Kein Aprilscherz

Vom kon­kre­ten Auf­trag bis zur jet­zi­gen Blei­be: die Ge­schich­te des Wag­ner-Por­träts von Jo­seph Ne­po­muk Bern­hardt aus dem Jahr 1868.

Wag­ner­por­trät von Jo­seph Bern­hardt, Öl auf Lein­wand, Mün­chen 1868 Vor­la­ge: Mar­tin Geck, Die Bild­nis­se Ri­chard Wag­ners, Pres­tel Verlag

Nein, über April­scher­ze von und mit Ri­chard Wag­ner sind die schrift­li­chen Zeug­nis­se zu karg, als dass sie sich zu ei­ner schö­nen Ge­schich­te auf­plus­tern lie­ßen. Dann lie­ber gleich et­was eher Ab­sei­ti­ges, das ich un­ter dem Da­tum vom 1. April 1868 in der di­gi­ta­len Wag­ner-Bi­blio­thek ge­fun­den habe: Ein Brief des Hof­rats Lo­renz von Düf­f­lipp an den Ma­ler Jo­seph Bern­hardt, der auf Wunsch Kö­nig Lud­wigs II. von Bay­ern ein Por­trät von Ri­chard Wag­ner rea­li­sie­ren soll­te. Hier zu­nächst der Brief im Wort­laut, adres­siert an „Sei­ner Wohl­ge­bo­ren, dem k. Schloß­ver­wal­ter, Herrn Jo­seph Bern­hardt in Aschaffenburg“.

Sei­ne Ma­jes­tät der Kö­nig wün­schen, daß Sie den zur Zeit hier wei­len­den Ton­dich­ter Ri­chard Wag­ner in Oel por­trai­ti­ren möch­ten. – In­dem ich Ihre Be­reit­wil­lig­keit zur Ueber­nah­me die­sem Auf­tra­ges vor­aus­set­ze, er­su­che ich Sie, nach Emp­fang die­ser Zei­len so­fort um Ur­laub bei dem k. Oberst­hof­meis­ter­sta­be ein­zu­kom­men, als Grund hie­für al­len­falls Fa­mi­li­en­an­ge­le­gen­hei­ten an­zu­ge­ben, in­dem die­se Sa­che doch mög­lichst ver­schwie­gen blei­ben soll, und dann in thun­lichs­ter Bäl­de hier­her­zu­rei­sen. – Nach Ih­rer An­kunft bit­te ich mir die Ehre Ih­res Be­su­ches aus, um so­dann al­les Nä­he­re mit Ih­nen ver­ein­ba­ren zu kön­nen. – Be­schleu­ni­gung der Rei­se p. ist des­halb not­hwen­dig, weil Herr Wag­ner An­fang Mai wie­der nach der Schweiz zu­rück­zu­keh­ren gedenkt.

Jo­seph Ne­po­muk Bern­hardt (1805–1885) stamm­te aus Theu­ern bei Am­berg, wur­de zu­nächst als Wap­pen­ma­ler aus­ge­bil­det, stu­dier­te Ma­le­rei in Mün­chen und er­öff­ne­te 1837 dort sei­ne ei­ge­ne Mal­schu­le. Über Jahr­zehn­te por­trä­tier­te er meh­re­re Ge­ne­ra­tio­nen der Wit­tels­ba­cher und vie­le pro­mi­nen­te Münch­ner, be­klei­de­te zahl­rei­che Eh­ren­äm­ter und wur­de 1865 da­für un­ter an­de­rem mit ei­ner schö­nen Pfrün­de, der Schloss­ver­wal­ter­stel­le in Aschaf­fen­burg, be­lohnt. Zu sei­nen wich­tigs­ten Wer­ken zäh­len die Öl­bil­der von Kö­nig Ma­xi­mi­li­an II. im Krö­nungs­or­nat (In­gol­stadt, Baye­ri­sches Ar­mee­mu­se­um), von Kö­nig Lud­wig II. (Edenkoben/​Pfalz, Vil­la Lud­wigs­hö­he) und eben von Ri­chard Wag­ner (Pri­vat­be­sitz der Fa­mi­lie Feustel).

Letz­te­res Ge­mäl­de hat eine lan­ge Vor­ge­schich­te. Schon 1865 äu­ßer­te Lud­wig II. erst­mals den Wunsch nach ei­nem Bern­hardt-Por­trät Wag­ners, der sich aber zu­nächst lie­ber von sei­nem Freund Fried­rich Pecht ma­len und Lud­wig die Rech­nung be­glei­chen ließ, was kurz­zei­tig zu ei­ner schwe­ren Ver­stim­mung des Kö­nigs führ­te. Rund drei Jah­re spä­ter hak­te Lud­wig II. in Sa­chen Bern­hardt kon­kret nach. Am 26. Ja­nu­ar 1868 schrieb er an Co­si­ma von Bülow: „Ich bit­te Sie drin­gend, den Freund [= Wag­ner] zu be­stim­men sich bald von Bern­hard ma­len zu las­sen für mein neu ein­ge­rich­te­tes Schreib­ca­bi­net; er wür­de mir durch die­se Freund­lich­keit eine gros­se Freu­de be­rei­ten.“ Co­si­ma ver­mel­de­te dar­auf­hin dem von ihr be­vor­zug­ten Ma­ler Franz von Len­bach, dass Wag­ner „wahr­schein­lich dem Herrn Bern­hard wird sit­zen müs­sen, wenn er sich auch da­ge­gen mit Lei­bes- und See­len­kräf­ten sperrt.“

Wäh­rend­des­sen ver­füg­te der Kö­nig in ei­nem un­da­tier­ten Schrei­ben be­reits an sein Hof­se­kre­ta­ri­at: „Las­sen Sie Ma­ler Bern­hardt so­gleich hier­her kom­men und be­stim­men Sie Wag­ner dazu, sich jetzt ma­len zu las­sen; denn ich weiß, daß er nicht dazu zu brin­gen sein wird, wenn die Meis­ter­sin­ger in vol­lem Zuge sind.“ Hof­se­kre­tär Lo­renz von Düf­f­lipp such­te und fand ziem­lich bald eine Ge­le­gen­heit,  dass Wag­ner die ihm läs­ti­gen Por­trät­sit­zun­gen nicht ab­leh­nen konn­te. Denn kaum war Wag­ner am 17. März aus Trib­schen nach Mün­chen ge­reist, sprach sich sei­ne An­kunft merk­wür­di­ger­wei­se bis ans Kö­nig­li­che Stadt­ge­richt Mün­chen I/I. her­um, das ihm am 19. März 1868 ei­nen un­an­ge­neh­men Be­schluss zu­stel­len ließ.

Eine alte Dar­le­hens­schuld aus sei­ner Dresd­ner Ka­pell­meis­ter­zeit, die an ei­nen Münch­ner Ad­vo­ka­ten ab­ge­tre­ten wor­den war, soll­te „un­ter An­dro­hung des Per­so­nal­ar­res­tes zur so­for­ti­gen Be­zah­lung“ ein­ge­trie­ben wer­den. Wie Otto Stro­bel, der Her­aus­ge­ber des Brief­wech­sels zwi­schen Kö­nig Lud­wig II. und Wag­ner, im Nach­trags­band fest­ge­hal­ten hat, konn­te Wag­ner den ge­for­der­ten Be­trag von 2197 Gul­den 32 Kreu­zern schon am nächs­ten Tag be­zah­len, „was ihm durch so­for­ti­ges per­sön­li­ches Ein­grei­fen Hof­se­kre­tär v. Düf­f­lipps er­mög­licht wor­den ist.“ Am 27. März ge­neh­mig­te Lud­wig II. nach­träg­lich die­sen „Ge­halts­vor­schuss“ an Wag­ner in Höhe von 2200 Gul­den. Das Pro­blem war ge­löst, Wag­ner war dem Kö­nig und auch Düf­f­lipp ei­nen Ge­fal­len schuldig.

Wor­auf erst der schon zi­tier­te Brief von Hof­rat Düf­f­lipp vom 1. April 1868 folg­te, dann ein Te­le­gramm des Ma­lers Bern­hardt, der am 3. April kurz ver­mel­de­te: „Ur­laubs­ge­such habe ich ein­ge­sen­det. Nach Emp­fang rei­se ich so­gleich ab.“ Wann ge­nau die Por­trät­sit­zun­gen statt­fan­den, ist nicht über­lie­fert, dass Wag­ner im­mer noch wi­der­streb­te, al­ler­dings schon. Er woll­te, wie Co­si­ma schrieb, ein­fach nicht „Bern­har­dirt“ wer­den, ließ sich von ihr zu­min­dest am 9. April aus ge­sund­heit­li­chen Grün­den noch für eine Sit­zung ver­leug­nen. In den fol­gen­den elf Ta­gen scheint es aber doch ge­klappt zu ha­ben, denn als Wag­ner am 21. April wie­der aus Mün­chen ab­ge­reist war, be­schrieb Co­si­ma tags dar­auf für Ma­ler Len­bach ihre Ein­drü­cke vom Ergebnis:

Nun muss ich Ih­nen aber sa­gen (la­chen Sie mich recht aus), das Bild ist nicht so schlecht ge­wor­den als ich es er­war­tet hat­te. Kein Mensch wird glau­ben er [=Bern­hardt] sei ein Ge­nie – das ver­steht sich von selbst – aber es ist we­nigs­tens nicht af­fek­tiert im Aus­druck, nicht pre­ten­ti­ös in der Stel­lung und nicht zu ro­sa­far­bi­gen Teints. Dies se­hen vie­le Nicht! Po­si­ti­ves könn­te ich frei­lich we­nig sa­gen, au­ßer dass der Ma­ler selbst mir ei­nen ei­gent­hüm­lich na­tur­wüch­si­gen Ein­druck ge­macht hat. 

Wag­ner selbst äu­ßer­te sich dem Auf­trag­ge­ber ge­gen­über deut­lich an­ders. Am 27. April schrieb er dem Kö­nig aus Tribschen:

Eine Er­fah­rung, die mich neu­er­dings wie­der sehr zu­ver­sicht­lich ge­stimmt hat, liegt mir in der durch Sie mir be­foh­le­nen Be­kannt­schaft mit dem Ma­ler Bern­hardt vor. Ich ver­barg mei­ne Sor­ge nicht, als ich zum Zwe­cke ei­nes Porträt’s von mir mich mit ei­nem mir ganz frem­den Man­ne ein­las­sen soll­te, der im Grun­de nichts von mir wuss­te und da­her den sehr wech­seln­den Aus­druck mei­ner Phy­sio­gno­mie nicht ver­ste­hen kön­nen wür­de, da ich durch den glei­chen Uebel­stand schon wie­der­holt sehr ver­geb­lich mich zu be­mü­hen ge­zwun­gen wor­den war [ge­meint ist das Por­trät von Cä­sar Wil­lich von 1862]. Nun hat­te aber die­ser Herr Bern­hardt das wirk­li­che Ta­lent des Tref­fens: das Auge und der Rath Uns­rer Freun­din [=Co­si­ma] half nach, und – sie­he da! – mein Kö­nig hat nun das bes­te Por­trät, wel­ches noch von mir vor­han­den ist. Diess hat mich sehr er­freut und ermuthigt!

War­um, wann und wie das „bes­te Por­trät“ aus dem kö­nig­li­chen Schreib­ca­bi­net wie­der zum Por­trä­tier­ten zu­rück­fand, ist noch un­ge­klärt. Fest­steht, dass Wag­ner es nicht un­be­dingt be­hal­ten woll­te, denn sei­ne Frau Co­si­ma no­tier­te am 24. Ok­to­ber 1872 in ihr Ta­ge­buch: „Be­such bei Feus­tels, de­ren sil­ber­ne Hoch­zeit heu­te ge­fei­ert wird, R. hat ih­nen aus Ri­en­zi et­was ar­ran­giert und sein Por­trait (von dem hier po­pu­lä­ren Ma­ler Bern­hardt ge­malt) ge­schenkt, die Ein­la­dung zum Fa­mi­li­en­fest aber nicht an­ge­nom­men.“ Das Bild­nis bleibt im Be­sitz der Fa­mi­lie des Ban­kiers und Po­li­ti­kers, der Wag­ners ers­ter An­sprech­part­ner in Bay­reuth und zeit­le­bens ein gro­ßer För­de­rer der Fest­spie­le war. Es wird ver­erbt und ge­langt auf Um­we­gen zu­rück zu den Bay­reu­ther Nach­kom­men. Feus­tels Ur­en­ke­lin Bar­ba­ra Froe­mel hat es schon vor Jahr­zehn­ten als Leih­ga­be dem Ri­chard-Wag­ner-Mu­se­um Bay­reuth dau­er­haft zur Ver­fü­gung gestellt.

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