Wer keine Angst vor Klamauk hat, liegt bei den „Piraten von Penzance“ von Gilbert & Sullivan goldrichtig: Die bejubelte Neuinszenierung von Christian Brey am Staatstheater Nürnberg macht sichtlich auch den Mitwirkenden richtig Spaß.
Kennen Sie Ronny Miersch? Vorausgesetzt Sie haben ein Faible für schrägen Humor, sollten Sie ihn unbedingt kennen lernen. Am besten, Sie fahren nach Nürnberg, schauen sich im Opernhaus „Die Piraten von Penzance“ an – und wissen dann aus eigener Erfahrung, warum. Er ist nämlich eine Wucht! Und nicht nur er allein.
Jetzt aber erst mal langsam und von vorne. Dass Staatstheaterintendant Jens-Daniel Herzog die Premiere des Ende 1879 uraufgeführten zweiaktigen Werks des britischen Erfolgs-Duos William Schwenck Gilbert (Text) und Arthur Sullivan (Musik) in den Beginn der Fastenzeit legte, war erstaunlich weitsichtig. Denn das Piratenstück, das mal als komische Oper, mal als Operette bezeichnet wird, taugt in Brexit- und Corona-Zeiten glatt als Ersatz fürs abgesagte Nockherberg-Derblecken.
Hiesige Politiker werden zwar nicht auf die Schippe genommen. Aber dem viktorianischen Empire geht es ganz schön an den Kragen – ob es sich nun um butterweiche Piraten, hasenherzige Bobbies sowie ziemlich von sich eingenommene männliche und weibliche Protagonisten des eingebildeten, niederen oder höheren englischen Landadels handelt.
Der im Untertitel als „Sklave der Pflicht“ titulierte junge Held Frederic ist nicht zufällig am 29. Februar geboren, denn das verspricht per se Verwicklungen. Zudem wurde er als Pirat ausgebildet, und nicht, wie es sich für einen britischen Blaublütler gehört, exklusiv privat – übrigens aufgrund eines Hörfehlers seiner Gouvernante Ruth, deren Thi-Ejtsch am Namensende sich schön synchron spucken lässt.
Sprich: Inge Greiffenhagen und Bettina von Leoprechting, die deutschen Übersetzerinnen, hatten vorab alle Hände und Hirnwindungen voll zu tun, um die englischen Reime und Dialoge genauso wortspielerisch auf den zu Punkt bringen wie das ständige Scheitern der auf ihre Weise um Waisen besorgten Piraten.
Die Handlung setzt zum Ende von Frederics Lehrzeit, an seinem 21. Geburtstag, an. Er, der außer seiner ältlichen Amme kein weibliches Wesen kennt, trifft auf eine Schar junger Mädels und verliebt sich stante pede in Mabel. Bevor die beiden sich kriegen, mischen Piratenkönig Richard, Polizeisergeant Edward und Generalmajor Stanley kräftig mit – erstere mit ihren Truppen, letzterer mit den schnatternden Töchtern.
Damit der Abend zum kurzweiligen Vergnügen wird, haben Christian Brey und sein Inszenierungsteam sich allerhand einfallen lassen. Schon die mit Namensschildern bestückten Küstenschafe (historisierende Ausstattung mit kleinen Knalleffekten: Anette Hachmann) und die lieber Tee statt Rum trinkenden Bilderbuch-Piraten lassen erahnen, dass nichts so ist wie es scheinen will.
Als langjähriger Mitarbeiter von Harald Schmidt ist der Regisseur ein Comedy-Profi, der kaum einen Gag auslässt und trotzdem nicht die Übersicht verliert. Die Schiffsromantik bleibt den Videos von Boris Brinkmann überlassen, dafür, dass die allesamt irgendwie vertrottelten Personen der Handlung sich wenigstens akkurat und schmissig bewegen, sorgt Choreografin Kati Farkas.
Säbelrasseln gehört zum Geschäft – und damit kommt der eingangs erwähnte Ronny Miersch ins Spiel. Denn er ist erstens zuständig für die beeindruckte Kampfchoreographie, die übrigens auch tontechnisch optimal rüberkommt. Und zweitens ist er als zahnloser Alt-Pirat Smee mit obligatorischem Papagei und als hüftschwingender Ober-Bobby Edward so überzeugend, dass kein Auge trocken bleibt.
Auch die weiteren (mit Mikroports ausgestatteten) Hauptdarsteller schlagen sich nicht nur wacker, sondern großartig. Hans Gröning, der vor Jahresfrist ein tief bewegender Jakob Lenz war, dreht als Piratenkönig Richard komödiantisch voll auf, genießt sichtlich sein Brusthaar-Toupet und kann fechten wie mindestens drei Musketiere. Singen kann er sowieso.
John Pumphrey als pflichtbewusster Piratenlehrling Frederic, Emily Bradley als koloratursichere Mabel, Almerija Delic als leicht übergriffige Ruth, der senile Generalmajor von Hans Kittelmann und die weiteren Solisten und Choristen (Choreinstudierung: Gyuseong Lee und Tarmo Vaask) versprühen bei aller körpersprachlichen und mimischen Genauigkeit vor allem, dass es ihnen einfach selber Spaß macht.
Tiefgang darf niemand erwarten, es ist einfach ein Schabernack. Guido Johannes Rumstadt im Graben umschifft mit der Staatsphilharmonie gekonnt selbst jene Klippe in der anspielungsreichen Partitur, die den ersten Liebestaumel von Mabel und Frederic im Walzerrhythmus mit dem Wettergeplapper der Mädchen im Zweivierteltakt paart. Das ist ganz schön tricky, wie der Engländer sagt.
Termine und Karten
Druckversion im Feuilleton des Fränkischen Tags. Besuchte Premiere am 7. März 2020, weitere Vorstellungen am 10., 23. und 26. März, 16. und 26. April, 17. und 20. Mai, 7., 13., 21., 24. und 27. Juni sowie am 8. und 12. Juli. Infos auf der Homepage des Staatstheaters, Karten unter Telefon 0180/1344276
Aufgrund der steigenden Zahl von Corona-Virus-Fällen und der erhöhten Ansteckungsgefahr bei Veranstaltungen mit hohem Besucheraufkommen muss das Staatstheater Nürnberg seinen Vorstellungsbetrieb bis einschließlich 19. April 2020 einstellen. Diese Entscheidung wurde von den zuständigen Behörden des Freistaats Bayern getroffen. Die Vorstellungen „Die Piraten von Penzance“ und „No work and all play“ am 10. März 2020 fanden noch wie geplant statt. Wer bereits ein Ticket für eine der vom Ausfall betroffenen Veranstaltungen erworben hat, kann sich an info@staatstheater-nuernberg.de oder per Post an Staatstheater Nürnberg, Kartenservice, Richard-Wagner-Platz 2-10, 90443 Nürnberg wenden. Wir bitten um Verständnis dafür, dass die Bearbeitung erheblich mehr Zeit als üblich in Anspruch nehmen wird. Über die weiteren Entwicklungen informiert das Staatstheater Nürnberg sein Publikum über die Webseite sowie über die Social-Media-Kanäle des Theaters: www.staatstheater-nuernberg.de
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