Die Fagottistin Annika Baum freute sich bei ihrem Bayreuth-Stipendium vor allem auf ihre Lieblingsoper „Tannhäuser“ und war begeistert von der „genialen Umsetzung“ durch Regisseur Tobias Kratzer. Hier der Bericht unserer Stipendiatin.
Sonntag 13.08.2023
Als Auftakt der Stipendiatenwoche bot der fränkische Abend bei Bratwurst, Brezeln, Wein und Bier die Möglichkeit, die anderen Stipendiaten kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen und auch alte Bekannte wiederzusehen. Aus der ganzen Welt kamen die jungen „Wagnerianer“ angereist, ein bunt gemischter Haufen, egal ob Orchestermusiker, Opernsänger, Musikwissenschaftler oder auch Philosophen – wir alle teilen die Leidenschaft für Wagners Opern. Deshalb fiel es mir auch sehr leicht, neue Freunde zu finden, mit denen ich von nun an die Stipendiatenwoche verbrachte.
Montag 14.08.2023
Am nächsten Morgen gab es einen Begrüßungsempfang vor der Villa Wahnfried, bei der die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv eine emotionale Rede über den Zusammenhalt von Kunst und Kultur in diesen schwierigen Zeiten hielt und die ukrainischen Stipendiaten begrüßte. Danach besichtigte ich die Ausstellungen und die Werkstatt der Klaviermanufaktur Steingraeber & Söhne. Dort konnte ich unter anderem den Liszt-Flügel, Steingraebers Meisterstück op.1, sowie eine Kopie der Gralsglocken, die Wagner extra für seinen Parsifal in Auftrag gab, bestaunen. In den Werkstätten wurde gezeigt, wie viele Schritte und wie viel handwerkliche Expertise nötig sind, um einen Flügel oder ein Klavier zu bauen. Besonders interessant fand ich, wie der Belastungstest durchgeführt wird. So werden Stundenlang alle Tasten auf dem Flügel betätigt, um Reaktion und Widerstandsfähigkeit der Mechanik zu prüfen, bis das gewünschte Ergebnis erreicht ist.
Meine erste Vorstellung in Bayreuth war „Der fliegende Holländer“. Dmitri Tcherniakovs Inszenierung war minimalistisch, aber dennoch eindrucksvoll. Die Kostüme und das Bühnenbild mit den Klinkerhäuschen, die sich verschieben ließen, schafften eine atmosphärische Kulisse, die die düstere und mystische Geschichte des fliegenden Holländers perfekt einfing. Die norwegische Sopranistin Elisabeth Teige war als Senta zu hören – und sie war definitiv mein Highlight. Mit ihrer warmen, schönen Klangfarbe zog sie mich vom ersten Moment an in ihren Bann. Beendet wurde der „Holländer“ in brennender Kulisse, zwei Schüsse fielen, der Vorhang schließt sich.
Dienstag 15.08.2023
Am nächsten Tag lud Bayreuths Oberbürgermeister Thomas Ebersberger zu einem Empfang im Neuen Rathaus ein. Durch seine Rede wurde mir nochmal bewusst, wie sehr die Festspiele die Stadt prägen und wie viele Personen auch hinter den Kulissen beschäftigt sind. Dieses Jahr waren es um die 800 Beschäftigten in den verschiedensten Abteilungen: von den offensichtlichsten Positionen, wie Solisten, Dirigenten, Orchestermitglieder und Festspielchor bis hin zur Kostümabteilung, Maske, Statisterie, aber auch die technischen Abteilungen, Inspizienz, Soufflage und verschiedenste Organisations- und Verwaltungsmitglieder. Es war schön zu hören, wie viele ehemalige Stipendiaten jedes Jahr mitwirken. Vielleicht erfüllt sich in Zukunft mein Traum, mal im Festspielorchester mitzuspielen.
Nach dem Empfang gab es die Möglichkeit, eine Stadtführung zu machen oder den Einführungsvortrag für die heutige „Parsifal“-Vorstellung zu besuchen. Ich entschied mich für den Vortrag. Unterhaltsam und mit Humor führte Herr Dr. Sven Friedrich in die Handlung ein und gab erste Einblicke in die Inszenierung des Abends. Nach einem schnellen Mittagessen und einem Wagner-Eis galt es, sich wieder schick zu machen. Auf den „Parsifal“ war ich besonders gespannt. Obwohl ich keine der AR-Brillen hatte, wurde ich nicht enttäuscht – die Vorstellung war grandios und auch ohne Brille absolut sehenswert!
Mittwoch 16.08.2023
Der Mittwoch startete mit einem sehr spannenden Einführungsvortrag zur „Tannhäuser“-Vorstellung. Mir wurde schon, bevor ich nach Bayreuth kam, von der komplexen Inszenierung erzählt und durch den Vortrag wuchs die Vorfreude auf den Abend. Anschließend gab es für uns Stipendiaten eine Führung durch das Festspielhaus inklusive Besichtigung des Orchestergrabens. Es war für mich vor allem sehr spannend zu sehen, wie dieser in Bayreuth aufgebaut ist. Wagner ließ den Graben steil, in Stufen abwärts unter der Bühne verschwinden und baute eine Sichtblende ein, damit das Publikum gar nicht in den Graben schauen konnte und so nicht vom Bühnengeschehen abgelenkt wird. Durch diese ganzen Vorrichtungen hört das Publikum keinen Direktklang, sondern einen Reflexionsklang. Der Klang des Orchesters gelangt auf die Bühne, mischt sich dort mit den Sängern und wird durch schallreflektierende Wände in den Saal projiziert. Wagners Wunsch vom „unsichtbaren, verklärten Orchester“ wurde hiermit Realität.
Doch der Orchestergraben ist nicht einzig allein für die besondere Akustik verantwortlich, sondern auch die Architektur und vor allem die Inneneinrichtung. Wagner ließ so gut wie keine schallschluckenden Elemente, wie Teppiche oder Polster einbauen, so setzte er fast ausschließlich auf Holz. Über der Decke und unter dem Zuschauerraum sind große Hohlräume eingebaut, die Wagners Klangideal unterstützen. Auch die berühmt berüchtigten Holzsessel des Festspielhauses tragen dazu bei, die perfekte Akustik nicht zu stören. Die Besonderheit der übermäßigen Holzverbauung wurde uns anhand einer Spieluhr aufgezeigt: ließ man die Spieluhr spielen, während man sie in der Hand hielt, konnte ich im mittleren Parkett nur einzelne Töne erahnen. Sobald sie auf dem Holzboden stand, war die Melodie klar und deutlich zu hören. Das war wirklich beeindruckend!
Meine letzte Vorstellung für diese Woche war der „Tannhäuser“, auf welche ich mich besonders freute, da sie eine meiner Lieblingsopern ist. Die Inszenierung von Tobias Kratzer war unglaublich emotional, mitreißend und modern. Die Parallelwelten zu verfolgen und zu verstehen war eine ganz neue Opernerfahrung. So eine geniale Umsetzung erlebt man nur in Bayreuth!
In der ersten Pause versuchte ich so schnell es ging den Saal zu verlassen, um am Festspielteich einen guten Platz zu ergattern. Die beiden Statisten Le Gateau Chocolat und Oskar boten eine unterhaltsame Show, sangen Pop-Musik und plantschten schlussendlich mit weiteren Statisten im Teich. Im zweiten Akt freute ich mich besonders auf die Auftrittsarie der Elisabeth, die Teige verkörperte. Erneut verzauberte sie mich, doch auch der Tannhäuser, dargestellt durch Klaus Florian Vogt, war absolut überzeugend. Nach einem emotionalen, düsteren dritten Akt endete der „Tannhäuser“ mit tobendem Applaus. Ich hatte Gänsehaut und konnte es nicht glauben, dass die Vorstellung schon vorbei ist.
Donnerstag 17.08.2023
Den letzten Tag habe ich in der Stadt verbracht, bin durch die Gassen geschlendert und habe das Richard-Wagner-Museum und das Franz-Liszt-Museum besucht. Im Richard-Wagner-Museum konnte ich einige der historischen Bühnenbildmodelle, originale Kostüme, Partiturauszüge und Briefe bestaunen. In der Villa Wahnfried, in der Wagner 1874 bis zu seinem Tod lebte, bekam ich einen Einblick in die Geschichte der Festspiele, in die Lebenswelt und den Alltag der Familie Wagner.
Nach der Kranzniederlegung am Grab Richard Wagners und einem kurzen Empfang machte ich mich auf den Weg zum Europasaal, in dem die Stipendiaten Woche ganz klassisch mit dem internationalen Stipendiatenkonzert und dem Stipendiatenabend abgeschlossen wurde. Spitzenmusiker boten ein abwechslungsreiches Programm, die den leidenschaftlichen Applaus des Publikums absolut verdienten. Den Abend ließen wir gemeinsam ausklingen und ich war schon etwas traurig, dass die Woche jetzt vorbei ist.
Die drei Opern („Holländer“, „Parsifal“, „Tannhäuser“) an diesem geschichtsträchtigen Ort anzuhören, war ein tolles Erlebnis, an das ich mich immer gerne zurückerinnern werde. Auch die künstlerischen Leistungen, seien es die Einzelleistungen der Sänger oder aber auch der Gesamtklang des Orchesters, haben mich wirklich beeindruckt. Ich bin immer noch absolut überwältigt, wenn ich an die unvergesslichen Erfahrungen der Stipendiatentage in Bayreuth denke. Ich durfte ganz viele nette Menschen kennenlernen und freue mich, die Bayreuther Festspiele in den nächsten Jahren erneut zu besuchen.
Zum Schluss möchte ich mich bei Harald Schneider für sein Engagement, die Organisation und seine Geduld bedanken. Ich habe mich sehr gefreut, als ich letztes Jahr den Anruf bekommen habe, dass er mich für dieses tolle Stipendium vorgeschlagen hat. Seine Begeisterung für Wagners Opern war sofort ansteckend und lies Vorfreude auf die Festspiele aufkommen. Vielen Dank auch an Monika Beer und allen Mitgliedern und Förderern des Richard-Wagner-Verbands Bamberg, ohne die ich nie diese Möglichkeit gehabt hätte. Ich freue mich auf das Stipendiatenkonzert in Bamberg und hoffe, dort einige von Ihnen kennenzulernen!
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