Verblüffende und unterhaltsame Bühnenvisionen: Sabine Sonntag weiß, wie man Wandeldekorationen besser nachvollziehen kann. Nur bei der Augmented Reality stößt sie – noch? – ganz real an technische Grenzen.
„Wie schaffst du die Verwandlung?“ hatte Sabine Sonntag, Hugo von Hofmannsthal aus dessen Libretto für die Oper „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss zitierend, ihren Vortrag am 6. Februar im Kufa-Saal betitelt. Die an Bacchus gerichtete Frage der Ariadne lautet weiter:
Mit den Händen?
Mit deinem Stab?
Wie, oder ist’s ein Trank,
den du zu trinken gibst?
Bühnenbildverwandlungen bei Wagner, stellte die Referentin gleich eingangs fest, sind keine wie auch immer gearteten Wundererscheinungen. Wenn es in „Tannhäuser“ vom Venusberg zur freien Gegend geht, im „Rheingold“ vom Rhein auf wolkige Höhen, von dort hinunter nach Nibelheim und wiederum zurück auf wolkige Höhen und schließlich weiter nach Walhall, in „Götterdämmerung“ vom Brünnhildenfelsen in die Gibichungenhalle und zurück sowie in „Parsifal“ zweimal vom Gralswald in den Gralstempel sollten das natürlich auch keine „Umbauten“ hinter dem Vorhang, sondern, wie von Wagner vorgeschrieben, offene Verwandlungen sein.
„Verwandlung ist hier nicht bloß bühnentechnische Notwendigkeit“, zitierte Sonntag Wagnerkenner Peter Wapnewski, „sondern Ereignis eigenen Rechtes mit entsprechend gewichtiger Musik.“ Und schon die ersten Filmbeispiele aus der internationalen Opernpraxis machten deutlich, dass das keineswegs einfach ist. Sondern ganz schön schwierig. Selbst in der legendären „Jahrhundertring“-Inszenierung von Patrice Chéreau klappte die offene Verwandlung im 1. Akt „Götterdämmerung“ mitnichten auf der Bühne des Festspielhauses, sondern, dank eines Zooms, nur in der Filmaufzeichnung.
Ein kleiner Exkurs ins Barocktheater machte klar, welche Art von Wandeldekoration Wagner von den Bühnen seiner Zeit hinlänglich kannte: auf Walzen sich abwickelnde Landschaften, Büsche oder Bäume brachten Bewegung ins Bühnenbild – eine Methode, die, wie Sonntag zum Gaudium der Zuhörer erklärte, jeder mit zwei bis drei Küchenrollen selber ausprobieren kann. Der seit 1925 am Grünen Hügel wirkende Bühnenbildner Kurt Söhnlein hat die Verwandlung der „Parsifal“-Uraufführungsproduktion, die von 1882 bis 1933 auf dem Festspielprogramm stand, wie folgt beschrieben:
Drei große bemalte Leinwand-Bahnen von zirka eineinhalb- bis sechsfacher Prospekt-Länge wickelten sich von je drei senkrechten hölzernen Walzen links und rechts der Bühne, quer über die Bühne zur Gegenseite […]. Die Bahnen liefen am Oberende, in der Höhe der Walzen (zirka zwölf Meter) zwischen hölzernen Führungsschienen durch eingenähte Seile oberhalb der Schienen gehalten und geleitet fortbewegt – ursprünglich durch Handzüge (später durch Einbau von Kugelrädern).
Was übrigens vergleichsweise teuer war, denn die Wandeldekoration verschlang die Hälfte der Gesamtkosten für das Bühnenbild der Uraufführung. Weil die technischen Abläufe nicht schnell genug funktionierten, musste Wagner bekanntlich schon während der Proben 1881 die erste Verwandlungsmusik verlängern, im Jahr darauf ergänzte dann der musikalische Assistent Engelbert Humperdinck die noch notwendigen Verbindungstakte.
Als weitere Beispiele für Verwandlungen in „Parsifal“ präsentierte Sabine Sonntag mit der ihr eigenen Schlagfertigkeit Bild- und Filmmaterial zu den Bayreuther Inszenierungen von Wieland Wagner (Laufzeit 1951–1973), Wolfgang Wagner (1975–1981 sowie 1989–2001), Götz Friedrich (1982–1988) und Stefan Herheim (2008–2012) sowie zu den Inszenierungen von Romeo Castelucci in Brüssel (2011) und Kirill Serebrennikov in Wien (seit 2021).
Ihre Gebrauchsanweisung zur Nutzung der Spezialbrille für Jay Scheibs „Parsifal“-Neuinszenierung in „Augmented Reality“ war informativ, die Vermittlung ihrer Eindrücke blieb visuell allerdings letztlich auf ein unzureichendes Montagebild beschränkt, das die erweiterte Realität eben nicht wiederzugeben vermochte. Dazu braucht es die gleichzeitige Sicht auf das Bühnengeschehen und die Einspielung zusätzlichen Filmmaterials über die Brille, mit dem die Zuschauer teils sogar interagieren können.
Dass sich eine lebhafte Diskussion anschloss, war erwartbar. Aus dem Publikum wurden aber nicht nur Zweifel formuliert, inwieweit die Musik und die Aufnahmefähigkeit des Publikums darunter leide, sondern es gab unter den nur wenigen AR-Brillen-Praktikern klare Befürworter dieser für die Oper erstmals verwendeten Technik. Sabine Sonntag appellierte an alle, den neuen Möglichkeiten offen und neugierig zu begegnen. „Und wenn es einem zuviel wird“, sagte sie, „kann man immer noch die Brille abnehmen oder die Augen einfach mal zumachen.“
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