Am 25. Juli werden die Bayreuther Festspiele mit einer „Tannhäuser“-Neuinszenierung eröffnet, die in der ersten Pause auch den Teich im Festspielpark bespielen wird.
Ob Anna Netrebko, das Wagner-Ampelmännchen von Matthias Ose, die bärtige, dunkelhäutige und füllige Dragqueen Le Gateau Chocolat oder der kleinwüchsige Schauspieler Manni Laudenbach: Sie alle sind Stadtgespräch in Bayreuth, wo am Donnerstag die 108. Bayreuther Festspiele eröffnet werden – im Beisein von Kanzlerin Angela Merkel, der seit Jahrzehnten prominentesten Wagnerianerin.
Für Lokalkolorit sorgt in der Festspielstadt momentan vor allem der Vorschlag von vier Stadträten, künftig einige Fußgängerampeln unterhalb des Grünen Hügels mit Richard Wagner als Ampelmännchen auszustatten, was sogar unter jenen Einheimischen diskutiert wird, die mit Wagner sonst nichts am Hut bzw. an der Batschkabbn haben. Die überregionale Aufmerksamkeit gilt natürlich der Festspielneuproduktion von Richard Wagners großer romantische Oper „Tannhäuser“ – und der Tatsache, dass gleich zwei der berühmtesten russischen Musiker im Festspielhaus debütieren: Opernsuperstar Anna Netrebko, die in den „Lohengrin“-Vorstellungen am 14. und 18. August als Elsa auftritt, und Dirigent Valery Gergiev als musikalischer Leiter der Neuinszenierung.
Die Neugier auf den neuen Bayreuther „Tannhäuser“ ist schon deshalb so groß, weil auf der Besetzungsliste neben den hinlänglich bekannten Figuren auch zwei Protagonisten erscheinen, die Komponist und Librettist Wagner nicht vorgesehen hat: Der Drag-Performer Le Gateau Chocolat wird als er selbst angekündigt, der kleinwüchsige Manni Laudenbach als Oskar.
Ob letzterer Gläser zerspringen lässt, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass er und sein Künstlerkollege in den Videos mitwirken, die ein wesentlicher Bestandteil der Inszenierung sind. Womöglich sind beide mit von der Partie, wenn in der ersten „Tannhäuser“-Pause der kleine Teich im Festspielpark bespielt wird. Laut Festspielleiterin Katharina Wagner können so „auch Leute, die keine Festspielkarte haben, etwas von den Festspielen mitbekommen.“
Für die erste Festspielinszenierung, die auf diese Weise nach außen wirken will – der Plan, bei Werner Herzogs „Lohengrin“ 1987 einen Steinkreis ums Festspielhaus zu ziehen und einen Laserstrahl in die Stadt zu schicken, wurde nicht verwirklicht, die Pausenaktivitäten fürs zahlende Publikum im absurd gescheiterten „Biogas-Tannhäuser“ von 2011 stießen auf wenig Gegenliebe – ist der Regisseur Tobias Kratzer verantwortlich.
Kratzer ist 39 Jahre alt, stammt aus Landshut, startete seine Karriere mit einer legendären und siegreichen Doppelbewerbung beim Regiewettbewerb Ring-Award in Graz 2008, hat unter anderem in Nürnberg Giacomo Meyerbeers „Hugenotten“ inszeniert und 2018 für seine Interpretation von Wagners „Götterdämmerung“ in Karlsruhe den renommierten Faust-Preis gewonnen.
Seine Regiearbeiten, die er gemeinsam mit dem Bühnen- und Kostümbildner Rainer Sellmaier und dem Videokünstler Manuel Braun realisiert, gelten als bildstark, intelligent und politisch wie psychologisch tief. Den „Sängerkrieg auf Wartburg“, so der Untertitel der dreiaktigen Oper, die in der Dresdner Fassung gegeben wird, verlegt er, wie er in Interviews angedeutet hat, in doppelter Hinsicht nach Bayreuth – und in die heutige Zeit.
Laut Kratzer hat Richard Wagner in diesem Künstlerdrama der Titelfigur „die eigene Angst vor dem Scheitern aufgebürdet und dadurch gebannt“. Die beiden Frauenfiguren Venus und Elisabeth werden nichts mit den gängigen Klischees zwischen Heiliger und Hure zu tun haben. Und humorvoll soll dieser „Tannhäuser“ auch sein – kein Wunder bei dem Clownskostüm!
Stephen Gould gibt den Tannhäuser, in den weiteren Hauptrollen sind zu erleben: Markus Eiche als Wolfram, Stephen Milling als Landgraf, Lise Davidsen als Elisabeth und Elena Zhidkova, die als Venus für die während der Proben erkrankten Ekaterina Gubanova einspringt.
Ob Valery Gergiev, Chefdirigent der Münchner Philharmoniker und des Mariinsky Theaters in St. Petersburg, mit der für Orchestergraben-Debütanten durchaus heiklen Akustik zurechtkommen wird, ist eine spannende Frage. Denn der auf vielen Podien der Welt scheint’s gleichzeitig aktive Pultmagier ist bekannt dafür, dass Proben schon wegen Terminüberschneidungen nicht unbedingt sein Ding sind.
Übrigens sind die Festspiele 2019 nicht ausverkauft. Vor allem für die zwei Produktionen, die zum letzten Mal auf dem Spielplan stehen – „Tristan und Isolde“ und „Parsifal“ – sind noch Karten vorhanden. Selbst für „Tannhäuser“, „Lohengrin“ und die unbedingt sehenswerten „Meistersinger“ könnte es im Ticketshop der Festspiele und an der Tageskasse noch vereinzelt Eintrittskarten geben.
Das hat wahrscheinlich auch mit den Preisen zu tun, die sich in den letzten zehn Jahren insgesamt mehr als verdoppelt haben. In der letzten Saison von Rekord-Festspielleiter Wolfgang Wagner kosteten bei über vierzig Preiskategorien die teuerste Karte 208 Euro und der billigste Hörplatz 6,50 Euro. Die aktuellen Höchstpreise sind für die Neuinszenierung genau doppelt so hoch, wobei jetzt 75 Prozent aller Plätze bei nur noch elf Preiskategorien in den fünf teuersten, also bei 200 Euro aufwärts pro Karte liegen.
Auf dem Schwarzmarkt, der durch die strikte Personalisierung der Tickets bekämpft wird, haben in punkto Phantasiepreise natürlich die Vorstellungen mit Anna Netrebko die Nase vorn. Apropos „Lohengrin“: Mit der Frage, ob Ausstatter Neo Rauch das merkwürdige Gottfried-Kostüm belassen hat, das an ein grünes Ampelmännchen denken ließ, schließt sich der Kreis zur Version des Zeichners Matthias Ose, die hoffentlich gute Chancen hat, spätestens ab nächsten Festspielsommer die Passanten am Rande des Hügels zu beglücken.
Erstdruck im Feuilleton des Fränkischen Tags
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