Heute vor hundert Jahren wurde Wolfgang Wagner geboren. In der Festspielstadt wird der Wagner-Enkel als Rekord-Festspielleiter gefeiert. Über seine Allmacht und das von ihm verursachte Nachfolgedebakel spricht man weniger.
„A weng göttlich“: So steht es geschrieben, neben einem überlebensgroßen Foto Wolfgang Wagners, im neuen Ausstellungssaal des Richard-Wagner-Museums. Ein Satz, der es in sich hat. Denn das Zitat transportiert nicht nur eine vielsagende Anekdote. Sondern wirft, selbst wenn man sich dabei ein gewisses Augenzwinkern denken kann, ein Schlaglicht auf den immer noch ehrfürchtigen Umgang mit dem Wagner-Enkel, der heute hundert Jahre alt geworden wäre. Als er 2010 im Alter von neunzig Jahren in seiner Geburtsstadt Bayreuth starb, war Wolfgang Wagner längst ein Jahrhundert-Mensch, einer, in dessen langem Leben sich Glanz und Elend des 20. Jahrhunderts in besonderem Maße spiegeln und dessen erste Hälfte nicht nur er lieber ausklammerte.
Seine Tochter Katharina hält sich auch daran. Die aktuelle Festspielleiterin sprach bei der Eröffnung der Sonderschau zum Jubiläum ihres Vaters, die noch bis 3. November im Bayreuther Wagnermuseum zu sehen ist, erstmal sehr persönlich von ihrem „Papa“ – und dann erst über den „vielleicht letzten seiner Art“, den allgegenwärtigen „Prinzipal“ aus dem Ausstellungstitel. „Er selbst“, sagte sie, „hat sich nicht in seiner Bedeutung ‚gesonnt‘, für ihn war das alles der Normalzustand seiner Existenz. Er verstand sich vor allem als derjenige, der überragende künstlerische Leistungen ermöglichte, als umsichtigen ‚Geburtshelfer‘ von Kunst.“ Womit sie zweifellos Recht hat. Genau das war seine große Lebensleistung.
Dass die Festspiele unter seiner Leitung immer wieder zum avantgardistischen Mittelpunkt der Opernkunstwelt wurden, lag auch daran, dass er bei der Auswahl von nicht aus der Familie stammenden Regisseuren eine glückliche Hand hatte. Und er selbst wurde mit den Jahren für die musikalischen Werke seines Großvaters Richard zur Instanz schlechthin. Er kannte sie und das Festspielhaus wie kein anderer. Zudem war er im internationalen Musikleben so gut vernetzt, dass er Hinweisen und Ratschlägen selbst folgen konnte, wenn es sich um weithin unbekannte Künstler handelte. Er engagierte sie nicht nur fürs Wagner-Mekka Bayreuth, sondern stand anschließend auch hinter ihnen, wenn die Proteste Formen annahmen, die man sich vom angeblich hoch gebildeten und distinguierten Opernpublikum nicht vorstellen konnte und kann.
Als Regisseur und Bühnenbildner war er dem Vergleich mit seinem älteren, genialen und viel zu früh verstorbenen Bruder Wieland nie gewachsen – auch wenn jetzt beim erinnerungsseligen Wolfgang-Wagner-Symposium in Wahnfried Festspiel-Experte Oswald Georg Bauer dagegen ansprach und ausgerechnet Hans Sotin, der einzige in Bayreuth lebende wichtige Sänger der Wolfgang-Ära, als Zeitzeuge nicht dazu eingeladen wurde. Hätte der ehemalige Solistensprecher die vorherrschende Verklärung womöglich gestört? Wie auch immer: Aus dem gegebenen Bruderzwist entwickelte sich eine Art Hassliebe, die bis heute nachwirkt. Und mit seinen eher biederen Inszenierungen bediente Wolfgang genau jene Zuschauerschichten, denen das moderne Regietheater Wielands nicht geheuer war.
Das war zweifellos gut fürs Geschäft. Die Festspiele blieben auch ein, nein: sein Familienbetrieb, als sie peu à peu in ein Staatstheater umgewandelt wurden. Der Übergang an die Richard-Wagner-Stiftung und in die Festspiel-GmbH orientierte sich formal am gemeinsamen Testament von Siegfried und Winifred Wagner, wurde aber letztlich von Wolfgang und seinen Anwälten diktiert. Das sollte sich spätestens zeigen, als der Wagner-Enkel seine Festspiele und seine Hausmacht nicht loslassen konnte. Als die nächste Generation, die Nachkommen Wielands und später auch die eigenen Kinder aus erster Ehe anklopften, erklärte er vorsichtshalber alle jüngeren Nachkommen als unfähig und kokettierte damit, dass er schon wissen werde, wann es Zeit sei, als Festspielleiter aufzuhören.
Leider hat er – stur, kantiger, unberechenbar werdend und nur noch die eigene Zweitfamilie mit Ehefrau Gudrun und Tochter Katharina im dynastischen Blick – einfach so lange weitergemacht, bis er gar nicht mehr in der Lage war, es zu merken. Über das Votum des Stiftungsrats für seine Tochter Eva Wagner-Pasquier im Jahr 2000 setzte er sich umstandslos hinweg, dank eines Vertrags auf Lebenszeit. Er war (mit Ausnahme seiner Greisenjahre, als Frau und Tochter das Sagen hatten) Alleinherrscher in der Wagnerstadt, dem bis auf wenige Ausnahmen auch die demokratisch gewählten Politiker egal welcher Couleur in Bayreuth, auf Landes- und Bundesebene huldigten und in Bezug auf die Festspiele und die Wagnerfamilie letztlich stets genau das taten, was er wollte.
Siebenundfünfzig Jahre lang stand er an der Spitze der Festspiele und war verantwortlich für 1703 Vorstellungen. Nach menschlichem Ermessen ist das eine Zahl, die niemand erreichen kann – nicht einmal Tochter Katharina, die zwar noch etwas jünger als ihr Vater war, als sie 2008 Festspielleiterin wurde, aber anders als er keinen Vertrag auf Lebenszeit hat. Obwohl: Wer weiß schon, ob sie in Bayreuth, München und Berlin eines Tages nicht auch als „a weng göttlich“ angesehen wird?
Ähnliche Beiträge
- 50 Jahre Wagner-Stiftung 30. März 2023
- Happy Birthday, Oswald! 5. Februar 2021
- Keine „Stunde Null“ 14. Oktober 2022
- Wegbereiter und Weltwirkung 17. Oktober 2016
- Die Wagner-Familien sind in Bayreuth nur noch Zaungäste 5. August 2024