Schrille, aufmüpfige, herrische und leidende Frauen, ein Bühnenunfall und kein Feuerzauber: Die Bayreuther „Walküre“-Neuinszenierung ist für Überraschungen gut und überzeugt auch musikalisch.
Eine einzige angezündete Kerze auf einem Servierwagen und sonst kein Feuerzauber? Das Buhgeheul nach der „Walküre“-Premiere am Montagabend von jenen, die ohnehin vorhatten, sich sofort lauthals bemerkbar zu machen, war entsprechend. Dabei ist das nur Schattenboxen, denn der Adressat des Unmuts, Regisseur Valentin Schwarz, kommt erst nach der „Götterdämmerung“ vor den Vorhang.
Was folgerichtig ist, denn er wird, wie schon jetzt klar ist, am Ende nicht vier Wagneropern inszeniert haben, die auch einzeln für sich stehen, sondern eine veritable „Ring“-Tetralogie, die offenbart, wie sehr hier alles mit allem zu tun hat und sogar noch mehr zusammenhängt. Das entspricht dem pausenlos über vierzehn Stunden dauernden Opus viel mehr als die grassierende Aufsplittung, die zuletzt in Stuttgart bei einer „Walküre“ mit gleich drei Regieteams gründlich schief ging.
Auch in Bayreuth ist nicht alles Gold, was glänzt. Aber selbst ein ernster Bühnenunfall kann die Festspiele, die sich coronabedingt auf Besetzungsänderungen eingestellt haben, nicht aus dem Takt bringen. Als im 2. Akt der Lounge Chair unter Wotan zusammenbrach, sang Tomasz Konieczny weiter, als wäre nichts passiert, musste aber wegen seiner Verletzungen im 3. Akt durch Einspringer Michael Kupfer-Radecky ersetzt werden – in der Geschichte dieser „Ring“-Produktion Wotan Nummer fünf.
Immerhin versteht man als Zuschauer schon viel mehr, wohin die Reise geht. Die Netflix-Familien-Saga, die Valentin Schwarz und sein Team erzählen, ist dramaturgisch zwar besser, intelligenter gebaut als es die amerikanischen TV-Serien „Dallas“ und „Denver-Clan“ in den 1970er- und 80er- Jahren waren, aber in der Optik nicht viel anders. Nur dass es inzwischen Handys gibt.
Das zeigt sich vor allem in den Kostümen (Andy Besuch), die bei den Frauenfiguren bis auf das himmelblaue Samtkleid Sieglindes fast ausnahmslos eher von schlechtem Geschmack zeugen. Beispielhaft dafür die Walküren, die schon zu Beginn des 2. Akts im Walhall-Salon an Freias Sarg auftreten: Das sind in jeder Hinsicht Schreckschrauben – noch dazu extrem renovierungsbedürftige, denn der 3. Akt spielt zunächst im zum Warteraum eines Schönheitschirurgen umfunktionierten Kinderhort.
Klingt ganz schön schrill, ist es auch. Während es im 1. Akt fast noch halbwegs „normal“ zugeht. Ein Unwetter hat einen mächtigen Baum entwurzelt und in Hundings Haus gestürzt, der Strom ist ausgefallen, der Hausherr schraubt am Sicherungskasten. Sieglinde ist bereits hochschwanger, was natürlich Folgen für den Fortgang der Handlung hat.
Das Kind, das sie schon vor dem 3. Akt gebären wird, kann jedenfalls nicht Siegmund zum Vater haben. Siegfried als Hundings Sohn, das wäre eine Setzung mit Auswirkungen für den ohnehin fragwürdigen Heldenstatus. Oder ist der im 2. Akt gezeigte Vergewaltigungsversuch Wotans etwa nicht der erste? Könnte gut sein, ist leider sogar wahrscheinlicher.
Überhaupt sucht und findet Valentin Schwarz Möglichkeiten, die gegebenen Figuren und Spielräume in andere, unvorhergesehene Konstellationen zu bringen. Hunding beispielsweise sitzt bei Wotans im Wohnzimmer, wenn Fricka ihrem Mann die Leviten liest und dem stummen Mitankläger Tee einschenkt, diesen gleichzeitig aber verdirbt, weil sie reichlich Zucker zugibt, den Hunding zuvor abgelehnt hat. An solchen kleinen, vielsagenden Szenen mangelt es nicht in der Inszenierung, zu deren Stärken eine ausgefeilte Personenführung zählt.
Siegmunds und Sieglindes Wonnemond ist ein Coup: Es geht weniger um gegenseitiges Begehren, sondern um die gemeinsame Kindheit, um eine tiefe Verbundenheit, die die Zwillinge in Erinnerung ihrer Kinderzimmer wieder aufleben lassen können. Das ist eine berührende, ganz andere Geschichte und bekommt durch die Glitzer-Kostüme der zwei Statistenkinder etwas Unwirklich-Märchenhaftes.
Wotan in seinem gelben Anzug ist ein sehr herrischer Mann, der sich nimmt, was er will. Tomasz Konieczny ist dafür auch stimmlich adäquat. Und er ist, wie bisher alle anderen Protagonisten und sein Einspringer im 3. Akt ein hervorragender Darsteller, der die Fallhöhe der Figur glaubhaft verkörpert. Brillant der Schluss: Wotan prostet Fricka, die ihre erfolgreiche Mission mit einem schönen Glas Wein feiern will, nicht zu, sondern streift seinen Ehering ab und wirft ihn – Schluss, aus, Feierabend – verächtlich in ihr Glas.
Iréne Theorins Brünnhilde scheint geradewegs aus Wacken zu kommen, schon der schwarzen Augen und ihres Outfits wegen. Wotans Lieblingstochter ist erfrischend aufmüpfig, impulsiv, darf aus Freude wie aus Frust laut Auflachen, Aufstampfen und vor Wut um sich hauen. Seriös wirkt sie nur im Business- um nicht zu sagen Festspielleiterinnenkostüm, das ihr Fricka für die Todesverkündung überreicht. Schade, dass nicht nur ihre Spielfreude groß ist, sondern auch das Vibrato ihrer Stimme.
Es gäbe noch viel zu schreiben, gerade auch über Grane, den hinzuerfundenen Leibdiener Brünnhildes, der die Wotanstochter von vornherein emanzipatorischer als sonst erscheinen lässt. Wichtiger bleibt die Feststellung, dass die „Walküre“-Premiere auch musikalisch ein großer Festspielabend war. Zu rühmen sind die Wälsungen Lise Davidsen und Klaus Florian Vogt sowie Georg Zeppenfelds Hunding, Christa Mayers vielschichtige Fricka und die beiden großartigen Wotane, mit Abstrichen auch die Titelheldin sowie die eigentlich luxuriös besetzten Walküren, von denen eine allerdings hörbar indisponiert war. Cornelius Meister und das Festspielorchester sind inzwischen besser aufeinander eingestellt, liefern sublime Feinheiten ebenso wie leidenschaftlichen Klangrausch. Wagnerianerherz, was willst du mehr? Großer Beifall.
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