„Zauberflöten“-Glück im Doppelpack

Lud­wig Obst als Pa­pa­ge­no. Foto: Ger­hard Schlötzer

Dass die Som­mer­oper auf An­hieb ein Glücks­fall für Bam­berg war, als der viel­sei­ti­ge Mu­si­ker Till Fa­bi­an We­ser sie vor zehn Jah­ren aus der Tau­fe hob, liegt auf der Hand. Wer wie un­ser E.T.A.-Hoffmann-Theater ohne ei­ge­nes Opern­en­sem­ble aus­kom­men muss, darf sich gra­tu­lie­ren, we­nigs­tens alle zwei Jah­re Gast­ge­ber für die­ses au­ßer­ge­wöhn­li­che in­ter­na­tio­na­le Nach­wuchs­pro­jekt zu sein, des­sen Ni­veau von Mal zu Mal spür­bar ge­wach­sen ist. Na­tür­lich gab es An­lauf­schwie­rig­kei­ten und Pro­ble­me struk­tu­rel­ler Art, na­tür­lich hat­te die­ses Glück län­ger noch sei­nen klei­nen Stich.

Aber auch der ist jetzt Ver­gan­gen­heit. Denn die Opern­re­gis­seu­rin und Hoch­schul­do­zen­tin Do­ris So­phia Hein­rich­sen füllt jene Leer­stel­le aus, die der bis­he­ri­ge Haus­herr ver­ur­sach­te. Jetzt erst – denn nur eine pro­fes­sio­nel­le Opern­re­gie kann in so kur­zer Zeit und mit teils noch un­er­fah­re­nen Sän­gern et­was auf die Büh­ne stel­len, das de­ren Auf­trit­te stützt und be­flü­gelt – ler­nen die jun­gen So­lis­ten, wie wich­tig al­les Sze­ni­sche für ihre Wir­kung sein kann, jetzt erst darf auch das Pu­bli­kum er­le­ben, dass blo­ßer Ram­pen­ge­sang und Stan­dard­ges­ten wie Schöp­fen und Streu­en mit ei­ner le­ben­di­gen Opern­auf­füh­rung nichts zu tun haben.

Schon der ers­te Blick auf die Büh­ne zu Mo­zarts „Zau­ber­flö­te“ macht klar, dass das Re­gie­team kei­ne Kli­schees be­die­nen woll­te: Der leicht wan­del­ba­re Ein­heits­raum von Jens Hüb­ner zeigt eine Bi­blio­thek als Sym­bol des For­schens, Wis­sens und Be­wah­rens al­ter Wer­te. Ein jun­ges, heu­tig wir­ken­des Mäd­chen (Pa­mi­na) blät­tert und ver­tieft sich in die al­ten Bü­cher und Fo­li­an­ten, ein jun­ger Mann (Ta­mi­no) mit Schal und Snee­kers kommt hin­zu. Ein Por­tal­schlei­er, ge­konn­te Be­leuch­tung, de­zen­te Pro­jek­tio­nen im Hin­ter­grund und et­was Phan­ta­sie ge­nü­gen, um die zau­be­ri­schen Ele­men­te zu ver­wirk­li­chen. Auf die de­tail­lier­te Per­so­nen­füh­rung kommt es an, auf das, was die Men­schen auf der Büh­ne spiegeln.

Die drei Da­men hat Kos­tüm­bild­ne­rin Chry­sen­da Sailmann zu for­schen Wal­kü­ren auf­ge­bre­zelt, die Kö­ni­gin der Nacht auf ih­rer Mond­si­chel­schau­kel trägt wie ihre Toch­ter Pa­mi­na eher Klas­si­sches, auch die Füh­rungs­mann­schaft in Sa­ras­tros Welt darf in hel­lem Bro­kat schwel­gen; nur der Man­tel von Mo­no­st­a­tos ist dun­kel. Die von Lo­ren­zo da Rio vom Lan­des­thea­ter Co­burg her­vor­ra­gend ein­stu­dier­ten Cho­ris­ten tre­ten in Busi­ness­klei­dung auf, die heu­ti­gen Glanz­lich­ter set­zen Pa­pa­ge­no und Pa­pa­ge­na: Er sieht in sei­ner Cow­boy­kluft aus wie ein gar nicht de­pres­si­ver Heath Led­ger in „Bro­ke­back Moun­tain“ – und die zu­nächst alte Pa­pa­ge­na ist un­ge­fähr so um­wer­fend wie eine Mi­schung aus Miss Pig­gy und dem TV-Quas­sel­quo­ten­hit Cin­dy von Marzahn.

Mit schö­nen Ein­fäl­len, ein­fa­chen und un­ter­halt­sa­men Mit­teln wird die Hand­lung er­zählt, wird klar, dass bei­de Sei­ten, so­wohl die Kö­ni­gin der Nacht als auch ihr Ge­gen­spie­ler Sa­ras­tro, Pa­mi­na und Ta­mi­no letzt­lich nur be­nut­zen, um sich aus der ei­ge­nen Sta­gna­ti­on zu be­frei­en. Die In­sze­nie­rung wer­tet nicht, ver­kneift sich Schuld­zu­wei­sun­gen und stellt die bei­den jun­gen Paa­re in den Mit­tel­punkt, die auf ganz un­ter­schied­li­che Wei­se re­agie­ren und sich aus den Macht­spie­len der El­tern­ge­nera­ti­on ausklinken.

Da­nae Kon­to­ra als Kö­ni­gin der Nacht Foto: Ger­hard Schlötzer

Un­ter­schied­lich sind nicht nur das klas­si­sche hohe und das nie­de­re Paar, un­ter­schied­lich sind auch die Haupt­so­lis­ten. „Feu­er“ und „Was­ser“ wur­den die En­sem­bles ge­tauft, in de­nen je­weils Sa­ras­tro, Ta­mi­no, die Kö­ni­gin der Nacht, Pa­mi­na und Pa­pa­ge­no al­ter­nie­rend be­setzt sind; nur in der fünf­ten und letz­ten Vor­stel­lung am 26. Juli tre­ten die Feu­er- und Was­ser­sän­ger akt­wei­se auf. Dass alle fremd­spra­chi­gen Nach­wuchs­sän­ger mit den Sprech­tex­ten der „Zau­ber­flö­te“ ihre Pro­ble­me hat­ten, war nicht zu über­hö­ren und wohl in ers­ter Li­nie ein Zeitproblem.

In der Ge­samt­wir­kung schoss bei der Pre­mie­re am 20. Juli ein­deu­tig Lud­wig Obst als hin­rei­ßen­der Pa­pa­ge­no den Vo­gel ab – ein agi­ler Sän­ger­dar­stel­ler, der kei­ne Pro­ble­me ha­ben wird, trotz gro­ßer in­ter­na­tio­na­ler Kon­kur­renz in un­se­rem Mu­sik­thea­ter­wun­der­land Kar­rie­re zu ma­chen. Ihm konn­ten nur noch die So­pra­nis­tin Da­nae Kon­to­ra als Kö­ni­gin der Nacht mit ge­läu­fi­gen Ko­lo­ra­tu­ren und die sehr gut auf­ein­an­der ab­ge­stimm­ten und spiel­freu­di­gen drei Da­men Si­mo­ne Kram­pe, Isa­bel Se­gar­ra und Ul­ri­ke Ma­lot­ta das Was­ser rei­chen. In den klei­ne­ren Par­tien lie­ßen Flo­ren­ti­ne Schu­ma­cher als Pa­pa­ge­na mit Mut zu prol­li­ger Häss­lich­keit so­wie der prä­gnan­te Te­nor von Fer­di­nand Kel­lers 2. Pries­ter und 1. Ge­har­nisch­ten auf­hor­chen. Und na­tür­lich Ju­li­an Ro­ma­now­sky, Be­ne­dikt Hill­ring­haus und Ra­pha­el Häuß­ler, drei Augs­bur­ger Dom­sing­kna­ben, al­ler­liebst in ih­ren Schul­uni­for­men à la Hog­wards – eben­so wie die zier­li­che Kor­re­pe­ti­to­rin Yuka Beppu am Ham­mer­kla­vier und am Tastenglockenspiel.

Die Pre­mie­re am 22. Juli prä­sen­tier­te ein deut­lich ge­schlos­se­ne­res En­sem­ble, so­wohl in den ge­sang­li­chen als auch den dar­stel­le­ri­schen Leis­tun­gen, mehr Dop­pel­be­ga­bun­gen eben. Je­den­falls wi­der­leg­te der sehr le­ben­di­ge und leucht­kräf­ti­ge Ta­mi­no von Saya Lee das eu­ro­päi­sche Vor­ur­teil, dass Asia­ten kei­ne gu­ten Schau­spie­ler sei­en. Jas­min Ma­ria Hör­ner über­zeug­te als Pa­mi­na mit ih­rer in al­len dy­na­mi­schen Ab­stu­fun­gen far­ben­rei­chen und be­rüh­ren­den Stim­me, Svet­la­na Merz­l­o­va gab ih­rer Kö­ni­gin der Nacht so viel Dri­ve, dass man selbst in der letz­ten Rei­he et­was un­ru­hig wer­den konnte.

Im Ver­gleich mit sei­nem Sa­ras­tro-Kol­le­gen mach­te Bar­to­sz Szulc in je­der Hin­sicht die bes­se­re Fi­gur, auch wenn die­sem aus­drucks­star­ken Bas­sist noch das not­wen­di­ge Quänt­chen an Si­cher­heit fehlt. Oli­ver Pürck­hau­er gab den Pa­pa­ge­no so kam­mer­sän­ger­lich, dass man sich ihn so­fort in vie­len an­de­ren Rol­len vor­stel­len konn­te. Auch alle wei­te­ren So­lis­ten leis­te­ten Be­acht­li­ches; ob es bei ih­nen für eine Pro­fi­lauf­bahn reicht, wird sich wei­sen. Viel ge­lernt ha­ben sie ga­ran­tiert, nicht nur bei den Meis­ter­klas­sen mit der wun­der­ba­ren An­ge­li­ka Kirch­schla­ger. Die Som­mer­oper ist ja ein Pro­jekt, das es den jun­gen Sän­gern leich­ter macht, für sich selbst Ant­wor­ten zu finden.

Wie wich­tig und rich­tig es war, sich nach Puc­ci­ni und Le­on­ca­vallo in den An­fangs­jah­ren auf die In­ter­pre­ta­ti­on von Mo­zart-Opern zu kon­zen­trie­ren, stellt die or­ches­tra­le Wie­der­ga­be an bei­den Aben­den schla­gend un­ter Be­weis. Da ist un­ter fach­kun­di­ger An- und Ge­samt­lei­tung ein ve­ri­ta­bles Ba­rock­or­ches­ter ent­stan­den, in dem Na­tur­hör­ner, -po­sau­nen und -trom­pe­ten nicht nur selbst­ver­ständ­lich sind, son­dern auch so klin­gen. Und die Strei­cher ha­ben hör­bar viel bei John Hol­lo­way, ei­nem Pio­nier der bri­ti­schen Alte-Mu­sik-Sze­ne, gelernt.

Dass die his­to­risch in­for­mier­te Auf­füh­rungs­pra­xis für Till Fa­bi­an We­ser eine Her­zens­sa­che ist, ver­steht sich von selbst. Schließ­lich ist er un­ter an­de­rem bei Ro­ger Nor­ring­ton in die Di­ri­gier­schu­le ge­gan­gen. Eine „Zau­ber­flö­te“ ohne Vi­bra­to mag für man­chen Zu­hö­rer fremd­ar­tig klin­gen. Umso glück­li­cher darf Bam­berg sein, die­se auf­re­gen­de Er­fah­rung in sei­nem klei­nen Stadt­thea­ter bie­ten zu kön­nen. Gro­ßer, an­hal­ten­der Ju­bel für alle Be­tei­lig­ten. Na­tür­lich wird es, muss es mit der Som­mer­oper wei­ter­ge­hen – in un­se­rem schö­nen E.T.A.-Hoffmann-Theater.

Pre­mie­ren I und II am 20. und 22. Juli, be­such­te zwei­te Vor­stel­lung am 11. Juli, wei­te­re Auf­füh­run­gen am 23., 25. und 26. Juli. In­fos auf der Home­page der Som­mer­oper Bamberg.