Heute vor 194 Jahren kam Natalie Planer unter dramatischen Umständen auf die Welt, weil ihr Dasein vor den gestrengen Augen ihres Großvaters Gotthelf Planer verborgen werden musste. Ihre Mutter Minna Planer, die sie ihr Leben lang als ihre jüngere Schwester ausgeben sollte, war in noch jugendlichem Alter von dem sächsischen Offizier Ernst Rudolf von Einsiedel verführt worden und brachte diese uneheliche Tochter später in ihre Ehe mit dem erst 23-jährigen Kapellmeister Richard Wagner ein, der sie am 24. November 1836 in der Tragheimer Kirche in Königsberg heiratete und damit seine erste, noch kleine Patchworkfamilie begründete.
Zur Zeit der Eheschließung lebte Natalie bereits zwei Jahre bei ihrer Mutter, die 1834 in Magdeburg als Schauspielerin in Magdeburg engagiert war und bei einem Gastspiel in Bad Lauchstädt erstmals auf Wagner traf. Natalie wurde als Kind und Jugendliche immer wieder innerhalb der Familien hin- und hergeschoben. Die Pariser Notzeiten erlebte sie hautnah mit, blieb dann aber zunächst dort, bei Cäcilie Avenarius, einer Halbschwester ihres Stiefvaters, und kam nach einer Zwischenstation bei ihrer Tante Charlotte Tröger in Zwickau 1845 wieder zu ihrer Mutter nach Dresden.
In den Jahren des Züricher Exils machte sie sich im Wagnerschen Haushalt nützlich, zog aber später wieder zu ihrer Tante nach Zwickau. Kurz nach dem Tod ihrer Mutter 1866 heiratete sie, als ihr Mann starb, wurde sie von Cosima Wagner unterstützt. Was Natalie jener nicht dankte, denn sie konnte die zweite Frau ihres Stiefvaters nicht ausstehen – vor allem auch deshalb nicht, weil Cosima schon vor und nach Wagners Tod korrigierend und zensierend versuchte, ein Wagnerbild zu schaffen, das nicht den Tatsachen entsprach. Selbst ihren eigenen Briefwechsel mit ihm verbrannte sie.
Aus diesem Grund händigte Natalie zwar einige, aber längst nicht alle Dokumente, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, an Cosima aus. Sie behielt wichtige Papiere, Fotografien und vor allem den frühen Briefwechsel zwischen Wagner und Minna, in dem unter anderem Signifikantes zur Entstehung von Wagners „Ring“-Tetralogie zu erfahren ist. In der glühenden, aber durchaus kritischen Wagneranhängerin Mary Burrell fand die vor ihrem Tod 1892 in einem Damenhaus in Leisnig bei Döbeln lebende Natalie eine Geistesverwandte, der sie unter anderem 128 Briefe zur Veröffentlichung anvertraute.
Mary Burrell (1850–1898) war die Tochter des bedeutenden Dubliner Physikers Sir John Banks. Sie sprach und schrieb fließend Deutsch, war eine Festspielbesucherin der ersten Stunde und begann, alle Dokumente zu sammeln, die ihr zur Aufklärung von Wagners Werdegang und Wesen dienen konnten. Natalie verkaufte schließlich das Konvolut an Burrell, die daraufhin eine Wagner-Biografie verfasste, von der sie bis zu ihrem frühen Tod allerdings nur den ersten Teil fertig stellen konnte.
Hoch bedeutend blieb Burrells insgesamt 840 Dokumente umfassende Sammlung, die vor allem Quellen sicherte, die für Wahnfried und Cosima unerreichbar blieben – darunter auch ein Liebesbrief Wagners an Mathilde Wesendonck, die sogenannte „Morgenbeichte“, der ja von Minna abgefangen worden war, womit Wagners Verhältnis zur Empfängerin aufflog. Dieser ist dadurch der einzige erhaltene Brief Wagners an Mathilde Wesendonck, nachdem Cosima alle anderen von ihr zurückgefordert, auch erhalten und später ebenso wie viele andere, darunter ihren eigenen Briefwechsel mit Wagner, verbrannt hat.
Ein Großteil der Burrell-Sammlung befand sich bereits seit 1978 im Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, durch eine wertvolle Zustiftung der New Yorker Privatsammler Mr. & Mrs. Jeffrey K. Brinck kamen erst im November 2011 weitere Briefe und Dokumente hinzu, die auch dazu beitragen können, das Leben von Natalie Bilz-Planer mehr zu erhellen.
Und weil gerade von Mathilde Wesendonck die Rede war, sei gerne daran erinnert, dass Richard Wagner am 22. Februar 1858 die Reinschrift der 1. Fassung des Liedes „Sausendes, brausendes Rad der Zeit“ aus den Wesendonck-Liedern abschloss. Womit sich nahtlos der Übergang zu Frau Marys Spinnrad ergibt – und zum 91. Geburtstag von Anny Schlemm, die selbst in dieser eher unscheinbaren Rolle in Harry Kupfers Bayreuther „Holländer“-Inszenierung 1978 bis 1985 unvergessliche sängerdarstellerische Akzente setzte.
Erstveröffentlichung auf www.infranken.de in dem Blog Mein Wagner-Jahr
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