Die unbekannte Wagner-Urenkelin

Da­gny Beid­ler aus der Schweiz ist die letz­te Wag­ner-Ur­en­ke­lin aus dem Stamm der Wag­ner-Toch­ter Isol­de. Am 5. April 2016 kommt sie erst­mals zu uns nach Bam­berg. Ge­mein­sam mit der Mu­sik­wis­sen­schaft­le­rin Eva Rie­ger wird sie über Mal­wi­da von Mey­sen­bug spre­chen, eine fas­zi­nie­ren­de Frau und Freun­din der Fa­mi­lie Ri­chard Wagners.

Sie heißt Da­gny Ri­car­da Beid­ler, und auf bei­de Vor­na­men leg­ten ihre El­tern El­len Gott­schalk und Franz Wil­helm Beid­ler Wert: Da­gny be­deu­tet „neu­er Tag“, Auf­wa­chen und Mor­gen­rö­te, denn sie hoff­ten nach der Ge­burt ih­rer ein­zi­gen Toch­ter aus­ge­rech­net am 20. April 1942, dass das Hit­ler­re­gime bald vor­bei sein wür­de. Und Ri­car­da soll­te auf den Ur­groß­va­ter ver­wei­sen, auf Ri­chard Wag­ner. Bei ih­rem Fest­spiel­be­such 2012 gab die weit­hin un­be­kann­te Wag­ner-Ur­en­ke­lin aus der Schweiz ein Exklusiv-Interview.

Es gibt ei­nen über­all, selbst in der Au­to­bio­gra­phie von Wolf­gang Wag­ner so ab­ge­druck­ten Stamm­baum der Fa­mi­lie Ri­chard Wag­ners, in dem Sie gar nicht exis­tie­ren. Was den­ken Sie darüber?
Da­gny Beid­ler: Ich neh­me mei­ne Ge­ne­ra­ti­on nicht so wich­tig. Ich bin we­nigs­tens froh, wenn mein Va­ter drin ist.

War­um wer­den nur die Kin­der aus dem Sieg­fried-Stamm wich­tig genommen? 
Ers­tens liegt das dar­an, dass der Beid­ler-Stamm in der Schweiz an­säs­sig ge­wor­den ist. Und na­tür­lich ist al­les, was di­rekt mit dem Fest­spiel­haus zu tun hat, wich­tig. Das
ist zu ei­nem ge­wis­sen Grad auch berechtigt.

Wann ist Ih­nen sel­ber klar ge­wor­den, zu wel­cher Fa­mi­lie Sie gehören?
Das war re­la­tiv früh, schon als Kind. Mein Va­ter hat­te eine Wag­ner-Nase und die da­hin­ter ste­hen­den Bio­gra­fien habe ich na­tür­lich Stück für Stück auch mit­be­kom­men. Aber es ist nicht so, dass wir un­se­re Ab­stam­mung als An­spruch ge­nom­men hät­ten: Es wäre im­mer, auch bei mei­nem Va­ter, in ers­ter Li­nie eine Ver­ant­wor­tung ge­we­sen, nie ein Frei­pass für irgendetwas.

Wie war das, als nach dem Krieg plötz­lich sein Name für die Fest­spiel­lei­tung ins Spiel kam?
Das war 1946/47, aus ei­ge­ner Er­in­ne­rung kann ich nichts dazu sa­gen. Aber na­tür­lich hat er auch spä­ter dar­über ge­spro­chen. Er fühl­te sich ver­pflich­tet – Bay­reuth ge­gen­über, das er letzt­lich auch lieb­te, und Wag­ner, dem er doch kri­tisch ge­gen­über stand. Ein­fach aus dem brau­nen Sumpf raus – das war ihm die Be­ru­fung. Er hat schon da­zu­mal von ei­ner Stif­tung ge­spro­chen, die erst viel spä­ter rea­li­siert wor­den ist. 1951 hat er sich noch ein­mal ge­wehrt, mit sei­nem Ar­ti­kel Be­den­ken über Bay­reuth. Aber dann hat er ak­zep­tiert und sich da­mit abgefunden.

Ihr Va­ter hat ein Buch über sei­ne Groß­mutter Co­si­ma ge­schrie­ben, das erst post­hum 1997 ver­öf­fent­licht wur­de. War­um so spät?
Er hat­te, eben weil er 1933 Deutsch­land aus Über­zeu­gung ver­ließ, ein eher rast­lo­ses Le­ben. Und da­bei ist lei­der ein­fach Ma­te­ri­al ver­lo­ren ge­gan­gen, zum Bei­spiel die Fuß­no­ten. Spä­ter, in den 60er-Jah­ren, hat er so­gar sei­ne Ta­ge­bü­cher ein­fach zu­rück­ge­las­sen, als wir um­ge­zo­gen sind. Er hat­te da­mit ab­ge­schlos­sen. Es wür­de ihn er­stau­nen, wenn er wüss­te, dass man über­haupt noch an ihn denkt und über ihn spricht.

Es sind nicht we­ni­ge, die nach dem Krieg Tho­mas Mann und ihn ge­mein­sam an der Spit­ze der Bay­reu­ther Fest­spie­le se­hen woll­ten. Er wäre für Neu­bay­reuth wahr­schein­lich der bes­se­re Fest­spiel­in­ten­dant gewesen …
Ich den­ke, das war und ist eine grau­en­vol­le Po­si­ti­on. Wie im­mer man ent­schei­det, man wird an­ge­grif­fen. Das Tra­gi­sche dar­an ist nur – und da ma­che ich eben nicht mit –, dass die ei­ge­ne Fa­mi­lie an­de­re aus der Fa­mi­lie in al­ler Öf­fent­lich­keit bloß­stellt. Sich un­ter­ein­an­der zu kri­ti­sie­ren, wäre gut. Da gäbe es, auch in der Fa­mi­lie, vie­le, die et­was zu sa­gen hät­ten. Aber man soll­te da­von weg­kom­men, dass der eine über den an­dern spricht. Ein biss­chen Di­stanz könn­te nicht schaden.

Was hat Ih­nen Ihr Va­ter über Ihre Groß­mutter Isol­de erzählt?
Er hat sie sehr ge­liebt, auch wenn sie nicht mit bei­den Fü­ßen auf dem Bo­den stand und er mit ihr schwe­re Zei­ten er­leb­te. Er sah bei­de El­tern auch kri­tisch. Mein Va­ter war ei­gent­lich un­be­greif­lich! Mit acht­zehn Jah­ren hat er sich sei­ne Voll­jäh­rig­keit er­kämpft. Er wuss­te, was er will – und hat sein El­tern­haus ver­las­sen. Wo­bei man sa­gen muss, dass er, selbst wenn er ob­jek­tiv sein woll­te, nicht al­les durch­schau­en konn­te, was da von Wahn­fried aus vor sich ging. Isol­de und Franz Beid­ler wa­ren ein merk­wür­di­ges Paar. Sie hat sich, als es Pro­ble­me gab, hin­ter ih­ren Mann ge­stellt, wie es sich da­mals für eine Frau ge­hör­te. Aber viel­leicht wäre sie bes­ser ge­fah­ren, wenn sie ge­sagt hät­te, höre auf Co­si­ma! Ich den­ke, dass Co­si­ma gute Rat­schlä­ge ge­ge­ben hat­te. Aber dann kommt na­tür­lich das Hier­ar­chi­sche dazu – das mir, wenn ich aus der Schweiz hier her­kom­me, im­mer wie­der zeigt, wie ver­schie­den wir doch sind. Das ist mir schon 1964 auf­ge­fal­len, als ich auf Ein­la­dung von Wi­nif­red zum ers­ten Mal in Bay­reuth war: Der Knicks vor der Wini und so wei­ter, das ist für ei­nen Schwei­zer fast nicht machbar!

Wa­ren Sie öf­ter in Trib­schen, wo auch Ihre Ur­groß­el­tern lebten?
Si­cher. Ich kann gleich noch hin­zu­fü­gen: Mei­ne El­tern ka­men 1933 als Emi­gran­ten erst nach Pa­ris, dann in die Schweiz. Als sie dort kei­ne Un­ter­kunft fan­den, woll­te mein Va­ter in eine frei­ste­hen­de Eta­ge über dem in Trib­schen ein­ge­rich­te­ten Mu­se­um ein­zie­hen. Die Stadt Lu­zern ließ ihn, ob­wohl er ein Wag­ner-En­kel und Schwei­zer Bür­ger war, wis­sen, dass die­se Räum­lich­kei­ten nur für die Wag­ners und nicht für die Beid­lers zur Ver­fü­gung stünden.

Hat­ten Sie auch Kon­takt zu Frie­de­lind Wag­ner, der eben­falls emi­grier­ten Wagner-Enkelin?
Ich habe sie 1964 ken­nen­ge­lernt, be­such­te ei­ni­ge ih­rer Meis­ter­klas­sen und war, seit­dem ich 1972 für ein Jahr in Eng­land war, eng mit ihr be­freun­det – bis der Kon­takt, was bei ihr wohl öf­ter pas­sier­te, ir­gend­wann un­ver­mit­telt ab­riss. Es wäre jetzt span­nend, das Le­ben der bei­den Wag­ner-Exi­lan­ten, also von Frie­de­lind und mei­nem Va­ter, mal ne­ben­ein­an­der zu se­hen. Im Mo­ment, seit­dem Eva Rie­gers Frie­de­lind-Bio­gra­fie er­schie­nen ist, habe ich ein biss­chen das Ge­fühl, dass sie als die Re­bel­lin raus­ge­stellt wird. Mein Va­ter war na­tür­lich äl­ter als sie, aber er hat Deutsch­land schon 1933 aus Über­zeu­gung verlassen.

Was be­deu­tet Ih­nen die­se Familie?
Wenn man sol­che Grö­ßen in sei­ner Dy­nas­tie hat – ge­ra­de Liszt könn­te man sich als Vor­bild neh­men, Wag­ner viel­leicht we­ni­ger – ist es ein­fach eine Ver­pflich­tung, dass man sich das Erbe ge­nau an­sieht und fest­stellt, was dar­an gut war und ist, dass es
Wert hat, dass man es fort­führt und auch wei­ter ent­wi­ckelt. Da­her fin­de ich die
Fa­mi­lie schon fas­zi­nie­rend. Aber ich sel­ber – ich ste­he schon daneben.

Was un­ter­schei­det Wag­ner von an­de­ren Komponisten?
Es ist schon wie mein Va­ter sagt: Wenn man das Werk kennt, ist da eine ge­wis­se Ma­gie. Na­tür­lich bin ich schon als Kind mit dem Kla­vier­aus­zug vor dem Ra­dio ge­ses­sen; sei­ne Mu­sik hat mich von klein auf be­glei­tet. Aber es gibt auch wun­der­schö­ne an­de­re Mu­sik. Bei Wag­ner hat mir frü­her das Bom­bas­ti­sche im­po­niert, heu­te habe ich die lei­sen Stel­len sehr gern – aber das ist viel­leicht auch eine Fra­ge des Al­ters. Was mich im­mer wie­der er­staunt ist, wie er noch vor Freud die Frau­en­rol­len psy­cho­lo­gisch aus­leuch­tet. Er hat­te ein be­son­de­res Emp­fin­den für das an­de­re Ge­schlecht, ob­wohl er die Frau­en im Le­ben oft schlecht be­han­delt hat. Aber trotz­dem die­se Fein­heit, die­se Sen­si­bi­li­tät, die man ei­gent­lich, wenn man sein Le­ben kennt, nicht er­war­ten würde.

Wel­che sei­ner Frau­en­fi­gu­ren ge­fällt Ih­nen am besten?
Es ist schwie­rig zu sa­gen. Kundry zum Bei­spiel ist fas­zi­nie­rend. Und Isol­de und Brünn­hil­de – das sind groß­ar­ti­ge, star­ke Frau­en. Wo­bei ich mich im­mer noch fra­ge, ob eine lie­ben­de Frau wie Brünn­hil­de die Stel­le preis­ge­ben wür­de, wo ihr Mann ver­letz­bar ist. Man kann es zwar aus dem Mo­ment her­aus ver­ste­hen, aber Wag­ner war eben auch ein ech­ter Dra­ma­ti­ker. Wenn man über die­se Frau­en­rol­len nach­denkt, sieht man eben auch, dass mei­ne Groß­mutter Isol­de aus ih­rer Rol­le nicht aus­bre­chen konn­te. Für sie war die Tra­gik, dass sie an den Ort Bay­reuth ge­bannt war, an Wahn­fried, Co­si­ma und die gan­ze Fa­mi­lie. Sie war nicht stark ge­nug, die­ses Haus, die Fa­mi­lie, all ihre Er­in­ne­run­gen und letzt­lich auch das Ge­fühl, ein „Kö­nigs­kind“ zu sein, los­zu­las­sen und zu sa­gen: Wenn ihr den Mann nicht ha­ben wollt, dann ge­hen wir zu­sam­men weg. Und dar­an hat sie letzt­lich ihr gan­zes Le­ben gelitten.

Wel­che Frau aus der Fa­mi­lie hat es denn am bes­ten hingekriegt?
Wirk­lich un­ab­hän­gig zu wer­den und sich zu ver­wirk­li­chen, hat am ehes­ten noch Wi­nif­red ge­schafft. Ist es nicht in­ter­es­sant, dass aus­ge­rech­net die, die von au­ßen da­zu­ka­men – auch Cham­ber­lain zählt dazu – die Star­ken wa­ren? Sie war un­ge­heu­er di­rekt und ir­gend­wo ehr­lich, war amü­sant, hat­te zum Teil auch un­kon­ven­tio­nel­le und mo­der­ne Ideen. Aber ihre En­tou­ra­ge, die war schlimm.

Und Ihr Va­ter, wie stand er zu ihr?
Er hat ihr ja noch 1933 ge­schrie­ben: „Sind dir ei­gent­lich zwei­hun­dert­pro­zen­ti­ge, aber of­fe­ne an­stän­di­ge Geg­ner nicht lie­ber als Dei­ne Ge­sin­nungs­ge­nos­sen?“ Aber ihre Hit­le­rei gab dann den Aus­schlag. Als ich 1964 in Bay­reuth war und ihm aus­ge­rich­tet habe, er sol­le sich doch bei ihr mel­den, sag­te er ein­fach: „Hal­lo Wini, nach tau­send Jah­ren mel­de ich mich!“

Und wie ha­ben Sie da­mals Bay­reuth erlebt?
Ich habe Wie­land Wag­ners Ring ge­se­hen. Es war be­ein­dru­ckend, vor al­lem auch das Thea­ter, das ein­ma­li­ge Fest­spiel­haus. Ich den­ke, das war es auch, war­um mein Va­ter es mir of­fen ließ, ob ich nach Bay­reuth fah­ren woll­te oder nicht. Vie­les war für mich neu, auch weil ich biss­chen aus der „Pro­vinz“ kam. Ich war er­staunt zu se­hen, wie sehr die Fa­mi­lie Wag­ner ho­fiert wur­de und was für Hit­ler-Bän­de da im Bü­cher­ge­stell standen.

Kom­men Sie regelmäßig?
In den letz­ten Jah­ren wie­der eher. Zwi­schen­drin hat es auch we­gen mei­ner Ar­beit und Ter­min­schwie­rig­kei­ten gro­ße Ab­stän­de ge­ge­ben. Den Ché­reau-Ring habe ich na­tür­lich ge­se­hen und die wich­ti­gen In­sze­nie­run­gen. Jetzt, seit ich mich be­ruf­lich zu­rück­ge­zo­gen habe, fin­de ich es wie­der schön. Es ist vom Or­ches­ter, von den Stim­men und vom Am­bi­en­te der Stadt her im­mer wie­der groß­ar­tig, hier zu sein.

Als im Stif­tungs­rat der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung die re­gu­lä­re Amts­zeit von Neill Thorn­bor­row, dem Er­ben von Frie­de­lind Wag­ner, zu Ende ge­hen soll­te, ha­ben die Wie­land-Töch­ter vor­ge­schla­gen, dass Sie an sei­ner Stel­le Mit­glied wer­den sollten.
Das hat mich zu­erst ein­mal er­staunt. Es hät­te mich ge­freut und fas­zi­niert. Ich hät­te mich ger­ne ein­ge­bracht und viel­leicht et­was be­wegt. Aber es ist nicht so. Da wa­ren ein­fach die vier Stäm­me der Sieg­fried-Fa­mi­lie, die ge­fragt wur­den. Au­ßer­dem hat man im Stif­tungs­rat Neill Thorn­bor­row ge­kannt und wuss­te, wie er sich einbringt.

Das ist doch un­glaub­lich, dass man an der Beid­ler-Fa­mi­lie gleich drei Ge­ne­ra­tio­nen hin­durch so­viel falsch macht!
Ja, aber jetzt war es kei­ne rich­ti­ge Wahl. Au­ßer­dem ha­ben wir ge­lernt, dass es so ist, wie es ist. Wir ha­ben ge­lernt, da­mit um­zu­ge­hen. Mein Va­ter war nicht der Typ dazu, ver­bit­tert zu sein, ich bin es auch nicht. Ich dan­ke mei­ner Fa­mi­lie, dass sie mir die Grö­ße ge­ge­ben hat, ein­fach zu sa­gen: Es hat nicht ge­klappt – und fer­tig! Wir las­sen uns un­ser Le­ben da­durch nicht ver­mie­sen. Ich bin aber auch glück­li­cher­wei­se nie im War­te­saal ge­we­sen, um hier ir­gend­ei­nen Pos­ten zu krie­gen. Und ich bin glück­lich ver­hei­ra­tet, das ist we­sent­lich und trägt ei­nen über vie­les hin­weg. Es ist gut so, wenn man Ab­stand hat.

Recht­lich ge­se­hen sind Sie im­mer noch kei­ne Wagner-Urenkelin.
Nein, der Beid­ler-Stamm wur­de nie anerkannt.

Wol­len Sie denn nicht be­trei­ben, dass Ihre Groß­mutter Isol­de of­fi­zi­ell als Kind Ri­chard Wag­ners gilt?
Wie könn­te man das heu­te noch ma­chen? Höchs­tens mit ei­nem Gen­test. In der Fa­mi­lie war es na­tür­lich be­kannt, dass sie eine Wag­ner ist. Das ist ganz klar. Es ste­hen in Bay­reuth halt im­mer auch die ei­ge­nen In­ter­es­sen da­hin­ter – oder?

Und das geht wei­ter bis heute.
Was soll ich sa­gen? Mit den Wie­land-Kin­dern habe ich we­nig Kon­takt, Frau Ka­tha­ri­na ken­ne ich über­haupt nicht, mit Eva Wag­ner-Pas­quier ste­he ich gut. Mit den Laf­fer­entz-Kin­dern habe ich eher Kontakt.

Auch mit Amé­lie Hoh­mann, die auf ei­nem nicht un­heik­len Kom­pen­di­um an Brie­fen und Do­ku­men­ten sitzt?
Sie wird jetzt von al­len Sei­ten an­ge­gan­gen. Aber die Fra­ge ist doch: Ist es Amé­lie al­lei­ne, die das zu­rück­hält? Ich kann mir da kein Ur­teil an­ma­ßen, ich sehe da zu we­nig rein. Und ich habe mich her­aus­ge­hal­ten. Also ist da ein ge­wis­ser Druck.

Als Wag­ner-Ur­en­ke­lin ken­nen Sie die Wag­ner­opern si­cher in- und auswendig?
Ja, für mich als Kind war das oh­ne­hin nor­mal. Spä­ter, mit mei­nem Mann, der nicht so kein Wag­ne­ria­ner ist, habe ich das Zi­tie­ren et­was zu­rück­ge­nom­men. Wenn ich frü­her am Ra­dio die Über­tra­gung von Bay­reuth an­hör­te, sag­te mein Va­ter ja im­mer erst: »Also ich komm nicht.« Aber, so ge­teilt er Wag­ner ge­gen­über auch war, kam er dann doch schnell und sag­te: »Der alte Ma­gi­er holt mich wieder.«

Ha­ben Sie ein Lieblingszitat?
Zum Bei­spiel „Nicht so ge­eilt! Nicht je­der eure Mei­nung teilt“ von Hans Sachs.

Zur Per­son: Da­gny Ri­car­da Beid­ler ist eine Ur­en­ke­lin von Ri­chard und Co­si­ma Wag­ner so­wie En­ke­lin von de­ren ers­ter ge­mein­sa­men Toch­ter Isol­de und des schwei­ze­ri­schen Di­ri­gen­ten Franz Phil­ipp Beid­ler. Da Isol­de ge­bo­ren wur­de, als Co­si­ma noch mit dem Wag­ner-Di­ri­gen­ten Hans von Bülow ver­hei­ra­tet war, galt sie of­fi­zi­ell als des­sen Kind. In ei­nem Auf­se­hen er­re­gen­den Pro­zess 1914 ge­lang es der schon äu­ßer­lich als Wag­ner-Toch­ter er­kenn­ba­ren Isol­de je­doch nicht, ihre Her­kunft ge­richt­lich be­stä­ti­gen zu las­sen. Weil Sieg­fried, Wag­ners ein­zi­ger Sohn, noch nicht ver­hei­ra­tet war, sah man in Wahn­fried des­sen Erb­fol­ge ge­fähr­det und blieb bei der Ver­leug­nung. Da­gny ist die Toch­ter von Isol­des ein­zi­gem Sohn Franz Wil­helm und des­sen Frau El­len, die aus ei­ner jü­di­schen Fa­mi­lie stamm­te; sie ist ver­hei­ra­tet, lebt in Win­ter­thur und ist der letz­te Spross des wag­ne­ri­schen Beid­ler-Stamms. Die vor­ma­li­ge Gym­na­si­al­leh­re­rin mit Eng­lisch als Haupt­fach be­schreibt in dem Ka­ta­log­band Lie­be ohne Glau­ben aus­führ­lich die Be­zie­hung zwi­schen ih­rem Va­ter und Tho­mas Mann. Die da­mit ver­bun­de­ne Aus­stel­lung wur­de 2013 in Bay­reuth ge­zeigt. Im sel­ben Jahr gab es in Zü­rich erst­mals eine Aus­stel­lung über die Beid­lers, die in 2014 auch in Bay­reuth ge­zeigt wur­de, fu­ßend auf dem Buch Die Beid­lers. Im Schat­ten des Wag­ner-Clans von Ver­nea Nae­ge­le und Si­byl­le Ehris­mann aus dem Schwei­zer Sach­buch­ver­lag rüf­fer & rub (Zü­rich 2013, 333 Sei­ten). Wei­te­re Bü­cher zum The­ma: Franz Wil­helm Beid­ler: Co­si­ma Wag­ner-Liszt. Der Weg zum Wag­ner-My­thos. Aus­ge­wähl­te Schrif­ten des ers­ten Wag­ner-En­kels und sein un­ver­öf­fent­lich­ter Brief­wech­sel mit Tho­mas Mann, her­aus­ge­ge­ben und mit ei­nem Nach­wort ver­se­hen von Die­ter Borchmey­er, Pend­ra­gon Ver­lag (Bie­le­feld 1997, 427 Sei­ten); Hol­ger Pils/​Christina Ul­rich: Lie­be ohne Glau­ben. Tho­mas Mann und Ri­chard Wag­ner. Ka­ta­log­band zur gleich­na­mi­gen Aus­stel­lung im Bud­den­brook­haus Lü­beck 2011 und im Neu­en Rat­haus Bay­reuth 2013, un­ter an­de­rem mit dem Bei­trag „Tho­mas Mann und Franz W. Beid­ler“ von Da­gny Beid­ler, Wall­stein Ver­lag (Göt­tin­gen 2011, 253 Seiten).

Kom­men­tar: Ein Bann­strahl auf ewig?
Als sich 2008 erst­mals ab­zeich­ne­te, dass die zwei Wolf­gang-Töch­ter Eva Wag­ner-Pas­quier und Ka­tha­ri­na Wag­ner sich um die Nach­fol­ge ih­res Va­ters als Fest­spiel­lei­ter be­wer­ben wür­den, stand im Ta­ges­spie­gel un­ter an­de­rem: „For­mal er­ging nach der Stif­tungs­rats­sit­zung vom 6. No­vem­ber 2007 an alle drei­zehn Wag­ner-Ur­en­kel die Auf­for­de­rung, Vor­schlä­ge zur Zu­kunfts­ge­stal­tung der Bay­reu­ther Fest­spie­le ein­zu­rei­chen: An Da­gny Beid­ler, an die vier Wie­land-Kin­der, an die fünf Kin­der Ve­re­nas so­wie die drei Kin­der Wolfgangs.“

Da­gny Beid­ler ist zwar in­zwi­schen über sieb­zig, aber sie ist si­cher, dass sie die­ses Schrei­ben nie er­hal­ten hat. War­um auch? Für die Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung, de­ren Re­gu­la­ri­en Wolf­gang Wag­ner in­ten­siv mit­be­stimmt hat, war stets die Sieg­fried-Fa­mi­lie das Maß al­ler Din­ge. Ob sich bis zu Toni Schmid, seit lan­gem Stif­tungs­rats­vor­sit­zen­der und jet­zi­ger Ver­wal­tungs­rats­chef, je durch­ge­spro­chen hat, dass es in der Wag­ner-Dy­nas­tie auch ei­nen noch be­leb­ten Isol­den-Stamm gibt?

Wie auch im­mer: Er muss sich fra­gen las­sen, ob die staat­li­chen Kon­troll­orga­ne den fa­mi­liä­ren Bann­strahl ver­in­ner­licht ha­ben, der zu Un­recht erst Isol­de, dann ih­ren Sohn Franz Wil­helm und zu­letzt ihre En­ke­lin Da­gny traf. Na­tür­lich kann er sich dar­auf hin­aus­re­den, dass die Fa­mi­lie sich in der Sa­che ja nicht ei­nig war. Aber das hie­ße, den Teu­fel mit dem Beel­ze­bub aus­trei­ben zu wollen.

Und wahr­schein­lich ist noch nie­man­dem auf­ge­fal­len, dass Neill Thorn­bor­row, der Erbe der kin­der­lo­sen Frie­de­lind und er­neut be­ru­fe­nes Stif­tungs­rats­mit­glied, nichts wei­ter sein dürf­te als ein ver­län­ger­ter Arm der Fest­spiel­lei­tung, weil er als Künst­ler­agent zwangs­läu­fig auch hand­fes­te Ge­schäfts­in­ter­es­sen pflegt. Wäre es nicht an der Zeit, die seit gut ei­nem Jahr­hun­dert aus­ge­grenz­ten Beid­lers als Wag­ner­nach­kom­men an­zu­er­ken­nen und Da­gny Beid­ler in den Stif­tungs­rat zu be­ru­fen, die mit ih­rer ab­ge­klär­ten, di­stan­zier­ten und schwei­ze­ri­schen Sicht et­was ein­brin­gen könn­te, was in die­sem Gre­mi­um ga­ran­tiert fehlt? Ach, Bayreuth.

Foto und In­ter­view: Mo­ni­ka Beer, Erst­ver­öf­fent­li­chung 2012 auf www​.in​fran​ken​.de