Klaus Florian Vogt als Lohengrin und das Festspielorchester unter Christian Thielemann zaubern musikalische Glücksmomente in einem szenischen Debakel.
War das Festspielhaus schon bei der Eröffnung am Eröffnungstag ein Backofen, so schien der tags darauf noch um ein paar Stufen höher geschaltet. Denn bei der „Lohengrin“-Wiederaufnahme waren die Temperaturen gefühlt geradezu lähmend hoch. Kein Wunder: Die Inszenierung von Yuval Sharon wirkt in ihrem zweiten Jahr noch statischer, nichtssagender, marginaler.
Dass dennoch am Ende gejubelt wurde, hat damit zu tun, dass es nicht wenige Opernfreunde gibt, die schon dadurch glücklich zu machen sind, wenn sie schöne Stimmen und Musik in ansprechender Ästhetik geliefert bekommen. Genau das leistet die Produktion dank ihrer hohen musikalischen Qualität und der Bühnenbilder und Kostüme von Neo Rauch und Rosa Loy, die einfach schön anzusehen sind, aber sonst nicht viel sagen. Und auf keinen Fall irgend jemanden irgendwie ernsthaft verstören.
Man kann eintauchen in eine ferne, märchenhaft-technoide Welt, in der die Farbe Blau dominiert, stufenweise kontrastiert von der Komplementärfarbe Orange – und einem I-Tüpfelchen in Grün ganz am Schluss. Leider hat diese Mischung aus neoromantischer Architektur des frühen Elektrifizierungszeitalters mit holländischer Malerei des 17. Jahrhunderts und surrealistischen Elementen keine Tiefenwirkung.
Was daran liegt, dass der Regisseur, der – durchaus mit ausreichend Zeit – in ein fertiges Bildkonzept einspringen musste, daraus nichts zu machen wusste. Es ist eine Inszenierung, die immer nur behauptet und gar nichts begründet. Man sieht zwar, dass Frauen in Brabant gern gefesselt werden und schnell auf dem Scheiterhaufen landen, aber erklärt das schon die Fesselung Elsas durch Lohengrin im 3. Akt? Man sieht auch, dass Ortrud, die aus ihrer Handtasche ein Seil zieht, um ihren Gatten Telramund zu fesseln, und später auch Elsa offenbar aufbegehren, also starke Frauen sein sollen. Aber bis auf wenige Momente ist eine Personenführung, die über Opernklischees und -standards hinausgeht, nicht erkennbar. Geschweige denn ein schlüssiges Konzept.
Wenn man als Zuschauer die meiste Zeit damit verbringt, sich meditativ in die langsam vorbeiziehenden, von Neo Rauch gemalten Wolkenprojektionen und nur zweidimensionale Schilfkulissen sowie in überwiegend neckische Kostümdetails und eher lachhafte Leucht-Requisiten zu vertiefen, wenn schon der Verlust eines Flügels – die Hauptfiguren in dieser merkwürdigen Schwärmer- und Schmetterlingswelt sind alle beflügelt – und das Vertuschen der kleinen Panne geradezu ereignishaft wirkt, ist klar: Es tut sich sonst nicht viel auf der Bühne!
Schlimmer noch das manierierte Gestenvokabular in diesen „lebenden Bildern“. Warum die Choristen mal eingefroren herumstehen und mal nicht, warum sie mal eher individuell, dann alle wie ein Mann mit derselben Handbewegung agieren, erschließt sich nicht. Und erst recht nicht, warum der sonst so steife König das Volk plötzlich anheizt wie ein Animateur im Ferienclub.
Wenigstens wirkt die Brautbettszene heuer nicht so unvermittelt brutal wie im Vorjahr. Vielleicht liegt das daran, dass Klaus Florian Vogt den Quatsch aus dem Vorjahr nicht Eins zu Eins nachmachen wollte. Der Wagnertenor, der seit 2007 für die lyrischeren Rollen in Bayreuth zuhause ist, gibt heuer neben dem Stolzing dreimal den Lohengrin, alternierend mit Pjotr Beczała, der im Vorjahr in dieser Inszenierung sein Bayreuth-Debüt feierte und unter anderem auch die zwei Aufführungen mit Anna Netrebko als Elsa singen wird.
Vogt wurde am Freitag in seiner Paraderolle mit viel Getrampel gefeiert, denn er konnte heldisch glänzen und mit seiner zuweilen knabenhaft wirkenden Stimme an den richtigen Stellen überirdisch zarte, engelsgleiche Glücksmomente zaubern. Camilla Nylunds neue Elsa hat ein schönes Piano, allerdings wirkte ihr Sopran im Ausdruck meistens zu pauschal und nicht kräftig genug. Zumal Elena Pankratova als neue Ortrud mit ihrem Mezzosopran das Haus mühelos füllt, allerdings – noch mehr als Nylund – wortunverständlich bleibt. Georg Zeppenfelds König ist wie gehabt nichts als nobel, Tomasz Koniecznys Telramund hingegen zu grob und zu laut.
Die Hauptsache sind aber ohnehin der prachtvolle Festspielchor unter Eberhard Friedrich und das Festspielorchester unter Christian Thielemann. Die raumgreifenden großen Bögen gelingen ebenso wie die filigranen Streicherklänge, in denen so viel silbrig-zarte Sehnsucht liegt, dass man die Wehklage am Ende trotz der unsinnigen Schlusslösung der Regie glaubt.
Besuchte Wiederaufnahme-Premiere am 26. Juli 2019, Erstdruck im Feuilleton des Fränkischen Tags
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