Herrenloser Meister?

Wie un­ter­schied­lich eine Po­li­zei­mel­dung re­di­giert und be­ti­telt wer­den kann, zei­gen vier Bei­spie­le aus der Wag­ner­stadt Bay­reuth, gar­niert mit ei­ni­gen Zu­ga­ben, dar­un­ter drei von Wagner.

Die­se Wag­ner­büs­te ist nicht her­ren- bzw. da­men­los. Foto: Mo­ni­ka Beer

Nor­ma­ler­wei­se kommt der Be­griff „her­ren­los“ in Po­li­zei­be­rich­ten in Be­zug auf Haus­tie­re, Ta­schen, Kof­fer und vor al­lem alle Spiel­ar­ten von fahr­ba­rem Un­ter­satz vor. In Bay­reuth ist das zwar im Prin­zip auch so, aber eben nicht nur. Am 3. und nicht am 1. April hat die Po­li­zei ei­nen au­ßer­ge­wöhn­li­chen Fund ge­macht, und zwar in der Wotan­stra­ße (die, von un­ten ge­se­hen rechts auf Höhe des Fest­spiel­hau­ses, von der Tris­tan­stra­ße in die Wohn­ge­bie­te mit wei­te­ren Stra­ßen führt, die häu­fig nach Wag­ner­fi­gu­ren be­nannt sind): Dort wur­de eine „her­ren­lo­se“ Wag­ner-Sta­tue si­cher­ge­stellt. Hier ei­ni­ge der über­wie­gend flüch­tig re­di­gier­ten Kurz­mel­dun­gen, die sich nicht nur durch die Über­schrif­ten, son­dern auch in­ter­pre­ta­to­risch un­ter­schei­den. Oder war gar ein Re­dak­ti­ons­ro­bo­ter im Spiel?

Her­ren­lo­se Ri­chard-Wag­ner-Sta­tue in Bay­reuth ge­fun­den: Po­li­zei stellt Ultimatum
Eine her­ren­lo­se Ri­chard-Wag­ner-Sta­tue hat die Po­li­zei be­reits am 3. April 2023 in Bay­reuth gefunden.
Nun stellt die Po­li­zei Bay­reuth-Stadt dem Ei­gen­tü­mer ein Ul­ti­ma­tum – falls der sei­ne Sta­tue noch will. Laut Po­li­zei ist die Sta­tue An­fang April im Be­reich der Wotan­stra­ße ge­fun­den wor­den. Der recht­mä­ßi­ge Ei­gen­tü­mer wird wei­ter ge­sucht. Bis­lang habe sich noch kein Ei­gen­tü­mer bei der Po­li­zei ge­mel­det. Be­vor eine Wei­ter­lei­tung an das Fund­amt der Stadt Bay­reuth er­folgt, räumt die Po­li­zei dem Ei­gen­tü­mer noch et­was Zeit ein, sich mit der Po­li­zei­in­spek­ti­on Bay­reuth-Stadt, Tel. 0921-5062130, in Ver­bin­dung zu setzen.
www​.in​bay​reuth​.de/, 19. April 2023, 00:35

Kommt Meis­ter ins Fundamt?
Bay­reu­ther Po­li­zei fin­det her­ren­lo­sen Ri­chard Wag­ner: Ei­gen­tü­mer gesucht
Nach der Si­cher­stel­lung ei­ner her­ren­lo­sen Ri­chard Wag­ner-Sta­tue in Bay­reuth sucht die Po­li­zei nun den recht­mä­ßi­gen Ei­gen­tü­mer. Be­reits 3. April ist im Be­reich der Wotan­stra­ße eine Wag­ner-Sta­tue her­ren­los auf­ge­fun­den und durch die Po­li­zei si­cher­ge­stellt wor­den. Bis­lang hat sich kein Ei­gen­tü­mer bei der Po­li­zei ge­mel­det und das Feh­len der Sta­tue an­ge­zeigt. Be­vor die Sta­tue an das Fund­amt der Stadt Bay­reuth geht, wird dem Ei­gen­tü­mer noch et­was Zeit ein­ge­räumt, sich mit der Po­li­zei­in­spek­ti­on Bay­reuth-Stadt, Te­le­fon 0921-5062130, in Ver­bin­dung zu setzen.
www​.nord​bay​ern​.de, 19.4.2023, 15:57 Uhr

Ein Bay­reu­ther Wag­ner sucht sein zu Hause
Nach der Si­cher­stel­lung ei­ner Ri­chard-Wag­ner-Sta­tue sucht die Po­li­zei nun den recht­mä­ßi­gen Eigentümer.
Be­reits 03.04.2023, war im Be­reich der Wotan­stra­ße eine Wag­ner Sta­tue her­ren­los auf­ge­fun­den und durch die Po­li­zei si­cher­ge­stellt wor­den. Bis­lang hat sich kein Ei­gen­tü­mer bei der Po­li­zei ge­mel­det und das Feh­len der Sta­tue an­ge­bracht. Be­vor eine Wei­ter­lei­tung an das Fund­amt der Stadt Bay­reuth er­folgt, wird dem Ei­gen­tü­mer noch et­was Zeit ein­ge­räumt, sich mit der Po­li­zei­in­spek­ti­on Bay­reuth-Stadt, Tel. 0921–5062130, in Ver­bin­dung zu setzen.
Der neue Wie­sent­bo­te, Pres­se­mit­tei­lung ver­öf­fent­licht von Re­dak­ti­on am 20. April 2023

Ein Wag­ner sucht sein zu Hause
Wer sucht sei­nen Ri­chard Wag­ner? Die Po­li­zei hat, wie sie mit­tei­len, be­reits am 03.04. eine her­ren­lo­se Ri­chard Wag­ner Sta­tue in der Wotan­stra­ße ge­fun­den. Sein Be­sit­zer hat sich aber bis­her noch nicht ge­mel­det, des­halb sucht die Po­li­zei jetzt auf die­sem Wege nach dem zu Hau­se die­ser Ri­chard Wag­ner Sta­tue. Et­was Zeit räumt die Po­li­zei dem Ei­gen­tü­mer noch ein, sich zu mel­den, bis sie es an das Fund­amt der Stadt wei­ter­lei­ten. Wer sei­nen Wag­ner ver­misst, soll sich bei der Po­li­zei Bay­reuth Stadt mel­den. sir
Ra­dio Main­wel­le 19. April 2023

Jen­seits der gram­ma­ti­ka­li­schen und sti­lis­ti­schen De­fi­zi­te – dass der Jour­na­lis­mus im Gro­ßen wie im Klei­nen auf den Hund ge­kom­men ist, braucht hier gar nicht erst breit­ge­tre­ten zu wer­den – dräng­te sich mir re­flex­ar­tig die Fra­ge auf, war­um sich das „her­ren­los“ im ak­tu­el­len Po­li­zei­sprech un­re­flek­tiert ge­hal­ten hat. Wäre die Mel­dung nicht viel pa­cken­der, wenn aus­ge­rech­net Wag­ner da­men­los, um nicht zu sa­gen „frau­chen­los“ blie­be? Der na­he­lie­gen­de Dis- und Ex­kurs übers Gen­dern wie über Wag­ners in­ni­ges Ver­hält­nis zu Frau­en wie zu Vier­bei­nern möge hier aber au­ßen vor blei­ben. Statt­des­sen bie­te ich im Fol­gen­den drei „Her­ren­lo­sig­kei­ten“ aus Wag­ners Schriften.

Ers­tens singt Wo­tan am Ende von „Das Rhein­gold“, in den An­blick Wal­halls versunken:
Abend­lich strahlt
der Son­ne Auge;
in präch­t’­ger Gluth
prangt glän­zend die Burg:
in des Mor­gens Scheine
mut­hig erschimmernd
lag sie her­ren­los
hehr ver­lo­ckend vor mir.
Von Mor­gen bis Abend
in Müh und Angst
nicht won­nig ward sie gewonnen!
Es naht die Nacht:
vor ih­rem Neid
bie­te sie Ber­gung nun.
So – grüß‘ ich die Burg,
si­cher vor Bang und Grau’n.

Zwei­tens ju­bi­liert Or­trud in der ur­sprüng­li­chen Text­ver­si­on des „Lohengrin“-Schlusses:
Sieg! Sieg! Will­kom­men Rächerstunde!
Nun nenn‘ ich her­ren­los dies Land!
Ge­prie­sen dei­nes Her­zens Wunde,
Durch die ich mei­ne Ra­che fand!
Weißt du, wer dei­nen stol­zen Helden,
Da­her­ge­führt an die­sen Strand?
Nun laß mich ju­belnd dir es melden:
Es war der Erbe von Brabant!
Ihr wart der Fürs­ten letz­te Sprossen,
Die uns des Lan­des Kron‘ entwandt;
Euch bei­den war der Tod beschlossen,
Wenn ich in mei­ner Näh‘ euch fand!
Doch sollt‘ ich ihn er­reicht nur haben,
Er muß­te mei­nem Zau­ber nahn:
Ein Kett­lein legt‘ ich um den Knaben,
Da ward das Kind zum wil­den Schwan.
Hin schwamm er auf des Was­sers Fluten,
Von dem er Hil­fe wollt‘ empfah’n,
Den Rit­ter traf er an, den guten,
Und zog zum Strand ihn hier heran.

Und drit­tens schreibt Wag­ner in sei­nem Be­richt über die Wie­der­auf­füh­rung sei­ner Sym­pho­nie in C-Dur an Weih­nach­ten 1882 in Ve­ne­dig an Ernst Wil­helm Fritzsch, den Her­aus­ge­ber des „Mu­si­ka­li­schen Wochenblattes“:

Die Zei­ten ver­gin­gen: mein ge­heim­niß­vol­ler be­rühm­ter Gön­ner war längst ge­stor­ben, als es Freun­den von mir ein­fiel, nach je­ner Sym­pho­nie zu fra­gen; ei­ner von die­sen war mit Mendelssohn’s Soh­ne be­kannt und un­ter­nahm bei ihm als dem Er­ben des Meis­ters, eine Nach­fra­ge; an­de­re Nach­for­schun­gen blie­ben, wie die­se ers­te, gänz­lich er­folg­los: das Ma­nu­script war nicht mehr vor­han­den, oder es kam we­nigs­tens nir­gends zum Vor­schein. Da mel­de­te mir vor ei­ni­gen Jah­ren ein äl­te­rer Freund aus Dres­den, es habe sich dort ein Kof­fer mit Mu­si­ka­li­en vor­ge­fun­den, den ich in wil­der Zeit her­ren­los hin­ter­las­sen hat­te: in die­sen ent­deck­te man die Or­ches­ter­stim­men mei­ner Sym­pho­nie, wie sie einst von ei­nem Pra­ger Co­pis­ten für mich aus­ge­schrie­ben wor­den wa­ren. Nach die­sen Stim­men, wel­che nun wie­der in mei­nen Be­sitz ge­lang­ten, setz­te mein jun­ger Freund A. Seidl mir eine neue Par­ti­tur zu­sam­men, und ich konn­te nun, nach be­reits fast ei­nem hal­ben Jahr­hun­dert, durch be­que­me Über­le­sung der­sel­ben mich dar­über in Nach­sin­nen ver­set­zen, was es mit dem Ver­schwin­den je­nes Ma­nu­scrip­tes wohl für eine Be­wand­niß ge­habt ha­ben möge. Ge­wiß eine ganz un­schul­di­ge. Denn in dem Be­wußt­sein, daß sei­ne Wie­der­auf­fin­dung gar kei­ne Be­deu­tung au­ßer ei­ner freund­li­chen Fa­mi­li­en-Er­fah­rung ha­ben könn­te, be­schloß ich, mein Werk auch nur als Fa­mi­li­en-Ge­heim­niß noch ein­mal zum Er­tö­nen brin­gen zu lassen.

P.S. Am 12. April 2023 ver­öf­fent­lich­te „Der neue Wie­sent­bo­te“ eine Pres­se­mit­tei­lung der Bay­reu­ther Ge­mein­schaft (BG), wo­nach die­se den An­trag stellt, die Stadt Bay­reuth möge die Fir­ma Play­mo­bil we­gen ei­ner Ri­chard Wag­ner-Son­der­fi­gur zum Fest­spie­le-Ju­bi­lä­um 2026 kon­tak­tie­ren. Die Bay­reu­ther Ge­mein­schaft und de­ren Chef Ste­phan Mül­ler ha­ben am 20. April mit ei­ner wei­te­ren Pres­se­mit­tei­lung auf­hor­chen las­sen. Ob das Stän­kern ge­gen das Fes­ti­val Bay­reuth Ba­ro­que dem BG-Vor­sit­zen­den zu sei­ner Wäh­ler­ver­ei­ni­gung zur Ehre ge­rei­chen wird, sei dahingestellt.

P.P.S. Zur wei­te­ren Ab­run­dung ein klei­ner Nach­trag vom 26. April aus der Säch­si­schen Zei­tung, die ver­mel­det, dass am 30. April im „Lohengrin“-Ort Grau­pa eine Schwa­nen­tau­fe statt­fin­den wird. Das Tier soll am Sonn­tag ins Was­ser des Schloss­tei­ches ein­ge­setzt und zu­vor von Chris­ti­an Müh­ne vom Ver­ein Pro Grau­pa ge­tauft wer­den, „der sich pas­sen­der­wei­se als Ri­chard Wag­ner ver­klei­det“ – auf wel­chen Na­men wird nicht vor­her ver­ra­ten. Zu­min­dest sind als Fa­vo­ri­ten Lo­hen­grin, Odin und Wie­land angedacht.