„Die Welt verzeihend von uns bannen“

Am Kar­frei­tag 1866 mach­ten Co­si­ma von Bülow und Ri­chard Wag­ner ei­nen Aus­flug zu den Rüt­li-Wie­sen und be­schwo­ren „Wahr­haf­tig­keit, Ver­trau­en und küh­nen Muth“.

His­to­ri­sche Ab­bil­dung des Rüt­li – Vor­la­ge: „Ein Platz für Göt­ter. Ri­chard Wag­ners Wan­de­run­gen in der Schweiz“ von Eva Rie­ger und Hil­trud Schroe­der, Böhlau Verlag

Im jüngs­ten News­let­ter für un­se­re Mit­glie­der ging es auch um den Ta­ge­buch­ein­trag Co­si­ma Wag­ners am Kar­frei­tag 1874: Die Wag­ners be­stie­gen den Fest­spiel­hü­gel, „der auch ein Lei­dens­berg für uns ist“, aber den­noch schreibt sie: „Schö­ner Tag, hei­te­re Stim­mung (auf dem Thea­ter­hü­gel sa­hen wir die Par­zi­val­blüm­chen des Grüt­li, Er­in­ne­run­gen an die­se erns­ten ent­schei­den­den Tage).“ Na­tür­lich ha­ben die­se Blüm­chen und die erns­ten ent­schei­den­den Tage mich nicht ru­hen las­sen. Ich habe ge­sucht und gefunden.

Charfrei­tag. Pil­ger­fahrt der treu­en Eid­ge­nos­sen nach dem Grüt­li. Ar­nold aus Frank­furt an­ge­trof­fen, Par­zi­val­blu­men ge­pflückt, Drei­quel­len­bund er­neu­ert. Schwur: Wahr­haf­tig­keit, Ver­trau­en, küh­ner Muth. Und Ar­nold? Er sei in­nig ge­grüsst. Ori­gi­nal, mit Blei­stift auf dem Grüt­li ge­schrie­ben, wird durch die Freun­din überbracht.
Der Wan­de­rer.

Es han­delt sich hier um ein Te­le­gramm Ri­chard Wag­ners vom 30. März 1866 (Kar­frei­tag) aus Schwyz an Sei­ne Ma­jes­tät Kö­nig Lud­wig II. von Bay­ern in Mün­chen. Dem vor­aus­ge­gan­gen war, wie Otto Stro­bel in den von ihm be­ar­bei­te­ten Bän­den der Kö­nigs­brie­fe an­merkt, „eine ver­lo­ren­ge­gan­ge­ne De­pe­sche Wag­ners, de­ren An­laß wahr­schein­lich dar­in zu su­chen ist, daß Wag­ner im Frem­den­buch des Ho­tels ‚Schwei­zer­hof‘ in In­ter­la­ken gänz­lich un­ver­mu­tet auf die Hand­schrift des Kö­nigs ge­sto­ßen war. Die­ser hat­te sich näm­lich an­läß­lich sei­ner ers­ten Rei­se in die Schweiz (19. Okt. bis 2. Nov. 1865) in das ge­nann­te Frem­den­buch und eben­so in je­nes auf dem Grüt­li als ‚Graf Ar­nold aus Frank­furt‘ eingetragen.“

In der Kar­wo­che 1866 be­such­ten Wag­ner und Co­si­ma von Bülow auf Woh­nungs­su­che von Genf über Bern und In­ter­la­ken kom­mend erst­mals ge­mein­sam Lu­zern und mach­ten am 30. März (Kar­frei­tag) ei­nen Aus­flug zum Rüt­li. Das Rüt­li – auch Grüt­li ge­nannt – ist ein ein Schwei­zer Na­tio­nal­denk­mal und ein etwa sechs Hekt­ar gro­ßes Berg­wie­sen­ge­län­de am Ur­ner See, ei­nem Arm des Vier­wald­stät­ter­sees. Es ist der Le­gen­de nach der Ort, wo durch ei­nen Schwur das Bünd­nis der Schwei­zer Ur­kan­to­ne Uri, Schwyz und Un­ter­wal­den ge­schlos­sen wur­de, der durch Fried­rich Schil­lers „Wil­helm Tell“-Drama auch au­ßer­halb der Schweiz be­rühmt wur­de. Das Ori­gi­nal des im Te­le­gramm er­wähn­ten Grüt­li-Schwurs schick­te Co­si­ma von Bülow am 3. April 1866 an den König:

Ich er­lau­be mir noch die Wor­te bei­zu­le­gen die der Freund auf den Grüt­li schrieb, wir hat­ten da eine fei­er­li­che Stun­de in ge­ho­bens­ter Stim­mung, der tiefs­ten Tie­fe der höchs­ten Höhe nah durf­ten wir an dem hei­ligs­ten Tag den hei­ligs­ten Ge­füh­len Aus­druck ge­ben, und von der Welt ver­bannt, die Welt ver­zei­hend von uns ban­nen. Zu zwei­en wa­ren wir nicht als wir des Hei­lands, als wir Parzival’s [= Kö­nig Lud­wig II.] ge­dach­ten – ein Drit­ter ein Ers­ter war bei uns, Gott seg­ne die­sen Einzigen!

We­nig spä­ter ver­fass­te Co­si­ma als Ge­schenk zu Wag­ners 53. Ge­burts­tag am 22. Mai 1866 ei­nen hand­schrift­li­chen „Be­richt über eine März-Rei­se des Herrn Will [= Wag­ner] und der Frau Vorstel [= Co­si­ma, bei­des Deck­na­men nach Scho­pen­hau­ers „Die Welt als Wil­le und Vor­stel­lung“]. In die­sem lei­der nicht er­hal­te­nen Be­richt dürf­ten ver­mut­lich die Par­zi­val­blu­men, die of­fen­bar auch am Grü­nen Hü­gel in Bay­reuth ge­wach­sen sind, nä­her be­schrie­ben sein. Wenn Wag­ner und Co­si­ma an die­sem Ort Wahr­haf­tig­keit, Ver­trau­en und küh­nen Muth be­schwo­ren, ging es ver­mut­lich vor al­lem dar­um, wo und wie sie end­lich auf Dau­er zu­sam­men­le­ben könnten.

Es wa­ren tat­säch­lich erns­te und ent­schei­den­de Tage für ihre noch bis 25. Au­gust 1870 wei­ter­hin il­le­gi­ti­me Be­zie­hung: Vier Tage nach Co­si­mas Ab­rei­se, am 4. April 1866, be­sich­tig­te Wag­ner das Haus Trib­schen, be­fand es für gut, mie­te­te es so­fort und zog elf Tage spä­ter dort ein. Am 9. Mai te­le­gra­fier­te Wag­ner an die Ba­ro­nin von Bülow in Mün­chen „Es mah­nen Charfrei­tag und Grüt­li. Wann am Dampf­schiff in Ro­mans­horn. Ein Wort. Will“. Am 12. Mai kam Co­si­ma mit ih­ren Bülow-Töch­tern Da­nie­la und Blan­di­ne und ih­rer Wag­ner-Toch­ter Isol­de über Ro­mans­horn und Zü­rich nach Trib­schen, zehn Tage spä­ter, zu Wag­ners Ge­burts­tag, folg­te über­ra­schend auch der in den Schwur ein­be­zo­ge­ne König.

1867 er­neu­er­ten Wag­ner und Co­si­ma ih­ren Grüt­li-Schwur und kün­dig­ten den Aus­flug nach dem laut Lud­wig „stil­len, so tief be­deu­tungs­vol­len Rüt­li“ auch dem Kö­nig an. Am 22. März 1867 schrieb Co­si­ma an ihn,  „es ist die schö­ne Zeit des sehn­suchts­vol­len Kei­mens und Trei­bens, es ruft und lockt sich al­les – wir wol­len in den nächs­ten Ta­gen den Grüt­li be­su­chen; vor ei­nem Jah­re wa­ren wir dort, tran­ken von der Quel­le und schwu­ren; dort tra­fen wir Graf Ar­nold, und wuss­ten, was das zu be­deu­ten hat­te, dass wir Ihn dort tra­fen!“ Ein Te­le­gramm Wag­ners mel­de­te am 14. April den Voll­zug: „Heu­te am Palm­sonn­tag den Schwur vom Charfrei­tag auf dem Grüt­li er­neu­ert. Ewi­ge Treue dem Hü­ter des Grales.“

Mehr­fach noch soll­te Wag­ner sich an den spe­zi­el­len Grüt­li-Schwur er­in­nern. In ei­nem Brief an den Kö­nig vom 15. Juli 1878 schreibt er, wie ihm je­ner „Be­richt über eine März-Rei­se des Herrn Will und der Frau Vorstel“ wie­der in die Hän­de fiel:

Mit gros­ser Er­grif­fen­heit und in­ni­ger Rüh­rung liess ich die­ses, auf das An­mut­higs­te ge­schil­der­te klei­ne Schwei­zer Rei­se­aben­theu­er zur Auf­su­chung ei­nes Asyl­es am Vier­wald­stät­ter­see an mir vor­über ge­hen. Al­les ist dar­in wohl auf­be­wahrt: auch wie wir im Schwei­zer­hof zu In­ter­la­ken den „Gra­fen Ar­nold aus Frank­furt“ von ei­ner ge­wis­sen Hand ein­ge­schrie­ben fan­den, wel­cher wir dann noch­mals auf dem Grüt­li bei den drei Quel­len be­geg­ne­ten. Ich ge­ste­he, dass mich sel­ten Et­was mit solch ma­gi­scher Ge­walt be­trof­fen hat, als die­se Hand­schrift­zei­chen, die uns plötz­lich wie in ganz un­mit­tel­ba­re Be­rüh­rung, durch Raum und Zeit hin­durch, mit uns­rem gros­sen, himm­lisch lie­bens­wert­hen, über Al­les huld­voll lie­ben­den Freund setzte[n]! Es wa­ren wun­der­ba­re Schick­sals­zei­chen! Wir ar­men, ru­he­los um das fast un­mög­lich Dün­ken­de be­sorg­ten, so schwer zu be­grei­fen­den Her­um­ir­ren­den, so plötz­lich wie aus dem Ru­nen­bu­che al­les Da­seins die­ses Zei­chen uns ent­ge­gen­sprin­gen zu se­hen, das uns deut­lich sag­te: „Ich bin mit Euch!“ – Oh! Das war schön! –

Noch im Sep­tem­ber 1881 er­in­nert Wag­ner Lud­wig II. an die­se Schick­sals­zei­chen: „War es mir aber doch kürz­lich, als wäre mein gött­li­cher Freund aber­mals in mei­ne Hüt­te ein­ge­tre­ten, als ich Ihn am Vier­wald­stät­ter See mit hei­misch-fro­hem Bli­cke ver­fol­gen durf­te. Das that mir wohl, denn mit Ihm durch­streif­te ich das Alt-Ver­trau­te, so er­ha­ben Tröst­li­che, von den drei Brun­nen auf dem Grüt­li aus, wo ich einst wie eine Heils­ver­kün­di­gung Sei­ne trau­te Hand­schrift im Frem­den­bu­che be­grüs­sen durf­te. Un­mög­lich, dass nicht auch Er, der Er­ha­be­ne, we­nigs­tens ein­mal mei­ner ge­dacht ha­ben sollte!“

Der Voll­stän­dig­keit hal­ber sei er­wähnt, dass Ri­chard Wag­ner die Rüt­li-Wie­se schon vor dem Kar­frei­tag 1866 be­sucht hat. 1851 un­ter­nahm er mit sei­nem Freund Theo­dor Uh­l­ig eine neun­tä­gi­ge Berg-Wan­de­rung, die am 29. Juli in Brun­nen und am Grüt­li Sta­ti­on mach­te. Zwei Jah­re spä­ter tran­ken Wag­ner und Franz Liszt auf dem Rüt­li aus den drei Grüt­li-Quel­len Brü­der­schaft mit Ge­org Her­wegh, was Wag­ner in ei­nem Brief an Kö­nig Lud­wig II. vom 4. No­vem­ber 1865 aus­führ­lich schildert:

Sie, mein wun­der­vol­ler Ge­lieb­ter, plötz­lich an mei­nem ge­lieb­ten Vier­wald­stät­ter­see zu wis­sen, hat mich wie ein schö­nes Mär­chen ent­zückt. Die Fahrt von Brun­nen nach Flüelen war es, wel­che ich mir im­mer als letz­te, er­qui­cken­de und be­ru­hi­gen­de Zu­flucht auf­spar­te, wenn mich selbst im Schwei­zer Asyl die Le­bens­mü­hen zu er­drü­cken droh­ten. Dort ath­me­te ich im­mer auf; dort­hin führ­te ich die Liebs­ten, die mich in Zü­rich be­such­ten; dort trank ich aus den drei Quel­len des Grüt­li mit Liszt und Her­wegh Drei­brü­der­schaft; dort hör­te ich das Lied der Edda von „den al­ten Zei­ten, wo die Ad­ler san­gen und hei­li­ge Wäs­ser von den ber­gen ran­nen“: dort von der Höhe des Se­lis­berg blick­te ich steil un­ter mir auf das Grüt­li hin­ab, als ich an der Par­ti­tur der Wal­kü­re schrieb, wel­che nun in Ih­ren Hän­den ist. Nach den Mü­hen des Tris­tan ver­sprach ich die­sen Som­mer mei­nen Freun­den Schnorr’s und Bülow’s eine er­qui­cken­de Ein­kehr auf dem Grüt­li: das Schick­sal ver­sag­te mir die Er­fül­lung! Nun führ­te der Ge­ni­us den gott­ge­sand­ten Freund da­hin: Er ver­trat uns Alle; Er lös­te das Gelübde!

Nicht zu ver­ges­sen der Grüt­li-Be­such mit dem aus Co­burg stam­men­den Kom­po­nis­ten Fe­lix Drae­se­ke im Au­gust 1859 so­wie vor al­lem die Fa­mi­li­en­aus­flü­ge von Trib­schen aus. Am 28. und 29. April 1869 no­tiert Co­si­ma in ihr Tagebuch:

Mitt­woch, trotz üb­len Pro­phe­zei­un­gen in Be­zug auf das Wet­ter, nach Brun­nen ge­fah­ren, dort ei­nen Kahn nach dem Grüt­li ge­nom­men und dann nach Flüelen ge­kom­men. […] Am Don­ners­tag mor­gen nach Bür­klen ge­fah­ren, herr­li­ches Wet­ter, idyl­li­sche Stun­den. In Flüelen am Abend hat­te R. mir be­reits ge­sagt, wie glück­lich er sei; in die­sem Mor­gen un­ter Blü­ten-Kro­nen bei reins­tem Him­mel und über­mäch­ti­gem Ge­sang der Vö­gel fühl­ten wir wohl bei­de, wie wir uns angehören.

Wei­te­re Grüt­li-Aus­flü­ge folg­ten am 23. Juli 1869 und am 9. Mai 1870. Und im­mer wie­der ge­dach­ten R. und sei­ne Co­si­ma ih­res Grüt­li-Schwu­res. Am 29. März 1872 schreibt Co­si­ma: „Kar­frei­tag; wei­che war­me Luft, vor 6 Jah­ren wan­der­ten wir zum Grüt­li, R. und ich, ‚es war eine er­ha­be­ne Stim­mung‘, sagt R., des­sen ge­den­kend.“ Und am 9. Juli 1878 in ei­nem Nach­trag an­läss­lich ei­ner Fahrt nach der Wald­hüt­te (bei Bay­reuth): „Wir freu­en uns der Schön­heit Eva’s bei der Fahrt, dann ge­denkt R. Trib­schens, uns­rer Fahrt zum Grüt­li, ‚das wa­ren hei­li­ge er­ha­be­ne Zei­ten‘, sagt er.“

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