräfin Bassenheim[4] gestickt. Alles schön, aber Regen und Regen, nicht ein Sonnenstrahl wird hervorkommen! – R. erzählt, daß er im Traum Fidi voller Wunden im Gesicht gesehen habe. Was dies wohl bedeutet? – – – Wir fahren zum Platz der Zusammenkunft, dem Hause Feustel’s[5] hin, Regen, Regen, doch alles trotzdem heiter. Ankunft des Telegramms des Königs, das mit in die Kapsel eingeschlossen wird. R. begibt sich dann auf den Festplatz, wo trotz des Regens zahllose Menschen – auch Frauen – sich eingefunden, und legt den Grundstein. Im Opernhause aber werden die Reden gehalten. Im Hause des Banquier Feustel halte ich dem Herrn Julius Lang[6], der mir in einem Brief aus Wien gemeldet, daß er über das Konzert in Wien an Fürst Bismarck telegraphiert, meine Meinung [vor], und zwar über seine 10jährige kompromittierende Tätigkeit in unsrer Angelegenheit. Ich tat es mit Zittern und Beben, doch tat ich es, um fürderhin von solchem Individuum befreit zu sein. – Im Opernhause holt mich R. aus der Loge, um neben ihm mit den fünf Kindern auf der Bühne Platz zu nehmen. Großartiger Eindruck, die ernstesten Männer haben Tränen in den Augen. In Fantaisie Diner mit Standhartner[7], der, wie alle, der Kinder und besonders Fidi’s Haltung beim Feste rühmt. Um 5 Uhr die Aufführung, beginnend mit dem Kaisermarsch. Die 9te Symphonie ganz herrlich, alles im Gefühl, von der Daseins-Wirklichkeit-Last befreit zu sein; erhabene Worte R.’s am Schluß, was ihm diese Feier sei! – – – Dann zum Bankett. Vor dem Konzert hatte eine Frau von Meyendorff[8], soeben von Weimar angekommen, R. einen Brief des Vaters[9] übergeben, der Brief sehr schön, die Frau aber, leider, sehr unangenehm. Sie benimmt sich kalt und ablehnend. – Beim Souper hält R. die erste Rede auf den König, dann auf Bayreuth; wir entfernen uns gegen halb zehn Uhr. Vorher waren schon Niemann[10] und Betz[11] aus gekränkter Eitelkeit gegangen. Ich verbleibe bei Frau von Schl.[12], suche mich mit Frau von Meyendorff zu unterhalten; dies geschieht – durch die Obstination dieser Frau – auf französisch, R. tritt während des Gespräches ein und ist empört über die Fratze, die hier hinein spielt; heftige Laune seinerseits, Kummer meinerseits. Schließlich kehrt er zum Bankett zurück, ich verbleibe bei Marie Schl. mit Marie Dönhoff[13] und Graf Hohenthal[14]. Um 12 Uhr heim. (Graf Krockow[15] schenkt R. einen Leoparden, den er in Afrika erschossen.)
Am 22. Mai 1872 feierte die Familie Meyer in der elf Jahre zuvor erbauten Arbeitersiedlung im Bayreuther Stadtteil Burg (zwischen dem Hauptbahnhof und St. Georgen) ebenfalls ein freudiges Ereignis. Wie Bernd Mayer, der 2011 verstorbene Journalist, Lokalhistoriker und -politiker recherchierte, brachte Barbara Meyer, die Frau eines Arbeiters der Mechanischen Baumwollspinnerei, ein Mädchen zur Welt. Aufgrund der außergewöhnlichen Ereignisse in ihrer Stadt beschlossen die Eltern, ihr Kind Richardis Cosima zu nennen und den Wagners die Patenschaft anzutragen. Carl Meyer schrieb einen Brief, dessen Erhalt Cosima in ihrem Tagebuch am 24. Mai erwähnt: „Rührender Brief eines Arbeiters, der uns bittet, Pate und Patin bei seinem Kinde, am 22ten geboren, zu sein. Wir sagen freudig zu.“ Diese erste Zusage blieb offenbar unexpediert liegen, eine zweite verfasste Wagner am 26. Mai: „Ich erfahre soeben, daß durch ein Mißverständnis Ihnen vorgestern früh der Brief von mir nicht zugestellt worden ist, in welchem ich Ihnen meldete, daß ich und meine liebe Frau die angetragene Patenstelle gerne annehmen. Ich erwarte demnach nur, daß sie mir das Nähere über die erwartete Taufe mitteilen, um mich darnach zu richten.“
Die Taufe von Richardis Cosima fand am 2. Juni 1872 in der Ordenskirche St. Georgen durch den evangelischen Pfarrer Hoffer im Beisein der Paten statt. Cosima hielt das Geschehen in ihrem Tagebuch fest:
[…] dann nach der Kirche gefahren. Mich ergreifen die Handlung und die Worte: „Jetzt sollst du durch den Geist und das Wasser der Erlösung teilhaftig werden“ bis zu Tränen. Nach dem Akt geht R., dem Pfarrer einige Worte zu sagen, dieser sagt ihm: „Es war mir lieb, daß ich Ihnen im Namen eines Höheren ehrwürdig nahen konnte, nachdem ich am anderen Ort mich vor Ihnen geneigt hatte.“ Wir bringen die kleine Richardis Cosima heim, der Vater ernst und ergriffen, die Mutter sehr bescheiden, gute tüchtige Volksmenschen, mit denen nicht zu spaßen ist. Sie nötigen uns zu Wein, Kaffee und geben einen großen Kuchen mit; die Wohnung, zwei Stübchen, die fünf Kinder darin, sieht sauber aus, an den Fenstern der Arbeiterhäuser und vor den Türen viel Menschheit, die Fenster sehen aber auf Gärten und Berge. Wir sind sehr gerührt, o dieses furchtbare, furchtbare Dasein!“
Der für ein Mädchen doch ungewöhnliche Vorname blieb dem Kind übrigens weitgehend erspart: Es wurde der Einfachheit halber „Richl“ genannt.
[1] Daniela von Bülow (1860–1940), Cosimas erste Tochter aus erster Ehe mit Hans von Bülow
[2] Clemens Brockhaus (1837–1877), Neffe Wagners, protestantischer Theologe und Privatdozent
[3] Fidi = Siegfried Wagner (1869–1930), einziger Sohn von Cosima und Richard Wagner
[4] Caroline Gräfin Waldbott von Bassenheim (1824–1889), Nachbarin in Tribschen
[5] Friedrich Feustel (1824–1891), Bayreuther Bankier und Politiker, entschiedener Förderer von Wagners Ansiedlung in Bayreuth, Mitglied im Verwaltungsrat des Festspielunternehmens
[6] Julius Lang (1833-1890), Journalist, Publizist
[7] Julius Standhardtner (1818–1892), Arzt und langjähriger Freund Wagners aus Wien
[8] Olga von Meyendorff (1838–1926), Freundin von Franz Liszt und Patronin der Festspiele
[9] Franz Liszt (1811–1886), Komponist und Vater Cosimas
[10] Albert Niemann (1831–1917), Tenor und Wagner-Interpret
[11] Franz Betz (1835–1900), Bariton und legendärer Wagnersänger
[12] Marie von Schleinitz (1842–1912), langjährige Freundin Cosimas und einflussreiche Mäzenatin, der Wagner am 1. Mai 1873 seine Schrift „Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. Nebst einem Berichte über die Grundsteinlegung desselben“ widmete.
[13] Maria von Dönhoff (1848–1929), spätere Fürstin von Bülow, Freundin Cosimas und Mäzenatin
[14] ein nicht näher recherchierter Graf Hohenthal-Buchau
[15] Karl Krokow von Wickerode (1825–1901), Weltreisender und Reiseschriftsteller
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