„Wagner ohne Wagner?“

Un­ser Mit­glied Bernd Buch­ner prä­sen­tier­te im Kufa-Saal erst­mals sein po­li­ti­sches Psy­cho­gramm der Wag­ner­fa­mi­lie. Es ist Teil der Neu­fas­sung sei­nes Bu­ches „Wag­ners-Welt­thea­ter“, das nächs­tes Jahr bzw. spä­tes­tens 2026 er­schei­nen soll.

Bernd Buch­ner bei sei­nem Vor­trag im Kufa-Saal – Foto: Ul­ri­ke Müller 

Es lohnt sich manch­mal nicht nur für das Pu­bli­kum, son­dern so­gar für Re­fe­ren­ten, beim Ri­chard-Wag­ner-Ver­band Bam­berg ei­nen Vor­trag zu hal­ten. Bernd Buch­ner, pro­mo­vier­ter His­to­ri­ker und Jour­na­list, der jüngst bei uns sein „Po­li­ti­sches Psy­cho­gramm der Wag­ner­fa­mi­lie“ prä­sen­tier­te, hat die­se Er­fah­rung ge­macht – auch dank sei­ner Vor­be­mer­kung, die im Fol­gen­den aus­führ­lich zi­tiert sei:

Der Ti­tel des Vor­trags führt schon mit­ten ins The­ma, aber an­ders als Sie den­ken. „Mo­der­ne Atri­den oder ‚deut­sche Wind­sors‘? Po­li­ti­sches Psy­cho­gramm der Wag­ner­fa­mi­lie“. Die „deut­schen Wind­sors“ ste­hen in An­füh­rungs­zei­chen. Das be­deu­tet, je­mand hat das ge­sagt über die Fa­mi­lie Wag­ner in Bay­reuth und man kann das so zi­tie­ren. Mit Quel­le und Fuß­no­te. Das Pro­blem ist nur: Ich mei­ne, die­se For­mu­lie­rung ir­gend­wo ir­gend­wann ge­le­sen zu ha­ben, wo und wann, weiß ich al­ler­dings nicht mehr ge­nau. Und das ist das Pro­blem. Denn wenn man wis­sen­schaft­lich vor­geht, muss man al­les, was man zi­tiert, nach­wei­sen. Wenn ich jetzt ein­fach die An­füh­rungs­zei­chen weg­näh­me, wür­de ich be­haup­ten, die For­mu­lie­rung „deut­sche Wind­sors“ sei von mir. Das ist sie aber nicht. Und wer sie tat­säch­lich ge­prägt hat, könn­te sa­gen, das sei ein Pla­gi­at. Also: Al­les, was man zi­tiert, muss man nach­wei­sen. Das ge­hört zur wis­sen­schaft­li­chen Se­rio­si­tät dazu, und wir un­ter­stel­len ein­mal, dass das un­ge­fähr das glei­che ist, Wis­sen­schaft und Seriosität.
Wenn ich also die „deut­schen Wind­sors“ in An­füh­rungs­zei­chen nicht nur hier im Vor­trag ver­wen­den möch­te, son­dern auch in ei­nem Buch, das nächs­tes Jahr er­schei­nen soll, wer­de ich ver­su­chen müs­sen, bis da­hin den Ort zu fin­den, an dem die­se For­mu­lie­rung schon ein­mal ver­wen­det wur­de. Ver­mut­lich eine Bou­le­vard­zei­tung, schwer auf­find­bar. Für Hin­wei­se bin ich dank­bar. Oder ich kann den Sach­ver­halt in ei­ner ent­schul­di­gen­den Fuß­no­te er­klä­ren. Oder ich las­se die For­mu­lie­rung weg. Aber es wäre scha­de um die „deut­schen Wind­sors“. Weil da­mit jede und je­der so­fort et­was an­fan­gen kann. Weil man zu die­ser Ana­lo­gie gar nicht viel er­klä­ren muss. Weil man so­fort die Dra­men im bri­ti­schen Kö­nigs­haus im Kopf hat, samt Lady Dia­na und Prinz Har­ry, und denkt: Bei den Wag­ners ist das ja nicht anders.

Die Ana­lo­gie, die sich mir bei die­ser Ein­lei­tung auf­dräng­te, war zu­nächst ein­mal, dass nicht nur Bernd Buch­ner aus Kulm­bach stammt, son­dern auch der­je­ni­ge CSU-Po­li­ti­ker, des­sen stei­le Kar­rie­re we­gen un­sau­be­ren Zi­tie­rens in der Dok­tor­ar­beit ein jä­hes Ende fand und eine Wel­le von ähn­li­chen Auf­de­ckun­gen bei an­de­ren nach sich zog – und zwar be­kann­ter­ma­ßen bis heu­te. Be­vor sich jetzt ein wei­te­rer Ab­grund am Ro­ten Main auf­tut, sei ger­ne da­zwi­schen ge­wor­fen, dass zu­min­dest das Pro­blem der „Windsor“-Quelle ge­löst scheint.

Ein gut ge­füll­ter Kufa-Saal – Foto: Ro­land Gröber

Franz-Xa­ver Stan­gl­mei­er, lang­jäh­ri­ges Mit­glied und Kas­sen­prü­fer des RWV Bam­berg, teil­te mir am Tag nach dem Vor­trag in ei­nem An­ruf er­freut mit, dass er mög­li­cher­wei­se die ge­such­te Wind­sor-Quel­le ge­fun­den habe. Na­tür­lich kön­ne er nicht ga­ran­tie­ren, dass da­mit auch der ur­sprüng­li­che geis­ti­ge Ur­he­ber ding­fest ge­macht sei. Aber im­mer­hin wä­ren die „deut­schen Wind­sors“ sau­ber zi­tier­fä­hig, denn Sir Pe­ter Jo­nas (1958–2019) be­nutz­te die­ses Bild in sei­ner Fest­an­spra­che zu Wie­land Wag­ners 100. Ge­burts­tag am 24. Juli 2017 im Bay­reu­ther Fest­spiel­haus – eine Rede, die sei­ner­zeit in der „Süd­deut­schen Zei­tung“ kom­plett ab­ge­druckt und ge­nau in die­sem Punkt auch von an­we­sen­den Jour­na­lis­ten in an­de­ren Zei­tun­gen zi­tiert wur­de. Ein schö­ner Quel­len­fund für­wahr, denn wer, wenn nicht ein mit ei­nem Adels­prä­di­kat aus­ge­zeich­ne­ter Eng­län­der wäre prä­de­sti­niert, den Wag­ner­clan, als „deut­sche Wind­sors“ zu nobilitieren?

Bernd Buch­ner bei sei­nem Vor­trag im Kufa-Saal – Foto: Ro­land Gröber

Wie bei vie­len Göt­ter- und Kö­nigs­ge­schlech­tern fängt auch bei den Wag­ners die Her­kunft schon mit Fra­ge­zei­chen an. Kein Wun­der bei ei­nem, der sei­nen leib­li­chen Va­ter nicht ken­nen­ler­nen konn­te, sei­nen Stief­va­ter im Kin­des­al­ter ver­lor und spä­ter die Va­ter­lo­sig­keit auf­fal­lend in sei­nen Mu­sik­dra­men the­ma­ti­sier­te. Kein Wun­der auch bei ei­ner Clan-Mut­ter, die, wie man mund­art­lich sagt, ein Ban­kert war, müt­ter­li­cher­seits im­mer­hin aus dem fran­zö­si­schen Hoch­adel stam­mend und mit ei­nem fast nur ab­we­sen­den Va­ter ge­seg­net, den man ge­trost als den ers­ten Klas­sik-Su­per­star ein­ord­nen kann. Wo­mit wir auch schon mit­ten in der Glie­de­rung des Buch­ner­schen Vor­trags wä­ren, von dem die­ser Be­richt ei­ni­ge we­ni­ge De­tails liefert.

Punkt 1 Geschichtsschreibung und Familie

„Nach der Kon­fes­si­on, der Na­ti­on, der Ras­se und der Klas­se“, so zi­tiert der Re­fe­rent den His­to­ri­ker Vol­ker Rein­hardt in des­sen An­mer­kung zum Zeit­geist des frü­hen 21. Jahr­hun­derts, „wird jetzt, am Ende al­ler Ideo­lo­gien, die Ab­stam­mung als Vor­her­be­stim­mung ent­deckt.“ Da­mit ver­bun­den sei die „Wie­der­auf­er­ste­hung des ur­aris­to­kra­ti­schen Kri­te­ri­ums der Ab­stam­mung im Zeit­al­ter der me­di­al ge­steu­er­ten Mas­sen­de­mo­kra­tie“. Sprich: Das trifft auf die Wag­ners ge­nau­so zu wie ein­schlä­gi­ge phy­sio­gno­mi­sche Ei­gen­hei­ten. Ach, Wag­ner­na­sen, Wur­zel­hän­de und Hammerzehen!

Punkt 2 Wer sind die Wagners?

Es han­delt sich aus der Sicht Bernd Buch­ners mo­men­tan um rund drei­ßig Per­so­nen, sprich Ri­chard und Co­si­ma Wag­ner, de­ren Ab­kömm­lin­ge, Schwie­ger­kin­der so­wie ei­ni­ge Fa­mi­li­en­freun­de. Po­li­tisch ge­se­hen zäh­len be­son­ders Hous­ton Ste­wart Cham­ber­lain, der spä­te Ehe­mann von Toch­ter Eva, Wi­nif­red Wag­ner als Ehe­frau des ein­zi­gen Soh­nes Sieg­fried und na­tür­lich Adolf Hit­ler, der bei den Wag­ners in Wahn­fried seit den frü­hen 1920er Jah­ren ein- und ausging.

Punkt 3 „Familie“ in den Musikdramen Richard Wagners

Schon An­fän­ger sind schnell da­bei, Opern­fi­gu­ren und -kon­stel­la­tio­nen mit rea­len Men­schen und Si­tua­tio­nen des Wag­ner­clans gleich­zu­set­zen. „Es gibt“, so Buch­ner, „in den Mu­sik­dra­men auch so gut wie kei­ne in­tak­ten Ver­wandt­schafts­ver­hält­nis­se, nur Halb und Voll­wai­sen und un­glück­li­che Ehe­paa­re.“ Stimmt auffallend.

Punkt 4 Strukturelemente der Familiengeschichte

Die Un­ter­punk­te „Lei­den an der Grö­ße des Meis­ters“, „Die Vor­na­men“ so­wie „Kon­for­mi­tät oder Non­kon­for­mis­mus?“ ha­ben es in sich: „Un­ter Ri­chard Wag­ners künst­le­ri­scher und per­sön­li­cher Be­deu­tungs­last“, so Buch­ner, „ha­ben nicht nur Kom­po­nis­ten­kol­le­gen wie Pe­ter Cor­ne­li­us und enge Freun­de wie Her­mann Levi ge­lit­ten, vor al­lem aber die Fa­mi­lie ist stark da­von be­rührt wor­den.“ Tat­säch­lich sind auf je­weils ihre Art alle Wag­ners an der Grö­ße des Meis­ters mehr oder we­ni­ger ge­schei­tert. Auch das Mot­to „Wer nicht für mich ist, ist ge­gen mich“ scheint zeit­los gül­tig. Und wer hät­te ge­dacht, wie auf­schluss­reich schon das Nach­den­ken über die Vor­na­men sein kann! Ganz zu schwei­gen da­von, in­wie­weit und wann wel­che Wag­ners war­um Kon­for­mis­ten oder Non­kon­for­mis­ten waren.

Punkt 5 Biografische Schlaglichter: das Jahr 1966

Nicht um­sonst hält sich Bernd Buch­ner in vie­lem an Aus­sa­gen von Nike Wag­ner, der Wag­ner­ur­en­ke­lin, die ein­fach von al­len un­mit­tel­bar Be­tei­lig­ten am al­ler­bes­ten und mit Ab­stand am klügs­ten schrei­ben kann, nach­zu­le­sen in ih­rem lan­gen Es­say „Wahn/​Fried/​Hof“ aus dem 1998 er­schie­ne­nen Buch „Wag­ner Thea­ter“. Zwar schränkt er ein, dass sie eine „pre­kä­re Drei­fach­rol­le als Er­zäh­le­rin, Zeit­zeu­gin und als Be­trof­fe­ne“ ein­neh­me, aber er stellt aus gu­ten Grün­den ihre Kri­tik­fä­hig­keit ger­ne über sei­ne Be­den­ken. Der Kampf der Brü­der Wie­land und Wolf­gang ge­gen ihre Mut­ter, die ei­ge­nen Schwes­tern, den Cou­sin und schließ­lich di­rekt ge­gen­ein­an­der wird zum we­sent­li­chen Be­stand­teil des Psychogramms.

Punkt 6 Familie und Festspiele I: Ausschluss unliebsamer Konkurrenten

„Dort, wo es um die Sa­che und das grö­ße­re Gan­ze geht“, so Buch­ner, „herrscht rei­ne Macht­po­li­tik und tre­ten fa­mi­liä­re Be­lan­ge eher zu­rück. In die­sem Mo­ment be­ginnt der Aus­schluss un­lieb­sa­mer Kon­kur­ren­tin­nen und Kon­kur­ren­ten. Da­bei wen­den die Ak­teu­re längst über­hol­te Rechts­prin­zi­pi­en an wie die Agna­ti­on, also den Vor­rang der männ­li­chen Ab­stam­mungs­li­nie, oder den Fi­dei­kom­miss, also den Vor­rang ei­nes ein­zel­nen Fa­mi­li­en­zweigs, um die Ver­mö­gens­mas­se ge­schlos­sen und un­ver­äu­ßer­lich in ei­ner Hand zu be­hal­ten – bei­des Rest­be­stän­de des feu­da­len Rechts, ohne Be­deu­tung in der mo­der­nen Recht­spre­chung.“ Mal ehr­lich, weiß auf An­hieb, was Agna­ti­on und Fi­dei­kom­miss be­deu­ten? Des­halb bin ich sehr dank­bar, dass ich jetzt weiß, dass bei­des be­reits greift bei der auf­fal­lend ver­spä­te­ten Tau­fe Sieg­fried Wag­ners, die erst fünf­zehn Mo­na­te nach der Ge­burt und kurz nach der Hei­rat sei­ner El­tern statt­fand, welch­letz­te­re wie­der­um nicht zu­fäl­lig auf den Ge­burts­tag von Kö­nig Lud­wig II. ge­legt wur­de. Al­les klar?

Punkt 7 Familie und Festspiele II: Monopolisierung von Informationen

Wie sehr die Wag­ners schon im­mer Me­di­en­po­li­tik be­trie­ben ha­ben, lässt sich un­schwer dar­an ab­le­sen, dass es zwar eine gro­ße Men­ge an Ori­gi­nal­quel­len, aber auch an be­wusst her­bei­ge­führ­ten Ver­lus­ten an eben­sol­chen zu be­kla­gen gibt. „Der ei­gen­wil­li­ge Um­gang mit In­for­ma­tio­nen, Ak­ten und an­de­rem Ma­te­ri­al hat fa­mi­li­en­ge­schicht­li­che Kon­ti­nui­tät und be­ruht auf der Angst, bri­san­te Tat­schen oder Vor­gän­ge rund um den Grü­nen Hü­gel öf­fent­lich dis­ku­tie­ren zu müs­sen und da­durch die Fa­mi­lie und das Un­ter­neh­men bloß­ge­stellt zu se­hen.“ In­zwi­schen sei­en im­mer­hin die Nach­läs­se von Wie­land und Wolf­gang Wag­ner zu­gäng­lich. Dass die Ge­schich­te der Fest­spie­le und der Wag­ners neu ge­schrie­ben wer­den müss­te, wenn end­lich auch die nach wie vor un­ter Ver­schluss ge­hal­te­nen Do­ku­men­te aus Wi­nif­red Wag­ners wei­ßem Ak­ten­schrank an die Öf­fent­lich­keit kä­men, schließt Bernd Buch­ner eher aus  und schaut in die Zu­kunft: „Letzt­lich ha­ben die Fest­spie­le im­mer auch vom My­thos der Wag­ners ge­lebt. Viel­leicht ist der Zau­ber ja weg, wenn die Wag­ners weg sind. Mi­nis­ter­prä­si­dent Mar­kus Söder sag­te bei der letz­ten Fest­spiel­eröff­nung, er kön­ne sich ‚Wag­ner ohne Wag­ner‘ ei­gent­lich gar nicht vor­stel­len. Tat­säch­lich ist das so schwer vor­stell­bar wie die ‚Meis­ter­sin­ger‘ ohne Nürnberg.“

Bernd Buch­ner mit Tor­tis­si­ma-Wag­ner – Foto: Ro­land Gröber

Vor­aus­sicht­lich nächs­tes Jahr be­zie­hungs­wei­se spä­tes­tens 2026 und da­mit pünkt­lich zum 150jährigen Fest­spiel­ju­bi­lä­um wird im Ver­lag Kö­nigs­hau­sen & Neu­mann die er­wei­ter­te Neu­auf­la­ge des Bu­ches „Wag­ners Welt­thea­ter“ er­schei­nen. Wir freu­en uns schon jetzt auf die Buch­prä­sen­ta­ti­on mit un­se­rem Mit­glied Bernd Buch­ner bei uns in Bamberg.

Bernd Buch­ner und Ul­ri­ke Mül­ler vom RWV-Vor­stand – Foto: Ro­land Gröber
Mo­ni­ka Beer, Bar­ba­ra Fi­scher-Koh­nert und Ro­land Grö­ber vom RWV-Vor­stand – Foto: Ul­ri­ke Müller

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