„A weng göttlich“

Heu­te vor hun­dert Jah­ren wur­de Wolf­gang Wag­ner ge­bo­ren. In der Fest­spiel­stadt wird der Wag­ner-En­kel als Re­kord-Fest­spiel­lei­ter ge­fei­ert. Über sei­ne All­macht und das von ihm ver­ur­sach­te Nach­fol­ge­de­ba­kel spricht man weniger.

Mit „A weng gött­lich!“ ant­wor­te­te Wolf­gang Wag­ner 1960 auf die Fra­ge von Theo Adam, Dar­stel­ler von Wo­tan, dem obers­ten Gott der „Ring“-Tetralogie, wie er die Rol­le an­zu­le­gen habe. Aus­stel­lungs­fo­to mit Por­träts von Ste­fan Mo­ses: © Na­tio­nal­ar­chiv der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung, Bayreuth

„A weng gött­lich“: So steht es ge­schrie­ben, ne­ben ei­nem über­le­bens­gro­ßen Foto Wolf­gang Wag­ners, im neu­en Aus­stel­lungs­saal des Ri­chard-Wag­ner-Mu­se­ums. Ein Satz, der es in sich hat. Denn das Zi­tat trans­por­tiert nicht nur eine viel­sa­gen­de An­ek­do­te. Son­dern wirft, selbst wenn man sich da­bei ein ge­wis­ses Au­gen­zwin­kern den­ken kann, ein Schlag­licht auf den im­mer noch ehr­fürch­ti­gen Um­gang mit dem Wag­ner-En­kel, der heu­te hun­dert Jah­re alt ge­wor­den wäre. Als er 2010 im Al­ter von neun­zig Jah­ren in sei­ner Ge­burts­stadt Bay­reuth starb, war Wolf­gang Wag­ner  längst ein Jahr­hun­dert-Mensch, ei­ner, in des­sen lan­gem Le­ben sich Glanz und Elend des 20. Jahr­hun­derts in be­son­de­rem Maße spie­geln und des­sen ers­te Hälf­te nicht nur er lie­ber ausklammerte.

Sei­ne Toch­ter Ka­tha­ri­na hält sich auch dar­an. Die ak­tu­el­le Fest­spiel­lei­te­rin sprach bei der Er­öff­nung der Son­der­schau zum Ju­bi­lä­um ih­res Va­ters, die noch bis 3. No­vem­ber im Bay­reu­ther Wag­ner­mu­se­um zu se­hen ist, erst­mal sehr per­sön­lich von ih­rem „Papa“ – und dann erst über den „viel­leicht letz­ten sei­ner Art“, den all­ge­gen­wär­ti­gen „Prin­zi­pal“ aus dem Aus­stel­lungs­ti­tel. „Er selbst“, sag­te sie, „hat sich nicht in sei­ner Be­deu­tung ‚ge­sonnt‘, für ihn war das al­les der Nor­mal­zu­stand sei­ner Exis­tenz. Er ver­stand sich vor al­lem als der­je­ni­ge, der über­ra­gen­de künst­le­ri­sche Leis­tun­gen er­mög­lich­te, als um­sich­ti­gen ‚Ge­burts­hel­fer‘ von Kunst.“ Wo­mit sie zwei­fel­los Recht hat. Ge­nau das war sei­ne gro­ße Lebensleistung.

Dass die Fest­spie­le un­ter sei­ner Lei­tung im­mer wie­der zum avant­gar­dis­ti­schen Mit­tel­punkt der Opern­kunst­welt wur­den, lag auch dar­an, dass er bei der Aus­wahl von nicht aus der Fa­mi­lie stam­men­den Re­gis­seu­ren eine glück­li­che Hand hat­te. Und er selbst wur­de mit den Jah­ren für die mu­si­ka­li­schen Wer­ke sei­nes Groß­va­ters Ri­chard zur In­stanz schlecht­hin. Er kann­te sie und das Fest­spiel­haus wie kein an­de­rer. Zu­dem war er im in­ter­na­tio­na­len Mu­sik­le­ben so gut ver­netzt, dass er Hin­wei­sen und Rat­schlä­gen selbst fol­gen konn­te, wenn es sich um weit­hin un­be­kann­te Künst­ler han­del­te. Er en­ga­gier­te sie nicht nur fürs Wag­ner-Mek­ka Bay­reuth, son­dern stand an­schlie­ßend auch hin­ter ih­nen, wenn die Pro­tes­te For­men an­nah­men, die man sich vom an­geb­lich hoch ge­bil­de­ten und di­stin­gu­ier­ten Opern­pu­bli­kum nicht vor­stel­len konn­te und kann.

Als Re­gis­seur und Büh­nen­bild­ner war er dem Ver­gleich mit sei­nem äl­te­ren, ge­nia­len und viel zu früh ver­stor­be­nen Bru­der Wie­land nie ge­wach­sen – auch wenn jetzt beim er­in­ne­rungs­se­li­gen Wolf­gang-Wag­ner-Sym­po­si­um in Wahn­fried Fest­spiel-Ex­per­te Os­wald Ge­org Bau­er da­ge­gen an­sprach und aus­ge­rech­net Hans So­tin, der ein­zi­ge in Bay­reuth le­ben­de wich­ti­ge Sän­ger der Wolf­gang-Ära, als Zeit­zeu­ge nicht dazu ein­ge­la­den wur­de. Hät­te der ehe­ma­li­ge So­lis­ten­spre­cher die vor­herr­schen­de Ver­klä­rung wo­mög­lich ge­stört? Wie auch im­mer: Aus dem ge­ge­be­nen Bru­der­zwist ent­wi­ckel­te sich eine Art Hass­lie­be, die bis heu­te nach­wirkt. Und mit sei­nen eher bie­de­ren In­sze­nie­run­gen be­dien­te Wolf­gang ge­nau jene Zu­schau­er­schich­ten, de­nen das mo­der­ne Re­gie­thea­ter Wie­lands nicht ge­heu­er war.

Das war zwei­fel­los gut fürs Ge­schäft. Die Fest­spie­le blie­ben auch ein, nein: sein Fa­mi­li­en­be­trieb, als sie peu à peu in ein Staats­thea­ter um­ge­wan­delt wur­den. Der Über­gang an die Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung und in die Fest­spiel-GmbH ori­en­tier­te sich for­mal am ge­mein­sa­men Tes­ta­ment von Sieg­fried und Wi­nif­red Wag­ner, wur­de aber letzt­lich von Wolf­gang und sei­nen An­wäl­ten dik­tiert. Das soll­te sich spä­tes­tens zei­gen, als der Wag­ner-En­kel sei­ne Fest­spie­le und sei­ne Haus­macht nicht los­las­sen konn­te. Als die nächs­te Ge­ne­ra­ti­on, die Nach­kom­men Wie­lands und spä­ter auch die ei­ge­nen Kin­der aus ers­ter Ehe an­klopf­ten, er­klär­te er vor­sichts­hal­ber alle jün­ge­ren Nach­kom­men als un­fä­hig und ko­ket­tier­te da­mit, dass er schon wis­sen wer­de, wann es Zeit sei, als Fest­spiel­lei­ter aufzuhören.

Lei­der hat er – stur, kan­ti­ger, un­be­re­chen­bar wer­dend und nur noch die ei­ge­ne Zweit­fa­mi­lie mit Ehe­frau Gud­run und Toch­ter Ka­tha­ri­na im dy­nas­ti­schen Blick – ein­fach so lan­ge wei­ter­ge­macht, bis er gar nicht mehr in der Lage war, es zu mer­ken. Über das Vo­tum des Stif­tungs­rats für sei­ne Toch­ter Eva Wag­ner-Pas­quier im Jahr 2000 setz­te er sich um­stands­los hin­weg, dank ei­nes Ver­trags auf Le­bens­zeit. Er war (mit Aus­nah­me sei­ner Grei­sen­jah­re, als Frau und Toch­ter das Sa­gen hat­ten) Al­lein­herr­scher in der Wag­ner­stadt, dem bis auf we­ni­ge Aus­nah­men auch die de­mo­kra­tisch ge­wähl­ten Po­li­ti­ker egal wel­cher Cou­leur in Bay­reuth, auf Lan­des- und Bun­des­ebe­ne hul­dig­ten und in Be­zug auf die Fest­spie­le und die Wag­ner­fa­mi­lie letzt­lich stets ge­nau das ta­ten, was er wollte.

Sie­ben­und­fünf­zig Jah­re lang stand er an der Spit­ze der Fest­spie­le und war ver­ant­wort­lich für 1703 Vor­stel­lun­gen. Nach mensch­li­chem Er­mes­sen ist das eine Zahl, die nie­mand er­rei­chen kann – nicht ein­mal Toch­ter Ka­tha­ri­na, die zwar noch et­was jün­ger als ihr Va­ter war, als sie 2008 Fest­spiel­lei­te­rin wur­de, aber an­ders als er kei­nen Ver­trag auf Le­bens­zeit hat. Ob­wohl: Wer weiß schon, ob sie in Bay­reuth, Mün­chen und Ber­lin ei­nes Ta­ges nicht auch als „a weng gött­lich“ an­ge­se­hen wird?