„Es gelang mir“, schreibt Richard Wagner in seiner Autobiografie, „durch äußersten Fleiß und durch Benutzung der frühesten Morgenstunden selbst im Winter, die bereits am Ende des vergangenen Jahres beendigte Komposition des Tannhäuser bis im April auch schon in der Partitur auszuführen. Für die Niederschrift der Instrumentation hatte ich mir eine besondere Schwierigkeit dadurch bereitet, dass ich diese zum Zwecke der Autographierung sogleich auf das hierzu nötige besonders präparierte Papier mit all der hierzu erforderlichen Umständlichkeit ausführte. Ich ließ jede Seite sofort auf Stein abdrucken und in 100 Exemplaren abziehen in der Hoffnung, von diesen Exemplaren einen zweckmäßigen Gebrauch für die schnelle Verbreitung meines Werkes machen zu können. Mochte diese Hoffnung nun in Erfüllung gehen oder nicht, jedenfalls war ich jetzt um 500 Taler, welche die Herstellung dieser Exemplare kostete, ärmer.“
Ein außergewöhnliches Verfahren, denn die 450 Seiten umfassende Originalvorlage wurde durch die lithografische Vervielfältigung zerstört. „Der Besitz dieses Exemplares“, steht im 100-fachen Partitur-Erstdruck, „giebt nur dann ein Recht zur öffentlichen Aufführung der Oper, wenn eine besondere nachweisliche Einigung mit dem Componisten vorangegangen ist.“ Kurz gesagt: Wagner riskierte mit dem Druck im Selbstverlag viel, setzte ein Drittel seines Jahresgehalts als Dresdener Hofkapellmeister ein, um seine erste neue Oper seit dem Fliegenden Holländer so schnell wie möglich auf den Markt zu bringen.
„Ich hatte mit dieser Arbeit“, so Wagner rückblickend, „einen neuen Entwickelungsweg in der mit dem fliegenden Holländer eingeschlagenen Richtung zurückgelegt. Mit meinem ganzen Wesen war ich in so verzehrender Weise dabei thätig gewesen, dass ich mich entsinnen muss, wie ich, je mehr ich mich der Beendigung der Arbeit näherte, von der Vorstellung beherrscht wurde, ein schneller Tod würde mich an dieser Beendigung verhindern, so dass ich bei der Aufzeichnung der letzten Note mich völlig froh fühlte, wie als ob ich einer Lebensgefahr entgangen wäre.“
Die Entwickelung des „Tannhäuser“ war damit noch lange nicht zu Ende. Bereits nach der Uraufführung vom 19. Oktober 1845 in Dresden begann Wagner mit der ersten Umarbeitung, schon für die zweite Vorstellung am 27. Oktober 1845 hatte er das Finale des 1. und 2. Aktes gekürzt und die Einleitung zum 3. Akt geändert. Insgesamt unterscheidet das Wagner-Werk-Verzeichnis für den „Tannhäuser“ vier Stadien der Entstehungsgeschichte. Es gibt also nicht nur die Dresdner Urfassung, sondern Versionen bis zum ersten Druck der Partitur 1860, die Pariser Fassung zur dortigen Inszenierung von 1861 mit der großen Bacchanalszene sowie jene bis zu der letzten von Wagner einstudierten Wiener Aufführung von 1875. Sein Nachdenken über den „Tannhäuser“ indes hörte nie auf. Am 23. Januar 1883 notierte Cosima Wagner in ihr Tagebuch: „Abends Plauderei, welche R. mit dem Hirtengesang und Pilgerchor aus Tannhäuser beschließt. Er sagt, er sei der Welt noch den Tannhäuser schuldig.“
Aus dem Umfeld Wagners schält sich aktuell noch Alexander Ritter heraus, der am 12. April 1896 in München gestorben ist. Der am 15. Juni vor 180 Jahren in Narwa geborene Geiger und Komponist war ein Sohn der mütterlichen Wagner-Freundin und Gönnerin Julie Ritter, erlebte in Dresden als Zehnjähriger Vorstellungen von „Rienzi“ und dem „Fliegenden Holländer“ unter der Leitung des Komponisten, lernte Wagner 1846 persönlich kennen und blieb ihm zeitlebens verbunden. Am 12. September 1854 heiratete er Franziska Wagner, eine in Würzburg aufgewachsene Tochter von Wagners älterem Bruder Albert, die als Schauspielerin in ihrer Geburtsstadt debütierte und bereits drei Jahre am Schweriner Hoftheater gespielt hatte, wo sie auch später noch auftrat. Von 1863 an lebten Alexander und Franziska Ritter neunzehn Jahre in Würzburg und wirkten zunächst unter anderen gemeinsam am dortigen Theater.
1882 berief Hans von Bülow den Musiker als 2. Konzertmeister an die Meininger Hofkapelle, 1883, 1884 und 1886 war Alexander Ritter Geiger bei den Bayreuther Festspielen. Nach Bülows Rückzug 1886 folgte er Richard Strauss nach München, den er – zusammen mit weiteren jungen Komponisten – nachhaltig beeinflusste und förderte. Als Komponist schuf Ritter symphonische Dichtungen in der Tradition Franz Liszts, die komischen Operneinakter „Der faule Hans“ (1878) und „Wem die Krone“ (1889) sowie frühimpressionistisch klingende Lieder. Ritter starb ein Jahr nach dem Tod seiner Frau und nur einen Monat nach seinem größten musikalischen Triumph, der Aufführung der „Sturm- und Drang-Fantasie“ Sursum Corda unter der Leitung von Richard Strauss in München.
Die beiden Ritters waren immer wieder dabei, wenn es wichtige Wagner-Aufführungen gab oder wenn Wagner rezitierte oder dirigierte – unter anderem bei seinem Konzert für den ersten Wagner Konzert für den ersten Wagnerverein 1871 in Mannheim, bei den Vorbereitungen und Feierlichkeiten seines 60. Geburtstags in Bayreuth. Zuvor, am 9. März 1873, schrieb Wagner Alexander Ritter, seinem „theuren Neffen“, folgenden Brief:
Ich ersuche Dich auf das allerernstlichste, mit einem erfahrenen Rathgeber an der Hand, mir einen geeigneten Tischwein (weiss) unter dem Würzburger Gewächs auszusuchen. Man sagt mir, der „Klostergarten“ besitze und produzire einen wirklich leichten Tischwein. Von diesem schicke mir zur Probe 12 Flaschen. Der Absender soll Postvorschuss darauf nehmen. Ich bin nämlich zu der Ueberzeugung gekommen, dass ich seit längerer Zeit unter dem Titel Rheinwein nur gemachtes und gefälschtes Zeug trinke. Wogegen der Würzburger, seiner Unbeliebtheit wegen, im Rufe steht, wenigstens rein und ungefälscht vorgesetzt zu werden. Gott segne Dich! In Eile und Noth Dein erhabener Onkel R. Wagner.
Und wer mag, darf jetzt zu den Klängen des am 14. April 1871 uraufgeführten Kaisermarsches ein Glas Würzburger Wein auf die Geburtstage der in Oberwarmensteinach bzw. Bayreuth geborenen Wagner-Urenkel Eva Wagner-Pasquier (14. April 1945) und Gottfried Wagner (13. April 1947), die zwei Kinder von Ellen und Wolfgang Wagner, heben.
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