Zimelien, Schätze und Trouvaillen

Se­hens­wert ist die nur bis 18. Juni ge­öff­ne­te Son­der­aus­stel­lung „Wahn­frieds Erbe – 50 Jah­re Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung Bay­reuth“ im Bay­reu­ther Wag­ner­mu­se­um, wie Frank Piontek in sei­nem Gast­bei­trag schreibt.

Das be­rühm­te Wag­ner-Bild­nis von Cle­men­ti­ne Stockar-Escher aus dem Jahr 1853 ist in der Son­der­aus­stel­lung zu se­hen. Vor­la­ge: Frank Piontek

Der Stuck der ehe­ma­li­gen Ver­zie­rung im kriegs­zer­stör­ten Saal von Haus Wahn­fried ist nur noch in Bruch­stü­cken er­hal­ten. Noch als Frag­ment zeugt es vom eins­ti­gen Glanz des re­prä­sen­ta­ti­ven, den „Meis­ter“ re­prä­sen­tie­ren­den Wohn­hau­ses am Bay­reu­ther Hof­gar­ten. Umso er­staun­li­cher ist die Tat­sa­che, dass vom  Wich­tigs­ten – dem Werk – au­ßer­or­dent­lich viel auf uns ge­kom­men ist. An­ders ge­sagt: Was ver­bin­det Wag­ners ers­te über­lie­fer­te Or­ches­ter­kom­po­si­ti­on mit dem Ma­nu­skript der As-Dur-Ele­gie? Durch wel­che Schluch­ten füh­ren die Wege, die die ers­ten 14 Büh­nen­bild- und die ers­ten Text­skiz­zen zum „Ring des Ni­be­lun­gen“ mit­ein­an­der verbinden?

Es ist der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung zu ver­dan­ken, dass all die­se Schät­ze an ei­nem Ort si­cher ver­wahrt wer­den. Aus An­lass des 50. Jah­res­tags der Grün­dung eben die­ser Stif­tung wird ihr im Wag­ner-Mu­se­um eine re­la­tiv klei­ne, aber dank ih­rer Ex­po­na­te sehr fei­ne Aus­stel­lung ge­wid­met, in der die er­wähn­ten Stü­cke, die an­sons­ten im Tre­sor lie­gen, in Au­gen­schein ge­nom­men wer­den kön­nen. Soll man sie In­ku­na­beln, Zi­me­li­en, Trou­vail­len, Schät­ze nen­nen? Zwei­fel­los. Da­bei han­delt es sich bei den Ob­jek­ten „nur“ um ei­nen Bruch­teil des­sen, was un­ter der Ob­hut der Stif­tung ver­wahrt wird. Der Weg dort­hin war lang; schon Wag­ner dach­te dar­an, „Mit­tel zur all­mäh­li­chen Vor­füh­rung al­ler mei­ner Wer­ke“ zu er­lan­gen, die über sei­nen Tod hin­aus in ei­ner von Pa­tro­nen ge­tra­ge­nen Stif­tung ga­ran­tiert wer­den soll­ten. Die Aus­stel­lung zeigt mit we­ni­gen Stü­cken, dass eine ers­te Stif­tung schon 1929 schei­ter­te – heu­te ge­hö­ren ihr nicht al­lein, im Sta­tus von Dau­er­leih­ga­ben, die im Na­tio­nal­ar­chiv ver­wahr­ten Ob­jek­te, son­dern auch das Fest­spiel­haus und, als Über­las­sung von der Stadt Bay­reuth, Wahn­fried und das Fest­spiel­haus. Ein Or­ga­ni­gramm macht zu­dem klar, wie­so jede ju­ris­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Festspiel/​Stiftungskonstrukt dem Kampf mit ei­nem gor­di­schen Kno­ten gleich kommt.

Was hier al­lein glänzt, sind die Wert­stü­cke. Der Be­su­cher darf nicht al­lein den (lee­ren) Schu­ber be­trach­ten, in  dem die erst vor Kur­zem er­wor­be­nen Pa­pie­re der Bur­rell-Coll­ec­tion de­po­niert wur­den. Er er­hält Ein­blick in eine ca. 1000 Stü­cke um­fas­sen­de, also ver­mut­lich ein­zig­ar­ti­ge Samm­lung von Kitsch­post­kar­ten, er darf das be­rühm­te und au­ra­ti­sche Wag­ner-Por­trät der Frau Stockar-Escher im Ori­gi­nal be­wun­dern, und er sieht aufs Brau­ne Buch und den letz­ten von Co­si­ma Wag­ner ge­schrie­be­nen Ein­trag ih­res be­rühm­ten und kul­tur­ge­schicht­lich au­ßer­or­dent­lich wich­ti­gen Ta­ge­buchs. Er darf sich in zwei Ma­nu­skript-Sei­ten des frü­hen Trau­er­spiels na­mens „Leu­bald“ ver­tie­fen, und er darf sich zwei Ka­ri­ka­tu­ren von Wag­ners Pa­ri­ser Freund Ernst Be­ne­dikt Kietz an­schau­en, die er an­sons­ten nur von mehr oder we­ni­ger gu­ten Re­pro­duk­tio­nen her kennt. Zu­letzt dürf­te ihn die Auf­schrift ei­ner der vie­len noch er­hal­te­nen Kranz­schlei­fen er­freu­en, die im Fe­bru­ar 1883 den letz­ten ir­di­schen Weg Ri­chard Wag­ners be­glei­te­ten. Er stamm­te von ei­ner ge­wis­sen Mat­hil­de „We­sen­danck“. Der Freud­sche Ver­schrei­ber ist mehr­deu­tig – denn viel von dem, was Wag­ner der Nach­welt an Hand­schrif­ten und die Nach­welt noch uns an Wag­ne­ria­na über­ließ, wur­de dank der Stif­tung ge­si­chert: bis hin zu jüngs­ten, spek­ta­ku­lä­ren Er­wer­bun­gen. Bruch­stü­cke? Ja – aber prachtvolle.

Nur bis 18. Juni 2023, Öff­nungs­zei­ten Dienstag–Sonntag, 10–17 Uhr, Son­der­aus­stel­lung im Ein­tritts­preis für das Wag­ner­mu­se­um inbegriffen.