König Ludwig II. an Wagner
Telegramm
Aufgegeben: Lenggries, 22. Mai 1875, 7:15 Uhr vorm.
Angekommen: Bayreuth, 22. Mai 1875, 9:00 Uhr vorm.
Dem Worttondichter Herrn Richard Wagner
Jubelnd feiere ich den heutigen Tag, dessen recht oftige Wiederholung mein herzlichster Wunsch ist. Empfangen Sie einstweilen auf diesem Weg meine aus tiefster Seele kommenden Segenswünsche. Vom Hochkopfe, dem vor 10 Jahren geheiligten u. mir für immer theuer gewordenen Berg [aus] gedenke ich Ihnen zu schreiben und meinen wärmsten Dank für so viele besonders in letzterer Zeit bereitete Freuden persönlich zum Ausdruck zu bringen.
Ludwig.
Brief
Hochverehrter, innigst
geliebter Freund!
Es drängt mich auch auf diesem Wege, aus Anlaß Ihres auf trauter, Ihnen wohlbekannter poesieumrauschter Bergeshöhe gefeierten Geburtsfestes meine treusten, tief aus Seelengrund entstammenden Wünsche zu entsenden. O möchte die Vorsehung ein recht lange dauerndes Leben Ihnen bescheeren, zum Ruhme und zum Stolze der deutschen Nation, zum Glücke u. zur Freude der großen Zahl von Freunden, die begeisterungserglüht an Ihnen hängen, zu deren unerschütterlich treusten und wahrhaft ergebensten ich mich mit Stolz zählen darf! Wie viel habe ich Ihnen zu danken! – Für die in Aussicht gestellte Aufführung von Bruchstücken aus »Siegfried« u. der »Götterdämmerung«, unter Ihrer eigenen, persönlichen Direction¹, worauf ich mich sehr freue, [und] für die gütigst übersandten Skizzen zu den vielversprechenden Dekorationen für das große, ersehnte Werk! mit vielem Interesse habe ich dieselben betrachtet. Wie bin ich Ihnen vor Allem dankbar für die so liebevoll gegebene Zusicherung der drei von mir erbetenen Vorstellungen des Nibelungen-Werkes und für das so über alles Erwarten bereitwilligst gegebene freundliche Versprechen, jene himmlisch-poetischen Abschiedsworte der Brünhilde für mich in Musik setzen zu wollen. – Mit Entzücken erfüllte mich das durch Hofrath Düfflipp übermittelte Geschenk: die »Götterdämmerung«²! Mit Entsetzen aber erfüllt mich in Ihrem letzten, lieben Briefe jene Stelle, worin Sie mir sagen, Sie könnten, theuerster Freund, nicht dafür stehen, daß im nächsten Jahre das große Werk wirklich zur Aufführung gelangen wird! Das wäre über alle Beschreibung beklagenswerth! Große Freude würden Sie mir durch gütige Darlegung des jetzigen Standes des großen Unternehmens bereiten! Werden die Proben in diesem Sommer zur festgesetzten Zeit beginnen können? Haben Sie noch Concertreisen nöthig? Was ich über den Enthusiasmus vernahm, mit welchem Sie auf Ihren Reisen empfangen wurden, hat mich mit Zuversicht erfüllt. Wie schade ist es, daß jener Sänger, von welchem Sie Sich im vergangenen Jahre so viel versprachen, nicht für den Siegfried paßt! Haben Sie, geliebter Freund, einen tüchtigen Ersatz gefunden? – Sehr habe ich es beklagt, daß »Tristan« in letzter Zeit in München unmöglich war. Mit welcher Wonne denke ich an jene vor nun schon vollen 10 Jahren stattgefundenen, immer unvergeßlichen Tristan-Vorstellungen! O war das eine glückselige Zeit! wie traurig aber das Ende durch Schnorrs Tod! Wie unbeschreiblich schön und tief ergreifend das Gedicht, welches Sie, unvergleichlicher Freund, von dieser Höhe, von wo ich Ihnen jetzt schreibe, im Sept. 65³ an mich nach Hohenschwangau entsandten! In der Richtung gegen Bayreuth erhob ich das Rhein-weingefüllte Glas und leerte es auf Ihr Glück und Wohlergehen, über Alles Theurer: jeder Tropfen hatte Gutes zu bedeuten! In Wolken hatte sich heute der heilige Berg gehüllt, der Donner rollte, Blitze zuckten; hier an geweihter Stätte, wo Ihr Bildniß hängt, am Tische, an dem Sie jenes herrliche Gedicht mir damals schrieben, hier fühle ich Ihren Geist wehen, vernehme ich Ihr Gebot, bei Ihrem über Alles erhabenen, einzig großen gottentstammten Werke nach Kräften mitzuwirken; unter Donnergeroll, dem Sturme der entfesselten Elemente höre ich Ihren Willensausspruch; hier sind Sie mir Wotan, hier Jehova! – Möge das von so Vielen frevelhafterweise angebetete goldene Kalb der Pseudo-Kunst – der frivolen, gemeinen – dahinstürzen, in Trümmer gehen für immerdar und die Schaar der Auserwählten, der für das Erhabene, Reine Entflammten, geführt durch Sie, eingehen in das gelobte, gottgesegnete Land der Verheißung, das Paradies auf Erden, um geläutert von allen Schlacken, die Wonnen, die Ihre Werke erfüllen [und] ihnen entströmen, in brennendem, heiligem Verlangen zu schlürfen.
Ich bin ein großer Freund altspanischer Litteratur und nahm einen Band, Stücke von Moreto und Rojas enthaltend, mit in’s Gebirge. Ihrer Gattin, der ich in unwandelbarer Freundschaft zugethan bleibe, habe ich diesen Hochgenuß zu verdanken, denn sie machte mich vor einigen Jahren auf diese herrlichen Werke aufmerksam. – Mit großem Interesse folgte ich der Aufführung von Liszt’s Oratorium »Christus«; es ist dieß ein ergreifendes Werk, das wunderbare Schönheiten enthält, aber gar mancher Kürzungen bedarf. –
So gerne erführe ich, wie Sie in Mitten der Ihren Ihr Geburtsfest gefeiert haben wie es mit Ihrer so theuren Gesundheit steht und womit Sie, geliebter Freund, gerade gegenwärtig beschäftigt sind! – Grüßen Sie, bitte, Ihre von mir hochverehrte Gattin, den kleinen Siegfried und Ihre Töchter. In wogenden, durch nichts zu löschenden Begeisterungsflammen, liebend und felsenfest an [die] Erreichung der ersehnten Ideale glaubend, bin ich ewig Ihr bis in den Tod ergebener, ohne Wanken
treuer Freund
Ludwig.
Hochkopf den 22. Mai 1875.
Fußnoten
1 Wagner hatte sich bereit erklärt, die im Anschluß an seine Wiener Reise nicht zustandegekommene Vorführung von Bruchstücken aus der »Götterdämmerung« für den König nachzuholen und der Vortragsfolge auch noch Bruchstücke aus »Siegfried« einzufügen. Die Vorführung fand jedoch schließlich überhaupt nicht statt.
2 Es war der Klavierauszug des Werkes!
3 Es war im August 1865!
Quellen: König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, bearbeitet von Otto Strobel; Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe, S. 27427 (vgl. BW-Ludwig II. Bd. 3, S. 61)]
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