Die Bayreuther Sängerlegende Anja Silja, Nachwuchssolisten und die Münchner Hofkapelle präsentieren die Hasse-Oper „Artaserse“ zur Wiedereröffnung des restaurierten Markgräflichen Opernhauses zu Bayreuth.
Ob der stabgereimten Fülle an Gold und Glanz in den Schlagzeilen zur Wiedereröffnung des Markgräflichen Opernhauses konnte man eine Überrestaurierung befürchten. Doch die nachgedunkelten Farben wurden behutsam aufgefrischt, Fehlstellen und Gebrauchspuren so belassen, dass man den natürlich gealterten Charakter dieses einzigartigen barocken Innenraums spürt. Was in einem Punkt und sehr berührend sogar die Neuinszenierung von Johann Adolf Hasses Oper „Artaserse“ spiegelte, mit der nach dem Festakt mit Ministerpräsident Markus Söder, dem Wittelsbacher Franz Herzog von Bayern und von den Hohenzollern Georg Friedrich Prinz von Preußen sowie zahlreichen Ehrengästen am Donnerstag das einzigartig erhaltene Barocktheater wiedereröffnet wurde.
Die Theaterakademie August Everding, die in Kooperation mit der bayerischen Schlösser- und Gärtenverwaltung und weiteren Hochschulen die Produktion herausbrachte, landete nämlich einen Besetzungscoup: Sie engagierte mit Anja Silja einen Gast mit besonderem Bayreuth-Bezug. Die inzwischen 77-jährige Sängerdarstellerin war in Wieland Wagners Neubayreuth nicht nur der jüngste Shootingstar, sondern auch die Geliebte des Wagner-Enkels, die nach dessen Tod 1966 Bayreuth den Rücken kehrte und auch an anderen Bühnen keine Wagnerpartien mehr sang. Sie ist für viele eine Opernlegende – und verkörpert hier die Markgräfin Wilhelmine, deren Leben und Leiden mit der Handlung der 1730 uraufgeführten und achtzehn Jahre später zur Eröffnung des Markgräflichen Opernhauses auch in Bayreuth präsentierten Hasse-Oper verknüpft wird.
Ein Studententeam unter Regisseur Balázs Kovalik hat zusammen mit dem musikalischen Leiter Michael Hofstetter eine sogenannte Münchner Fassung erarbeitet, die inhaltlich auf „Artaserse“ fußt, aber gleichzeitig die Biografie von Wilhelmine und ihrem heißgeliebten Bruder Friedrich, dem späteren Alten Fritz, miterzählt und Stränge aus der Hasse-Oper „Ezio“ aufgreift, die ebenfalls 1748 zur Eröffnung des Markgräflichen Opernhauses gespielt wurde. Musikalisch werden ausgewählte Arien und Rezitative beider Werke angereichert durch eine hörenswerte Komposition aus der Oper „Argenore“ der vielfach begabten Markgräfin.
Klingt kompliziert, ist es leider auch. Während die von der Münchner Hofkapelle historisch orientiert und kompetent gespielte musikalische Zusammenstellung durchaus den Gepflogenheiten zu Hasses Zeiten entspricht – Pasticcios waren damals gang und gäbe –, wirkt die szenische Umsetzung mit den sowohl historischen wie fiktiven und zunehmend heutigen Doppelfiguren heillos überfrachtet. Das erschließt sich vermutlich nur jenen, die vorher das komplette Textbuch gelesen haben und Wilhelminens Familiengeschichte aus dem Effeff kennen.
Der überwiegende Rest an Zuschauern hält sich fest an der Musik, am kunstvollen Gesang in italienischer Originalsprache und den immer wieder betörend schönen Bildern (Bühne: nach einem Entwurf von Csaba Antal, kostbare historisierende und sinnfällige heutige Kostüme: Sebastian Ellrich), darf sich aber dramaturgisch ziemlich im Stich gelassen fühlen. Immerhin gibt es für Inhalt und Text eine reale Verständnishilfe: Anja Silja als die alte Markgräfin spricht auf Deutsch erläuternde Texte, zitiert aus Briefen – und wenn sie in ihrer Schlussszene schließlich auch etwas Sprechgesang wagt, ist dieser Opernabend plötzlich berührend und ein Ereignis.
„Hier bin ich endlich, allein mit meinem Schmerz“, rekapituliert sie das Geschehen, das Schwester (Pauline Rinvet), Bruder (Kathrin Zukowski), Mutter (Natalya Boeva), Vater (Eric Ander) und der Intrigant (Tianji Lin) im von fleißigen Helfern hin- und hergeschobenen und schließlich dekonstruierten barocken Bühnenhausabbild samt alter Donner- und Windmaschine haben abrollen lassen. Nachdem das Publikum erlebt hat, wie noch ganz junge Sänger sich virtuos in einer ziemlich alten Musiksprache versuchen und zum Teil auch bewähren, nachdem man staunend fast drei Opernstunden in dieser mehrhundertjährigen Festarchitektur verbracht hat, die auch von der Ausstattung gespiegelt wird, und dann von Sängerlegende Silja eben kein Happyend, kein für Barockopern zwingendes „Lieto fine“ serviert bekommt, muss man plötzlich über nichts anderes als über die Vergänglichkeit nachdenken.
Besuchte Wiedereröffnungsvorstellung mit Festakt am 12. April, weitere Vorstellungen in Bayreuth am 14. und 15. April sowie nach einem Gastspiel beim Budapest Spring Festival 2018 am 11. und 15. Mai im Münchner Cuvilliéstheater. Karten-Info auf der Homepage der Theaterakademie August Everding
Erstveröffentlichung der etwas kürzeren Druckversion am 14. April 2018 im Feuilleton des Fränkischen Tags
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