Walküren-Chicks in der Beautyfarm

Schril­le, auf­müp­fi­ge, her­ri­sche und lei­den­de Frau­en, ein Büh­nen­un­fall und kein Feu­er­zau­ber: Die Bay­reu­ther „Walküre“-Neuinszenierung ist für Über­ra­schun­gen gut und über­zeugt auch musikalisch.

Vie­le Rot­tö­ne und reich­lich Gold- und Glit­zer­kram, frei nach ame­ri­ka­ni­schem oder rus­si­schem Ge­schmack: die Wal­kü­ren im War­te­raum der Schön­heits­chir­ur­gie. Sze­nen­fo­tos: © Bay­reu­ther Festspiele/​Enrico Nawrath

Eine ein­zi­ge an­ge­zün­de­te Ker­ze auf ei­nem Ser­vier­wa­gen und sonst kein Feu­er­zau­ber? Das Buh­ge­heul nach der „Walküre“-Premiere am Mon­tag­abend von je­nen, die oh­ne­hin vor­hat­ten, sich so­fort laut­hals be­merk­bar zu ma­chen, war ent­spre­chend. Da­bei ist das nur Schat­ten­bo­xen, denn der Adres­sat des Un­muts, Re­gis­seur Va­len­tin Schwarz, kommt erst nach der „Göt­ter­däm­me­rung“ vor den Vorhang.

Was fol­ge­rich­tig ist, denn er wird, wie schon jetzt klar ist, am Ende nicht vier Wag­ner­opern in­sze­niert ha­ben, die auch ein­zeln für sich ste­hen, son­dern eine ve­ri­ta­ble „Ring“-Tetralogie, die of­fen­bart, wie sehr hier al­les mit al­lem zu tun hat und so­gar noch mehr zu­sam­men­hängt. Das ent­spricht dem pau­sen­los über vier­zehn Stun­den dau­ern­den Opus viel mehr als die gras­sie­ren­de Auf­split­tung, die zu­letzt in Stutt­gart bei ei­ner „Wal­kü­re“ mit gleich drei Re­gie­teams gründ­lich schief ging.

Auch in Bay­reuth ist nicht al­les Gold, was glänzt. Aber selbst ein erns­ter Büh­nen­un­fall kann die Fest­spie­le, die sich co­ro­nabe­dingt auf Be­set­zungs­än­de­run­gen ein­ge­stellt ha­ben, nicht aus dem Takt brin­gen. Als im 2. Akt der Lounge Chair un­ter Wo­tan zu­sam­men­brach, sang To­masz Ko­niecz­ny wei­ter, als wäre nichts pas­siert, muss­te aber we­gen sei­ner Ver­let­zun­gen im 3. Akt durch Ein­sprin­ger Mi­cha­el Kup­fer-Ra­de­cky er­setzt wer­den – in der Ge­schich­te die­ser „Ring“-Produktion Wo­tan Num­mer fünf.

Im­mer­hin ver­steht man als Zu­schau­er schon viel mehr, wo­hin die Rei­se geht. Die Net­flix-Fa­mi­li­en-Saga, die Va­len­tin Schwarz und sein Team er­zäh­len, ist dra­ma­tur­gisch zwar bes­ser, in­tel­li­gen­ter ge­baut als es die ame­ri­ka­ni­schen TV-Se­ri­en „Dal­las“ und „Den­ver-Clan“ in den 1970er- und 80er- Jah­ren wa­ren, aber in der Op­tik nicht viel an­ders. Nur dass es in­zwi­schen Han­dys gibt.

Das zeigt sich vor al­lem in den Kos­tü­men (Andy Be­such), die bei den Frau­en­fi­gu­ren bis auf das him­mel­blaue Samt­kleid Sieg­lin­des fast aus­nahms­los eher von schlech­tem Ge­schmack zeu­gen. Bei­spiel­haft da­für die Wal­kü­ren, die schon zu Be­ginn des 2. Akts im Wal­hall-Sa­lon an Frei­as Sarg auf­tre­ten: Das sind in je­der Hin­sicht Schreck­schrau­ben – noch dazu ex­trem re­no­vie­rungs­be­dürf­ti­ge, denn der 3. Akt spielt zu­nächst im zum War­te­raum ei­nes Schön­heits­chir­ur­gen um­funk­tio­nier­ten Kinderhort.

Klingt ganz schön schrill, ist es auch. Wäh­rend es im 1. Akt fast noch halb­wegs „nor­mal“ zu­geht. Ein Un­wet­ter hat ei­nen mäch­ti­gen Baum ent­wur­zelt und in Hun­dings Haus ge­stürzt, der Strom ist aus­ge­fal­len, der Haus­herr schraubt am Si­che­rungs­kas­ten. Sieg­lin­de ist be­reits hoch­schwan­ger, was na­tür­lich Fol­gen für den Fort­gang der Hand­lung hat.

Sän­ger­dar­stel­le­risch ein groß­ar­ti­ges Wäl­sun­gen­paar: Lise Da­vid­sen (Sieg­lin­de) und Klaus Flo­ri­an Vogt (Sieg­mund)

Das Kind, das sie schon vor dem 3. Akt ge­bä­ren wird, kann je­den­falls nicht Sieg­mund zum Va­ter ha­ben. Sieg­fried als Hun­dings Sohn, das wäre eine Set­zung mit Aus­wir­kun­gen für den oh­ne­hin frag­wür­di­gen Hel­den­sta­tus. Oder ist der im 2. Akt ge­zeig­te Ver­ge­wal­ti­gungs­ver­such Wo­tans etwa nicht der ers­te? Könn­te gut sein, ist lei­der so­gar wahrscheinlicher.

Fri­cka (Chris­ta May­er) bei der Trau­er­fei­er für Freia zu Be­ginn des 2. Akts

Über­haupt sucht und fin­det Va­len­tin Schwarz Mög­lich­kei­ten, die ge­ge­be­nen Fi­gu­ren und Spiel­räu­me in an­de­re, un­vor­her­ge­se­he­ne Kon­stel­la­tio­nen zu brin­gen. Hun­ding bei­spiels­wei­se sitzt bei Wo­tans im Wohn­zim­mer, wenn Fri­cka ih­rem Mann die Le­vi­ten liest und dem stum­men Mit­an­klä­ger Tee ein­schenkt, die­sen gleich­zei­tig aber ver­dirbt, weil sie reich­lich Zu­cker zu­gibt, den Hun­ding zu­vor ab­ge­lehnt hat. An sol­chen klei­nen, viel­sa­gen­den Sze­nen man­gelt es nicht in der In­sze­nie­rung, zu de­ren Stär­ken eine aus­ge­feil­te Per­so­nen­füh­rung zählt.

Bei der gro­ßen Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Wo­tan (To­masz Ko­niecz­ny) und Fri­cka (Chris­ta May­er) darf Hun­ding (Ge­org Zep­pe­n­feld) Zaun­gast sein.

Sieg­munds und Sieg­lin­des Won­ne­mond ist ein Coup: Es geht we­ni­ger um ge­gen­sei­ti­ges Be­geh­ren, son­dern um die ge­mein­sa­me Kind­heit, um eine tie­fe Ver­bun­den­heit, die die Zwil­lin­ge in Er­in­ne­rung ih­rer Kin­der­zim­mer wie­der auf­le­ben las­sen kön­nen. Das ist eine be­rüh­ren­de, ganz an­de­re Ge­schich­te und be­kommt durch die Glit­zer-Kos­tü­me der zwei Sta­tis­ten­kin­der et­was Unwirklich-Märchenhaftes.

Brünn­hil­de (Iré­ne Theo­rin) und Wo­tan (To­masz Konieczny)

Wo­tan in sei­nem gel­ben An­zug ist ein sehr her­ri­scher Mann, der sich nimmt, was er will. To­masz Ko­niecz­ny ist da­für auch stimm­lich ad­äquat. Und er ist, wie bis­her alle an­de­ren Prot­ago­nis­ten und sein Ein­sprin­ger im 3. Akt ein her­vor­ra­gen­der Dar­stel­ler, der die Fall­hö­he der Fi­gur glaub­haft ver­kör­pert. Bril­lant der Schluss: Wo­tan pros­tet Fri­cka, die ihre er­folg­rei­che Mis­si­on mit ei­nem schö­nen Glas Wein fei­ern will, nicht zu, son­dern streift sei­nen Ehe­ring ab und wirft ihn – Schluss, aus, Fei­er­abend – ver­ächt­lich in ihr Glas.

Iré­ne Theorins Brünn­hil­de scheint ge­ra­de­wegs aus Wa­cken zu kom­men, schon der schwar­zen Au­gen und ih­res Out­fits we­gen. Wo­tans Lieb­lings­toch­ter ist er­fri­schend auf­müp­fig, im­pul­siv, darf aus Freu­de wie aus Frust laut Auf­la­chen, Auf­stamp­fen und vor Wut um sich hau­en. Se­ri­ös wirkt sie nur im Busi­ness- um nicht zu sa­gen Fest­spiel­lei­te­rin­nen­kos­tüm, das ihr Fri­cka für die To­des­ver­kün­dung über­reicht. Scha­de, dass nicht nur ihre Spiel­freu­de groß ist, son­dern auch das Vi­bra­to ih­rer Stimme.

Brünn­hil­de (hin­ten links: Iré­ne Theo­rin), Gra­ne (Igor Schwab) mit dem neu­ge­bo­re­nen Sieg­fried-Baby, Sieg­lin­de (lie­gend: Lise Da­vid­sen) und ei­ni­ge Walküren

Es gäbe noch viel zu schrei­ben, ge­ra­de auch über Gra­ne, den hin­zu­er­fun­de­nen Leib­die­ner Brünn­hil­des, der die Wo­tans­toch­ter von vorn­her­ein eman­zi­pa­to­ri­scher als sonst er­schei­nen lässt. Wich­ti­ger bleibt die Fest­stel­lung, dass die „Walküre“-Premiere auch mu­si­ka­lisch ein gro­ßer Fest­spiel­abend war. Zu rüh­men sind die Wäl­sun­gen Lise Da­vid­sen und Klaus Flo­ri­an Vogt so­wie Ge­org Zep­pe­n­felds Hun­ding, Chris­ta May­ers viel­schich­ti­ge Fri­cka und die bei­den groß­ar­ti­gen Wo­ta­ne, mit Ab­stri­chen auch die Ti­tel­hel­din so­wie die ei­gent­lich lu­xu­ri­ös be­setz­ten Wal­kü­ren, von de­nen eine al­ler­dings hör­bar in­dis­po­niert war. Cor­ne­li­us Meis­ter und das Fest­spiel­or­ches­ter sind in­zwi­schen bes­ser auf­ein­an­der ein­ge­stellt, lie­fern sub­li­me Fein­hei­ten eben­so wie lei­den­schaft­li­chen Klang­rausch. Wag­ne­ria­ner­herz, was willst du mehr? Gro­ßer Beifall.

Be­such­te Pre­mie­re am 1. Au­gust 2022, Erst­druck im Frän­ki­schen Tag vom 3. Au­gust 2022

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