Das Mainfranken Theater Würzburg bringt sukzessive Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ heraus: Das ambitionierte Projekt startete am Sonntag mit der „Götterdämmerung“ in der Regie von Tomo Sugao in einer neuen reduzierten Fassung unter Generalmusikdirektor Enrico Calesso.
„Warum Frau Grimhild Alberich außerehelich Gunst gewährte“ heißt ein launiger Essay von Eckhard Henscheid, der 1995 erstmals im Druck erschien. Fünf Jahre später tauchte in Jürgen Flimms „Ring“-Inszenierung zum ersten Mal in Bayreuth Hagen als Kind auf, was auf den Bühnen landauf landab bald inflationär aufgegriffen wurde. Und jetzt – endlich? – darf man auch in Würzburg Zeuge seiner Zeugung werden.
Es handelt sich dabei – ohne #MeToo-Abgleich geht in der Oper nichts mehr! – sichtlich nicht um Grimhilds Gunst, sondern um eine Vergewaltigung. Dass das Opfer die Mutter von Hagen, Gunther und Gutrune ist, teilt sich allen, die weder Wagners Werke haarklein kennen noch ins Programmheft geguckt haben, bestenfalls gegen Ende mit, wenn im finalen Wirrwarr Hagen just auf Grimhild trifft, gerührt vor ihr in die Knie gehen und seinen Kopf an ihren Schoß schmiegen darf.
Das ist szenisch dann allerdings schon das Höchste der Gefühle. Denn in seiner Fokussierung auf den Bösewicht vom Dienst und dessen überreich bebildertes Kindheitstrauma hat Regisseur Tomo Sugao leider übersehen, dass die Hauptfiguren der „Götterdämmerung“ Brünnhilde und Siegfried sind. Sie gehen in seinem Konzept zwar nicht sang- und klanglos, aber dennoch unter, weil sie stets nur Kunstfiguren sind und beim Betrachter mitnichten Empathie auslösen.
Gezeigt wird eine heutige, grell überdrehte Gibichungenwelt, in der der doppelte Hagen – er ist als Erwachsener und als immer wieder von Alberich malträtiertes Kind beim Museumsbesuch vorhanden – der einzige Normalo zu sein scheint. Alle Nicht-Gibichungen sind im Wortsinn museal und stammen aus einer Art grämlich-grauem Wagner-Wachsfigurenkabinett, in dem es ganz schön hoch hergehen kann.
Nicht nur die vom Komponisten vorgesehenen Protagonisten und zentrale Requisiten werden ausgestellt, sondern fast alle Figuren, die im „Ring“-Vierteiler vorkommen: Teils sieht man sie als Exponate auf der Drehbühne rotieren, teils steigen sie aus den Vitrinen und mischen mit: Wotan ist da, sogar die Weltesche, die Rheintöchter samt Goldbarren, Fafner, Siegfried mit Nothung und Brünnhilde, deren Felspodest von dem gestürzten Pferd Grane dominiert wird.
Dank namhafter Finanzspritzen durch die Herbert Hillmann und Margot Müller Stiftung und den Richard-Wagner-Verband Würzburg konnten die Ausstatter Paul Zoller (Bühne) und Carola Volles (Kostüme) aus dem Vollen schöpfen: Selbst der Bühnenvorhang spielt mit und wird leider viel zu oft von den drei Nornen auf- und zugezogen, während das Vorhanghalbrund des Gibichungen-Herrenzimmers wiederum zu oft, aber ohne sichtbares Hilfspersonal rauf und runter geht.
Die Bilderflut nutzt sich ab und kulminiert vorhersehbar im 3. Akt, wenn Klein-Siegfried herumgeisternd hinzukommt. Damit ja kein Generationenkonflikt ausgelassen wird, wollen zur Trauermusik im Schnelldurchgang auch noch Siegfrieds Lebenswelt samt Eltern und Vorgeschichte vorgeführt sein. Ja, es ist mords was los, nur leider lässt es einen ziemlich kalt! Die einzige Rührung hat bei mir der Brünnhilden-Schlussgesang von Elena Batoukova-Kerl ausgelöst, die sich durch ihre sängerische Ausdruckskraft vom gegebenen, allzu wehrhaften Walküren-Klischee emanzipieren konnte.
Paul McNamara als Siegfried hat zwar eine schöne und sichere Tenorstimme, aber es ist dem Regisseur nicht gelungen, ihm auch darstellerisch eine heldische Statur zu geben. Oder wollte er ausgerechnet über diese Figur betonen, dass alles nur Behauptung ist? Sängerdarstellerisch rundherum überzeugend ist Guido Jentjens als Hagen mit magischer Geste in der Alberich-Szene, auch die weiteren Solisten – alles Rollendebütanten – und der von Anton Tremmel einstudierte Chor machen ihre Sache gut.
Entgegen der Tetralogie-Logik hat der neue „Ring“ im Mainfranken Theater nicht mit dem Vorabend, sondern mit dem letzten Teil begonnen. Und noch eine Besonderheit: Aufgeführt wird nicht die für kleinere Häuser gängige Coburger Fassung, sondern die Bearbeitung für Soli, Chor und mittelgroßes Orchester von Eberhard Kloke, der in den neunziger Jahren Generalmusikdirektor in Nürnberg war.
Seine Version spart ein Viertel der Bläser und die Hälfte der Streicher ein, behält aber die für besondere Klangfarben notwendigen Instrumente wie Wagnertuba, Basstrompete, Kontrabassposaune und Stierhorn bei. Hinzukommen Instrumente, die Wagner noch nicht nutzte oder nutzen konnte – wie Altflöte, Celesta, Heckelphon, Kontrabassklarinette, Kontrafagott und Cimbasso.
Das Klangbild wird dadurch geschärft und wirkt dunkler, basslastiger, schräger, das instrumentale Gleichgewicht wird von den Streichern hörbar zugunsten der Bläser verschoben, was für meinen Geschmack leider zu sehr die wagnerische Heavy Metal-Schublade bedient. Bei der Premiere am Sonntag waren die stark geforderten Musiker des Philharmonischen Orchesters Würzburg unter Enrico Calesso vielleicht noch zu nervös, um die Vorstellung souverän zu meistern. Trotzdem großer Beifall und nur wenige Buhrufe für das Regieteam.
Besuchte Premiere am 26. Mai, Erstdruck im Feuilleton des Fränkischen Tags. Weitere Vorstellungen am 30. Mai, am 9., 16., 20. und 30. Juni sowie am 14 und 20. Juli. Tickets unter Telefon 00931/3908-124, zusätzliche Infos auf der Homepage des Theaters
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