Der Tenor Franz Nachbaur war der Lieblingssänger von König Ludwig II. von Bayern. Und wie viele Sänger vor und nach ihm frischte er sein Geburtsjahr auf.
Dass Sänger sich auch an ihrer Biographie abarbeiten – derzeit das prominenteste Beispiel dafür ist der wahrscheinlich schon 1934 geborene, sich demnach schon lange um sieben Jahre jünger machende Plácido Domingo, der zudem auch noch seinen ältesten Sohn als seinen jüngeren Bruder ausgegeben haben soll – ist keineswegs neu. Auch über Geburt und Herkunft von Franz Nachbaur rankten sich schon zu dessen Lebzeiten Gerüchte und Geschichten. Als der Lieblingstenor von König Ludwig II. am 25. März 1900 seinen 70. Geburtstag feierte, waren nicht wenige seiner Gratulanten überrascht, weil sie ihn Nachbaurs eigenen Angaben zufolge fünf Jahre jünger wähnten.
Ignaz Nachbaur – andere Quellen nennen Innozenz als ersten Vornamen – wurde am 25. März 1830 als Sohn einer Bauernfamilie auf Burg Gießen bei Kressbronn am Bodensee geboren. Den Namen Franz soll er sich erst später zugelegt haben. Seine Musikerlaufbahn startete er als Chorist in Stuttgart und in Basel, wo er erste kleine Solopartien sang. Ein Baseler Bankier ermöglichte ihm die Weiterbildung bei Lamperti in Mailand. Nach Stationen in Meiningen, Hannover und Prag, wo er seine Frau Albina kennenlernte, wurde der gut aussehende Sänger 1863 am Großherzoglichen Hessischen Hoftheater in Darmstadt erster lyrischer Tenor. Dort hörte ihn im November 1866 in einer Vorstellung von Giacomo Meyerbeers „Afrikanerin“ der junge König Ludwig II. von Bayern als Vasco da Gama und war von seiner Bühnenerscheinung und der helltimbrierten, höhensicheren Stimme so begeistert, dass er ihn an sein Hoftheater holen ließ. Am 24. Juli 1867 debütierte Nachbaur als Alessandro Stradella in München, drei Monate später war er erstmals als Lohengrin zu erleben.
Operngeschichte schrieb er als Stolzing der „Meistersinger“-Uraufführung in München 1868. Schon bei den Proben jubelte Richard Wagner, der lange nach einem geeigneten Protagonisten gesucht hatte, Ludwig II. brieflich zu: „Wahrhafte Ueberraschung bereitet mir täglich Nachbaur, welchem der Walther durch meinen unvergleichlichen Gesellen Richter so tüchtig einstudirt worden ist, dass wir Alle in wirkliches Staunen über seine feurige, energische Leistung gerathen: hier ist ein völliges Wunder geschehen.“
Danach war er ein Liebling des Münchner Publikums und des Königs, der ihm nicht nur eine Lohengrin-Rüstung aus massivem Silber, sondern eine Vielzahl weiterer Preziosen schenkte. In Theaterkreisen nannte man Nachbaur, der ohnehin einen Hang zu äußerlicher Prachtentfaltung hatte, „Brillanten-Nazi“ (wobei Nazi die bayerische Kurzform von Ignaz war). Als Günstling des Königs wurde er zeitweise täglich zu seinem obersten Dienstherrn gerufen. Am 22. März 1872 schrieb der König in sein Tagebuch: „Um diese Zeit Nachbaur öfters kommen lassen. Himmlische Gesänge vernommen, heiter gestimmt.“
Natürlich glänzte Nachbaur auch in vielen Separatvorstellungen, und zwar nicht nur in seinen Wagnerpartien, sondern mehr noch im italienischen und französischen Fach. Der Postillon von Longjumeau war seine Lieblingsrolle, mit der er am 13. Oktober 1890 offiziell seine Karriere beendete. In München sang er insgesamt 1001 Vorstellungen, davon 165 Wagnerabende, mit Lohengrin und Stolzing an der Spitze. Letzteren gab er nicht nur in der von Wagner inszenierten Uraufführungsproduktion, sondern auch bei den Neueinstudierungen 1873 und 1877. Als Einspringer für den erkrankten Kollegen Max Mikorey sollte er am 13. Februar 1893 – exakt zehn Jahre nach Wagners Tod – nochmals als Stolzing auf der Bühne stehen.
„Er war eigentlich“, schrieb Alfred Mensi von Klarbach über ihn, „weder ein besonders musikalischer noch intelligenter Sänger, aber er übertraf seine jüngeren Kollegen durch seine glänzende Erscheinung und durch den echten Tenorklang seiner Stimme. Es hat wenige Künstler gegeben, die den Ruhm so bis zur Neige geschlürft haben.“ Was sich bewahrheiten sollte: Bei einer privaten Abendgesellschaft im März 1902, wo er sein Postillon-Glanzstück vortragen wollte, platzte ihm bei hohen D eine Ader im Kopf und er stürzte unglücklich. Ein paar Tage später starb er – im Alter von 72 Jahren.
Erstveröffentlichung auf https://www.takt1.de/
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