Stipendiatin Esther Schadt nimmt aus ihrer Zeit in Bayreuth nicht nur „ausgezeichnete Musik eines genialen Komponisten mit, sondern auch neue Freundschaften mit ganz außergewöhnlichen Musikern“.
„Nach einem kargen Nachtlager auf Stroh rutscht er auf Knien in der glühenden Sonne den Grünen Hügel hinauf“, so beschreibt Dr. Sven Friedrich in seinem Einführungsvortrag den wahrhaftigen Wagnerianer. Zu meinem großen Bedauern habe ich zu spät von dieser faszinierenden Tradition erfahren und den Bustransfer zum Festspielhaus genutzt. Mein Festspiel-Abenteuer beginnt ohnehin nicht erst mit der Ouvertüre des „Fliegenden Holländers“, sondern bereits mit der Ankunft in Bayreuth, dem Epizentrum der weltweiten Wagner-Begeisterung. Historische Parkanlagen, zauberhafte Schlösser sowie die Eremitage mit ihren Wasserspielen und verträumten Grotten erschaffen eine fast schon mystische Aura. Auf Richard Wagner trifft man hier überall; manchmal ganz klein, ein andermal riesengroß. So ist es nicht verwunderlich, dass ich als Erstes quasi vom Meister höchstpersönlich „begrüßt“ werde.
Die Stipendientage wurden traditionell mit dem informellen „Fränkischen Abend“ eröffnet. Bei Steak, Bratwurst, Brezeln, Wein und Bier aus der Region gab es ein großes Hallo unter den Angereisten. Es dauerte nicht lange, und schon hatte ich eine ganze Hand voll neuer Freunde aus verschiedensten Orten und Ländern der Welt.
Am nächsten Morgen wurden wir vor der Villa „Wahnfried“ bei bestem Wetter offiziell begrüßt. Dirigentin Oksana Lyniv hieß besonders die Stipendiaten aus der Ukraine willkommen. In ihrer emotionalen Ansprache wurde deutlich, welche verbindende Kraft die Kunst und Kultur selbst in Zeiten wie diesen besitzen. Ein schönes Erlebnis war für mich die anschließende Besichtigung und Werkstattführung in der Klaviermanufaktur „Steingraeber & Söhne“, die seit 1852 in Bayreuth besteht. In wunderschönen, historischen Räumen standen allerlei Klaviere und Flügel. Eduard Steingraeber fertigte in Bayreuth auch sein revolutionäres Meisterstück „op.1“. „Würde das mal jemand anspielen?“, fragte unser Guide. Da brauchte sie mich nicht lange zu bitten. Auch der berühmte „Liszt-Flügel“ aus dem Jahr 1873 und das für Wagner eigens angefertigte „Gralsglockenklavier“ wurden selbstverständlich ausprobiert. Da zitterten die Hände vor Ehrfurcht! In den Werkstätten wurde mir so richtig bewusst, wie viel handwerkliches Geschick und schöpferischer Geist in der Kunst des Klavier- und Flügelbaus stecken. Vom Resonanzboden über die Hammerköpfe bis hin zum abschließenden „Belastungstest“ wird bis ins kleinste Detail genau gearbeitet.
Zurück in der Jugendherberge galt es nun, sich für den ersten Opernbesuch schick zu machen. Nachdem Kleid und Haare sitzen, setzt auch die Aufregung so langsam aber sicher ein. An den Bustransfer erinnere ich mich noch sehr gut. Nach einer gefühlten Ewigkeit im erhitzten Bus, in der man am liebsten „Sind wir denn bald da?“, fragen möchte, erscheint das Festspielhaus hinter einem farbenprächtigen Teppich aus Blumen. Mein Gefühl und meine Sinne werden bereits nach den ersten Takten legendären Wagnerklangs einfach überwältigt. Es ist, als würde man in eine andere Welt eintauchen; eine Welt komplexer Harmonien und scheinbar unendlicher Melodien. Elisabeth Teige als „Senta“ hat mich mit ihrer strahlenden Höhe, warmer Mittellage und packender Tiefe absolut überzeugt. Die kühle Abendluft holte mich wieder zurück ins Hier und Jetzt, das gänzlich von der Musik aus dem „mystischen Abgrund“ verdrängt wurde. Ich kann es jetzt schon kaum erwarten, zum „Parsifal“ wieder zurückzukehren.
Am nächsten Tag gab Oberbürgermeister Thomas Ebersberger einen Empfang im Neuen Rathaus. Mit ehrlicher Wertschätzung ermunterte er uns, vielleicht irgendwann einmal nach Bayreuth zurückzukehren. „Je früher, desto besser!“, meint er. Denn eine beträchtliche Anzahl ehemaliger Stipendiaten spiele bereits im Festspielorchester. Im Anschluss wurde eine Stadtführung angeboten, bevor sich am Nachmittag erneut der Vorhang zur Neuproduktion von „Parsifal“ hob. Eine absolut überwältigende Musik schenkte mir mehrfach Gänsehautmomente und versetzte mich in einen Zustand vollkommener Ehrfurcht vor der Musik. Kundrys Haltung verbreitet derweil Endzeitstimmung. Sie hat Macht und Wissen, ist ebenso schnell wieder verschwunden, wie sie erscheint. Was dazwischen passiert bleibt ihr Geheimnis. „Sag‘, wo triebst du dich wieder umher?“ Ihre Erscheinung wandelt sich stetig. Kundry ist anpassungsfähig, schlüpft behände in unterschiedliche Rollen und Gewänder, dient der Szene, der Situation. Sie spielt die Verführerin, die Büßerin und bleibt doch Kundry. Mezzosopranistin Ekaterina Gubanova singt an diesem Abend die Kundry und wird mir durch ihre ausdrucksstarke Darstellung noch lange im Gedächtnis bleiben. Als der Vorhang fällt, bin ich tief berührt und unbeschreiblich begeistert. Was für ein einmaliges Erlebnis!
An Tag drei durften wir das Festspielhaus inklusive des berühmten Orchestergrabens besichtigen. Die einzigartige Akustik entsteht hier vor allem durch Holz und Hohlräume. Besonders effektvoll wurde uns dies mit einer kleinen Spieluhr demonstriert. Während diese in der Hand gespielt wurde, konnte ich auf meinem Platz mitten im Parkett nur ganz leise vereinzelte Klänge bruchstückhaft heraushören. Als die Spieluhr auf dem Holzboden zum Klingen gebracht wurde, tönte die Melodie laut und deutlich bis zu mir und noch weiter in den Raum. Das war für mich sehr beeindruckend. Auch der Blick in den Orchestergraben und die Entstehung des Festspielhauses war höchst interessant. Wagner beschreibt seine Vision für Bayreuth wie folgt: „Zwischen ihm und dem zu erschauenden Bilde befindet sich nichts deutlich Wahrnehmbares, sondern nur eine, zwischen den beiden Proszenien durch architektonische Vermittlung gleichsam im Schweben gehaltene Entfernung, welche das durch sie ihm entrückte Bild in der Unnahbarkeit einer Traumerscheinung zeigt, während aus dem ‚mystischen Abgrund‘ geisterhaft erklingende Musik gleich den, unter dem Sitze der Pythia dem heiligen Urschoße Gaias entsteigenden Dämpfen, ihn in jenen begeisterten Zustand des Hellsehens versetzt, in welchem das erschaute szenische Bild ihm jetzt zum wahrhaftigen Abbilde des Lebens selbst wird.“ Am Nachmittag stand schließlich unsere letzte Oper „Tannhäuser“ auf dem Programm. Ich freute mich, Teige als „Elisabeth“ und Gubanova in der Rolle der „Venus“ zusammen auf der Bühne sehen und hören zu dürfen.
An meinem letzten Tag in Bayreuth habe ich die historische Innenstadt genossen. Man fühlt sich hier auf Anhieb in den atemberaubenden Bann der Stadt gezogen, die mit ihren schönen, alten Häusern, Wasserspielen und kleinen Gassen zum Verweilen und Entdecken einlädt. Zur Erkundung der Geschichte und Kultur begab ich mich in das Franz-Liszt-Haus sowie in das Richard-Wagner-Museum. Dieses zeigt Werk und Leben Wagners, seine Wirkungsgeschichte sowie die Geschichte der Festspiele aus Beständen des Nationalarchivs, der weltweit größten und bedeutendsten Wagner-Sammlung. Dort verliebte ich mich sofort in die wunderschönen historischen Bühnenbilder und Gewänder. Eigentlich schade, dass diese nicht mehr verwendet werden. Eine richtig „traditionelle“ Inszenierung habe ich nämlich tatsächlich vermisst. Mit der abschließenden Kranzniederlegung am Grab Richard Wagners kommt mein Festspiel-Erlebnis zu einem andächtigen Ende. Aus meiner Zeit in Bayreuth nehme ich nicht nur ausgezeichnete Musik eines genialen Komponisten mit, sondern auch neue Freundschaften mit ganz außergewöhnlichen Musikern. „Weißt du, was du sahst?“, fragt Gurnemanz den Parsifal. Ich sah und erlebte etwas Besonderes und Einmaliges. Erlebnisse fürs Leben, an die ich mich gerne erinnern werde.
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