Unser Stipendiat Justus Böhm (Kontrabass) hat bei den Stipendientagen nicht nur viele positive Erfahrungen gemacht. Geblieben ist der Wunsch, auch noch die anderen großen Wagneropern an diesem Ort zu erleben.
Ich sitze, bewaffnet mit Gepäck für fünf Tage und einer Wagnerbiographie, im Zug über Nürnberg nach Bayreuth. Das Kapitel, das ich gerade begonnen habe, heißt „Wagner und das Geld“ und legt nahe, dass Wagner eher nicht der Regionalbahnfahrer gewesen wäre, wo es um einen herum laut ist und man mit vielen Leuten dicht gedrängt sitzt oder im Gang steht. (Insgesamt kann man Zugfahren als gute Vorbereitung sehen für die Sitzsituation im Festspielhaus: Es ist eng, nach langen Stunden wird es irgendwann unbequem und die Klimaanlage funktioniert nicht.) Wagner wäre wohl in der ersten Klasse gefahren. Der Schaffner schiebt sich mühsam durch die auf dem Gang stehenden Fahrgäste vor und kontrolliert die Tickets. Mein Gegenüber gibt ihm seine Fahrkarte. Ein kurzer Blick, dann wird der Fahrgast angesprochen: „Ungültig, mit dieser Karte können Sie in diesem Zug nicht fahren! Wo wollen sie denn hin?“ Ein verstörter Blick des Fahrgastes und die kurze Frage: „English?“ Der Schaffner wendet sich darauf an mich, ob ich des Englischen mächtig wäre und weiterhelfen könne. Der Fahrgast will nach Bayreuth zu den Festspielen. Nach kurzer Vermittlung eines Fahrscheins kommen wir ins Gespräch. Er stammt aus Portugal, aus Lissabon und arbeitet dort als Psychologe. Instrument spielt er keines, aber Musik und vor allem die Musikdramen Wagners begeistern ihn und haben in dazu inspiriert, ganz in der Art Richard Wagners mit seinen Patienten in komplette Opern einzutauchen, bei denen vom Libretto bis hin zu den Musikinstrumenten alles erarbeitet und damit etwas Eigenes geschaffen wird, was die Patienten positiv prägt. Durch ihre Motivation entstehen, wie er versichert, auch sehr zufriedenstellende Aufführungen.
In Bayreuth angekommen begegnen mir vor dem Bahnhof die ersten Akademisten anderer Wagnerverbände: alles Sänger! Bei unserer Unterkunft treffen wir auf weitere Stipendiaten – und auf einen fränkischen Abend. Ein fränkischer Abend definiert sich, wie ich hier erfahren darf, durch drei Merkmale. Erstens durch Bier als Hauptmerkmal. Zweitens durch das Angebot eines fleischhaltigen Gerichts wie Schweinebraten oder, im gegebenen Fall, durch Bratwürste. Und drittens durch das Nichtvorhandensein von vegetarischen Alternativen. Da es ja ein weltoffener und internationaler fränkischer Abend ist, gibt es zumindest vegetarische Häppchen. Nachdem ich viele neue Musiker und manche Freunde aus früheren Orchesterphasen getroffen habe, lege ich mich ins Bett und freue mich auf die vor mir liegende Woche.
Am Morgen ist Busabfahrt zu einem Empfang an der Walhall-Lounge, mit der offiziellen Begrüßungsansprache und kurzen Grußworten von Katharina Wagner. Man sieht auf das nebenan stehende Festspielhaus und entwickelt immer mehr Neugier. Auch die anschließende Führung durch das Festspielhaus feuert die Vorfreude auf die Aufführung am Abend weiter an. Bei der Führung werden detailliert die akustischen Besonderheiten des Raumes geschildert, wie der hohe Holzanteil, der viel bessere Resonanzen hervorbringt als Stein, und der besondere Aufbau des Orchestergrabens. Am Abend ist es dann endlich so weit, im überfüllten Bus geht es bei bestem Wetter in das aufgeheizte Festspielhaus.
Es gibt „Lohengrin“ und ab den ersten Tönen bin ich in den Bann gezogen, sowohl musikalisch als auch durch die Eigenart des Klangerlebnisses, das so ganz anders ist, als die Ouvertüre in einem normalen Konzertsaal zu hören. Nach dem Musikdrama bin ich zum einen voller Vorfreude auf die Aufführungen der nächsten Tage, parallel dazu aber voller Fragen zur Inszenierung. Die Fragen werden zwar nicht gelöst, allerdings intensiv die ganze Woche über diskutiert.
Am nächsten Morgen steht eine Einführung zum „Fliegenden Holländer“ auf dem Programm, die in mir die Hoffnung weckt, dass man dadurch wohl mit weniger Fragen aus der am Abend stattfindenden Aufführung gehen würde (was tatsächlich auch zutrifft). Allerdings beschäftigt mich nach der Einführung zunächst die Frage beschäftigt, ob all die Kapitalismuskritik in eine „Holländer“-Aufführung passen und die eigentliche Handlung damit nicht weit in den Hintergrund treten würde. Nach der Vorstellung sind diese Zweifel überwunden: Es war wieder eine super Inszenierung, auch wenn der musikalische Gehalt der Motivik und Verarbeitung nicht an die Intensität von Wagners späteren Werke anknüpfen konnte.
Am nächsten Tag steht „Parsifal“ auf dem Spielplan. Auf dem Weg zur Einführung hat ein Freund, der letztes Jahr in der Generalprobe dieser Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg war, mir schon begeistert davon erzählt und freut sich jetzt, das Ganze nochmal erleben zu können. Vor allem hatte ihn dieses letzte große Werk Wagners musikalisch beeindruckt. Dass Wagner „Parsifal“ genau für die akustischen Gegebenheiten des Festspielhauses geschrieben hat, macht es noch interessanter, das Werk wirklich in diesem Raum zu hören. Ich kannte bisher nur die Ouvertüre und bin begierig zu erfahren, was dem so intensiven Vorspiel folgt. Ich sitze in der letzten Reihe im Parkett. Die ist noch etwas enger als die anderen Reihen, so dass es noch schwieriger ist, die eine Position zu finden, in der man dort auch länger sitzen kann. Nachdem der Vorhang zum Schluss des ersten Aktes gefallen ist, erinnere ich mich daran, dass Dr. Sven Friedrich in der Einführung sagte, man dürfe nach dem ersten Akt guten Gewissens Applaus spenden. Doch ich bin noch so sehr in dieser tragischen Opferszene des Amfortas gefangen, dass es mir völlig unmöglich ist zu klatschen. Auch die einstündige Pause danach ist mehr von schweigendem Verarbeiten als großem Diskutieren geprägt – und das hält an über die nächsten zwei Akte und über mehr als vier Stunden. Sogar zurück in der Unterkunft besteht großer Konsens darin, direkt schlafen zu gehen, ohne noch zusammen zu sitzen. Ich bin wirklich in eine andere Welt eingetaucht, besonders nach diesem ersten Akt.
Am nächsten Morgen war auch schon der letzte Abend, und ich hatte ein schon fast komisches Gefühl, dass auf dem Programm keine Wagneroper stand. Morgens ging es erst zum Empfang ins Rathaus, anschließend gab es eine Stadtführung, die zwar viel über Wagner ging, allerdings auch gezeigt hat, dass Bayreuth nicht nur Wagnerstadt ist. Nachmittags folgte eine Kranzniederlegung am Grab Wagners hinter der Villa Wahnfried und zum Abschluss der Woche gab es ein zusammengewürfeltes Konzert von Stipendiaten, bei dem Wagner nur ganz am Rand vorkam. Das anschließende Büffet war auch schon der Beginn des Verabschiedens und der Anfang der Stipendiatendämmerung. Am Ende sind viele positive Erfahrungen und Begegnungen im Gedächtnis geblieben – und außerdem der Wunsch, auch noch die anderen großen Wagneropern an diesem Ort zu erleben.
Hier noch die nächsten Auftritte von Justus Böhm als Kontrabassist in Orchestern bzw. Bands:
15.09. „Nabucco“, Theater Rgensburg
16.09. Theaterfest, Theater Regensburg
18.09. „Nabucco“, Theater Regensburg
29.09. „Die Zauberflöte“, Theater Coburg
30.09. Konzert des Orchesters Ventuno, Kirche St. Magdalena, Herzogenaurach
03.10. „Kuno Knallfrosch“, Blue Train Orchestra, Stadthalle Hassfurt
05.10. „Nabucco“, Theater Regensburg
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