Adventskalender 1871 (14)

Wie­der kommt be­glü­cken­de Post über den „Lo­hen­grin“ in Ita­li­en ins win­ter­li­che Trib­schen. Co­si­ma ha­dert schwer mit der Tren­nung von R., die aber bald vor­bei sein wird.

Aus­schnitt aus dem Pla­kat zur „Lohengrin“-Erstaufführung in Bologna

Don­ners­tag 14ten [De­zem­ber 1871] Früh zur Stadt. Nach­richt von M. Mey­sen­bug[1], daß der Lo­hen­grin in Flo­renz bei­spiel­lo­sen Er­folg hat­te; Brief ei­nes ita­lie­ni­schen Im­pre­sa­ri­os[2], der die Städ­te Ita­li­ens und Deutsch­lands durch­rei­sen will (mit Lo­hen­grin!). Te­le­gramm R.’s aus Bay­reuth, dann Brief;[3] et­was trau­rig. Ich von Sor­ge um ihn ge­nagt, je nä­her das Wie­der­se­hen, um so schwe­rer bei­na­he die Tren­nung! – Den Dr. ge­ru­fen, Fidi[4] hat eine klei­ne Flech­te, und sein Leib ist sehr auf­ge­trie­ben. Ver­sen­dung der zwei­ten Bän­de der Schrif­ten, abends noch an R. in Mann­heim[5] ge­schrie­ben. Ban­ger Tag – Gott hel­fe mir – war­um bin ich so in Sorge?

[1] Mal­wi­da von Mey­sen­bug (1816–1903), fe­mi­nis­ti­sche Schrift­stel­le­rin, Er­zie­he­rin und lang­jäh­ri­ge Freun­din der Wagnerfamilie.

[2] An­ge­lo De Gu­ber­na­tis (1840–1913), ein ita­lie­ni­scher Ori­en­ta­list, Schrift­stel­ler, Sprach- und Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler so­wie Dra­ma­ti­ker, auf des­sen Brief Wag­ner am 31. De­zem­ber 1871 aus­führ­lich ant­wor­te­te (Ori­gi­nal auf französisch):
Ge­ehr­ter Herr, der Brief, des­sen Adres­sie­rung an mich mir zur Ehre ge­reich­te und den Sie mir freund­li­cher­wei­se zu­sand­ten, nimmt un­ter den Zeug­nis­sen wohl­wol­len­der Teil­nah­me, die aus der Auf­füh­rung mei­nes Lo­hen­grin in Ita­li­en ei­nes der be­mer­kens­wer­tes­ten Er­eig­nis­se mei­nes Künst­ler­le­bens ma­chen, ei­nen ers­ten Platz ein. Für­wahr, es könn­te für den Dich­ter kei­nen ed­le­ren Lohn ge­ben, als aus dem Geis­te ei­nes Ge­lehr­ten ei­nes Lan­des zu­kommt, das uns als Hei­mat der Schön­heit er­scheint, so hat er al­len Grund, stolz und dank­bar zu sein. […] Was aber dem schö­nen Ein­druck, den mein Werk die Ehre hat­te, bei Ih­nen her­vor­zu­ru­fen, ei­nen ganz be­son­de­ren Wert ver­lie­hen hat, ist das sehr rich­ti­ge Ge­fühl, daß es nicht auf den Büh­nen, an die wir uns ge­wöhnt ha­ben, er­schei­nen dürf­te, und daß Sie, mit ei­nem klu­gen Takt­ge­fühl, das ich sel­ten an­ge­trof­fen habe, eine Re­form des Thea­ters for­dern, die der Re­form der Oper ent­spricht. Die Zeit, die ich nicht an mei­ne Künst­le­ri­schen Schöp­fun­gen ge­wen­det habe, habe ich die­sem Ge­dan­ken ge­wid­met, der mein gan­zes Tun in der Welt ge­lei­tet hat, und ich sehe mich an dem Punkt, mit der Un­ter­stüt­zung mei­ner Freun­de in ei­ner klei­nen Stadt in Deutsch­land das Thea­ter zu er­rich­ten, auf dem ein­zig jähr­li­che Auf­füh­run­gen vor ei­nem ge­la­de­nen Pu­bli­kum statt­fin­den wer­den, und wo ich hof­fe, die Grund­la­ge des deut­schen dra­ma­ti­schen Stils ent­ste­hen zu sehen.

An­ge­lo De Gubernatis

[3] Te­le­gramm und Brief sind nicht erhalten.

[4] Fidi = Sieg­fried Wag­ner (*6.6.1869), ein­zi­ger Sohn von Co­si­ma und Ri­chard Wagner.

[5] In der drit­ten Sta­ti­on sei­ner Win­ter­rei­se wird Wag­ner erst am 16. De­zem­ber an­kom­men, es han­delt sich also wie­der um ei­nen Brief vorab.

Co­si­ma Wag­ner: Die Ta­ge­bü­cher: Band I, S. 1574. Di­gi­ta­le Bi­blio­thek Band 107: Ri­chard Wag­ner: Wer­ke, Schrif­ten und Brie­fe, S. 34735 (vgl. Co­si­ma-Ta­ge­bü­cher 1, S. 467); Ri­chard Wag­ner: Sämt­li­che Brie­fe, Band 23 (hg. v. An­dre­as Mielke).