Ringen um den „Ring“

Co­ro­na-Däm­me­rung nicht nur in Bay­reuth: Un­ter er­schwer­ten Be­din­gun­gen ha­ben sich gleich drei wei­te­re Büh­nen im Frei­staat Ri­chard Wag­ners „Ring“-Tetralogie vor­ge­nom­men und sind mit we­nigs­tens ei­nem Teil schon her­aus­ge­kom­men: die Lan­des­thea­ter Co­burg und Nie­der­bay­ern und das Main­fran­ken­thea­ter Würzburg.

Letz­te Sei­te der „Götterdämmerung“-Partitur mit dem Ein­trag un­ten: „Voll­endet in Wahn­fried am 21. No­vem­ber 1874 - Ich sage nichts wei­ter! RW“ Vor­la­ge: Na­tio­nal­ar­chiv der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tun­g/­Ge­rald Raab

Äl­te­re Se­mes­ter wer­den sich noch dar­an er­in­nern, dass Wag­ne­ria­ner  schon die Nase rümpf­ten, wenn mitt­le­re Opern­häu­ser sich an die Te­tra­lo­gie wag­ten. In­zwi­schen ist „Der Ring des Ni­be­lun­gen“, der nach der Bay­reu­ther Ur­auf­füh­rung land­auf land­ab an vie­len Büh­nen ge­spielt wur­de (was den Wag­ners reich­lich Tan­tie­men be­scher­te), und nach ei­ner Pha­se, wo man ihn letzt­lich nur in Fest­spiel­in­sze­nie­run­gen als au­then­tisch gou­tier­te, wie­der selbst an klei­ne­ren und kleins­ten Büh­nen an­ge­kom­men – ak­tu­ell in Bay­ern am Main­fran­ken­thea­ter Würz­burg so­wie an den Lan­des­thea­tern Co­burg und Niederbayern.

Die drei Häu­ser stel­len sich der Her­aus­for­de­rung un­ter er­schwer­ten Be­din­gun­gen, denn sie ha­ben sich den auf­wän­di­gen Vier­tei­ler aus­ge­rech­net in Um­bau-Zei­ten vor­ge­nom­men. Für alle drei gilt au­ßer­dem: Ob nach Voll­endung der vier Tei­le auch zy­kli­sche Ge­samt­auf­füh­run­gen rea­li­siert wer­den kön­nen, ist höchst un­ge­wiss, denn die Pro­duk­ti­ons­dau­er zieht sich über min­des­tens vier Spiel­zei­ten hin, was zwangs­läu­fig Be­set­zungs­pro­ble­me be­inhal­tet. Zwei der ak­tu­el­len Pre­mie­ren – „Das Rhein­gold“ in Würz­burg und „Die Wal­kü­re“ in Lands­hut – muss­ten we­gen des Co­ro­na-Vi­rus je­weils nach den Ge­ne­ral­pro­ben ab­ge­sagt wer­den. Im­mer­hin gibt es schon Fo­tos von ma­gi­schen Mo­men­ten aus die­sen Neuinszenierungen.

Landestheater Coburg

In Co­burg, wo die kom­plet­te Te­tra­lo­gie seit mehr als fünf­zig Jah­ren nicht mehr auf­ge­führt wur­de, ging bis­her nur der Vor­abend über die Büh­ne („Das Rhein­gold“, Pre­mie­re im Sep­tem­ber 2019, Der­nie­re der ers­ten Auf­füh­rungs­se­rie am 31. Ja­nu­ar 2020). Der spät­klas­si­zis­ti­sche Bau des Lan­des­thea­ters mit 488 Plät­zen war­tet be­kannt­lich drin­gend auf sei­ne Sa­nie­rung, wird aber nach jet­zi­gem Stand noch bis Som­mer 2022 be­spielt. Erst in der In­te­rims­spiel­stät­te, dem spek­ta­ku­lä­ren, aber klei­ne­ren Glo­be Theat­re (360 Plät­ze bei  Opern), soll sich der „Ring“ schließen.

Ers­te „Rheingold“-Szene mit Mar­tin Trepl (Al­be­rich), den drei Rhein­töch­tern und Sta­tis­ten Foto: Se­bas­ti­an Buff

In­ten­dant Bern­hard F. Lo­ges hat für alle vier Tei­le Re­gis­seur Alex­an­der Mül­ler-El­mau en­ga­giert, der mit den zwei Spiel­stät­ten im Kopf auch das Büh­nen­bild ver­ant­wor­tet. Durch die Ver­schie­bung von abs­trak­ten und kon­kre­ten Ele­men­ten – dar­un­ter ein gol­de­nes Ge­hirn – schafft er un­ter­schied­li­che At­mo­sphä­ren. In aus­ge­feil­ter Per­so­nen­re­gie lässt er am­bi­va­len­te Kunst­fi­gu­ren auf heu­ti­ge Men­schen tref­fen (Kos­tü­me: Ju­lia Ka­sch­lin­ski). Gast­so­lis­ten wie Si­me­on Es­per als Loge und En­sem­ble­mit­glie­der wie Mi­cha­el Lion als Wo­tan und der aus dem Chor re­kru­tier­te Al­be­rich von Mar­tin Trepl un­ter­strei­chen, wie gut Wag­ner im Klei­nen funk­tio­nie­ren kann.

Ni­bel­heim­sze­ne mit Si­me­on Es­per (Loge) und Mar­tin Trepl (Al­be­rich) Foto: Se­bas­ti­an Buff

Was auch an Ro­land Klut­tig liegt, der das Haus in der letz­ten De­ka­de ent­schie­den vor­an­ge­bracht hat. Der Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor, der zum Sai­son­ende nach Graz wech­selt, hat­te beim ers­ten Teil 57 Mu­si­ker im Gra­ben. Klang­fül­le durf­te da nie­mand er­war­ten, aber Wag­ners Klang­far­ben­dra­ma­tur­gie wur­de fas­zi­nie­rend er­fahr­bar. Ge­spielt wird eine Mix­tur aus der 1906/07 hier erst­mals auf­ge­führ­ten so­ge­nann­ten „Co­bur­ger Fas­sung“ des Mei­nin­ger Mu­si­kers Al­fons Ab­bass, und aus der Ver­si­on des zeit­wei­se auch in Co­burg ak­ti­ven Di­ri­gen­ten Gott­hold Ephra­im Les­sing von 1942/43, die bei den Blä­sern we­ni­ger Ab­stri­che macht und Son­der­in­stru­men­te wie Bass­trom­pe­te und Wag­ner­tu­ba bei­be­hält. Als nächs­tes steht im März 2021 „Die Wal­kü­re“ an, un­ter der Lei­tung des neu­en GMD Da­ni­el Carter.

Die Göt­ter zum „Rheingold“-Schluss von links Mi­cha­el Lion (Wo­tan), Kora Pa­ve­lic (Fri­cka), Mar­vin Zo­bel (Don­ner), Olga Shurs­hi­na (Freia) und Pe­ter Ais­her (Froh) Foto: Se­bas­ti­an Buff
Mainfrankentheater Würzburg

Von vorn­her­ein nicht aus ei­ner Hand kommt der „Ring“ in Würz­burg, der von ver­schie­de­nen Re­gie­teams rea­li­siert wer­den soll. Zum Auf­takt gab es ab Mai 2019 „Göt­ter­däm­me­rung“ (Re­gie: Tomo Su­gao, Büh­ne: Paul Zol­ler, Kos­tü­me: Ca­ro­la Vol­les). Die In­sze­nie­rung zeigt eine grel­le Gi­bi­chun­gen­welt, in der Ha­gen (pro­fun­der Gast mit Kin­der­dou­ble: Gui­do Jent­jens) sich als ein­zi­ger Nor­ma­lo und als Mo­tor der Ge­schich­te er­weist, wäh­rend alle Nicht-Gi­bi­chun­gen aus ei­nem gräm­lich-grau­en Wag­ner­mu­se­um stammen.

Sze­ne aus dem 1. Akt „Göt­ter­däm­me­rung“ mit Ele­na Ba­tou­ko­va-Kerl (Brünn­hil­de) und Paul McNa­ma­ra (Sieg­fried) Foto: Nik Schöl­zel

Als nächs­ter So­li­tär soll­te ak­tu­ell ab 14. März „Das Rhein­gold“ fol­gen (Re­gie: Dirk Schme­ding, Aus­stat­tung: Pas­cal Sei­bicke), das es aber nur bis zur Ge­ne­ral­pro­be schaff­te. Dau­ern die Thea­ter­schlie­ßun­gen we­gen Co­ro­na län­ger, müss­te die Pro­duk­ti­on schlimms­ten­falls so­gar auf Eis ge­legt wer­den, denn sie ist nicht für die Aus­weich­spiel­stät­te kon­zi­piert. Im 1966 er­rich­te­ten Main­fran­ken­thea­ter (738 Plät­ze) lau­fen be­reits Er­wei­te­rungs- und Um­bau­ten. Ab der neu­en Sai­son wird das Gro­ße Haus sa­niert, nur klei­ne­re Opern kön­nen in die Thea­ter­fa­brik Blaue Hal­le (ca. 500 Plät­ze) aus­ge­la­gert wer­den. Wenn al­les nach Plan läuft, steht zur Sai­son 2022/22 die Wie­der­eröff­nung an – und die wei­te­ren „Ring“-Teile, die hof­fent­lich von Mar­kus Trabusch, dem Chef des Hau­ses, rea­li­siert wer­den, dem zu­letzt mit „Ri­go­let­to“ eine Stern­stun­de ge­lun­gen ist!

Ers­te „Rheingold“-Szene mit Kos­ma Ra­nuer (Al­be­rich) und den Rhein­töch­tern Foto: Nik Schölzel

Und von GMD En­ri­co Cales­so, über des­sen Ver­trags­ver­län­ge­rung ge­ra­de ver­han­delt wird und der ab der neu­en Sai­son auch als stän­di­ger Gast am Lan­des­thea­ter Linz wirkt. Er ist ein Di­ri­gent, der in­ten­siv mit den Sän­gern at­met, aber stets den gro­ßen Bo­gen im Blick hat. Auf­ge­führt wird erst­mals die neue Be­ar­bei­tung für mit­tel­gro­ßes Or­ches­ter von Eber­hard Klo­ke, die gut die Hälf­te der Strei­cher, aber nur ein Vier­tel der Blä­ser ein­spart und so­gar zu­sätz­li­che Son­der­in­stru­men­te wie Ce­les­ta und das He­ckel­phon ein­be­zieht. Klingt mehr nach Hea­vy Me­tal und manch­mal schräg.

„Rheingold“-Szene mit dem sich spie­geln­den Ja­mes Kee als Loge Foto: Nik Schölzel
Landestheater Niederbayern

Das Lan­des­thea­ter Nie­der­bay­ern, das sich we­gen der aus­ste­hen­den Sa­nie­rung des Lands­hu­ter Hau­ses oh­ne­hin im Aus­nah­me­zu­stand be­fin­det, stellt trotz al­ler Schwie­rig­kei­ten an sei­nen drei Spiel­or­ten Stück für Stück die nie­der­baye­ri­sche „Ring“-Erstaufführung auf die Bei­ne. „Das Rhein­gold“ hat­te im April 2019 im Lands­hu­ter Thea­ter­zelt (488 Plät­ze) Pre­mie­re, wur­de da­nach aber nicht im klei­nen Pas­sau­er Stamm­haus (334 Plät­ze), son­dern in der sehr gro­ßen Drei­län­der­hal­le (ver­klei­nert auf 1050 Opern­plät­ze) so­wie im Strau­bin­ger Thea­ter (320 Plät­ze) ge­zeigt. Will hei­ßen: Die Pro­duk­ti­on muss in al­len Sä­len funk­tio­nie­ren. Ba­sil H. E. Co­le­man, Chef der re­gu­lär 42 Köp­fe zäh­len­den, mit Gäs­ten auf­ge­stock­ten Nie­der­baye­ri­schen Phil­har­mo­nie, di­ri­giert die Les­sing-Fas­sung hel­den­haft mit drei in den Strei­chern ver­schie­den gro­ßen Or­ches­tern: in Strau­bing sind es 55 Mu­si­ker, in Lands­hut 64 und in Pas­sau, wo die Sän­ger Mi­kro­ports tra­gen, so­gar 93.

Ni­bel­heim­sze­ne Im „Rhein­gold“ mit Ste­fan Stoll (3. v. l. Al­be­rich), oben rechts Ya-Chung Huang (Loge) und dar­un­ter Ste­phan Bootz (Wo­tan) so­wie Sta­tis­ten Foto: Pe­ter Litvai

Die In­sze­nie­rung von In­ten­dant Ste­fan Tilch im Büh­nen­bild des Bam­ber­ger Künst­lers Karl­heinz Beer  (Kos­tü­me: Ur­su­la Beut­ler) spielt in Räu­men, die aus den Ele­men­ten ei­ner Bi­blio­thek ent­ste­hen, die zu An­fang des „Rhein­gold“ voll­stän­dig zu se­hen ist: „Sie ist“, so Beer, „die Ma­trix, die Ober­flä­che, der Ur­grund, auf dem sich un­se­re Rea­li­tät ab­spielt. Sie ist ein in­ter­ak­ti­ves und sich stän­dig wan­deln­des En­er­gie­feld, das al­les po­ten­zi­ell in sich enthält.“

Ya­mi­na Maa­mar (Brünn­hil­de) zu Be­ginn des 2. Akts „Wal­kü­re“ Foto: Pe­ter Litvai

„Die Wal­kü­re“ (ge­plan­te Pre­mie­re am 15. März), wie­der­um mit dem um­wer­fend jun­gen Wo­tan von Ste­phan Bootz, muss­te nach der Ge­ne­ral­pro­be in die Co­ro­na-Zwangs­pau­se. Ak­tu­ell sind alle Vor­stel­lun­gen in Lands­hut und Strau­bing ab­ge­sagt, ob die Pro­duk­ti­on ein­fach in die nächs­te Sai­son ver­scho­ben wer­den kann, ist noch un­klar. Ob Bernd Si­bler, baye­ri­scher Kunst­mi­nis­ter und Schirm­herr die­ses „Ring“-Projekts, in der ge­ge­be­nen Not­la­ge hel­fen wird, auch.

Sze­ne aus dem 2. Akt „Wal­kü­re“ mit Ste­phan Bootz (Wo­tan) und Ya­mi­na Maa­mar (Brünn­hil­de) Foto: Pe­ter Litvai