Seit zehn Jahren hat in Bayreuth Wagner-Urenkelin Katharina Wagner das Sagen. In dieser Zeit ist das künstlerische Niveau deutlich gesunken. Dafür haben sich die Preise für Eintrittskarten fast verdoppelt. Eine Bilanz.
Mit der 32. Vorstellung der Bayreuther Festspiele 2018 ist am 29. August am Grünen Hügel die zehnte Saison unter der Leitung von Katharina Wagner zu Ende gegangen. Ein Anlass, um Bilanz zu ziehen: Was hat die heute 40-jährige Wagner-Urenkelin geleistet, seitdem der Stiftungsrat der Richard-Wagner-Stiftung sie gemeinsam mit ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier am 1. September 2008 zur Festspielintendantin gekürt hat?
2009: Zum Auftakt der neuen Ära in Bayreuth gibt es zwar keine Neuinszenierung im Programm, aber einige Neuerungen. Die Kinder-Oper feiert mit dem „Fliegenden Holländer“ in der Probebühne IV ihren Einstand und wird auch zehn Jahre später noch Bestand haben; gleiches gilt für die eigenen Einführungen mit Bezug zu den aktuellen Inszenierungen. Es gibt Vip Lounges und eine neue Corporate Identity, die aus den berühmten „Blauen Mädchen“ graue Mäuse macht, deren Uniformen sich noch öfter wandeln werden. Das 2008 mit Katharina Wagners „Meistersinger“-Inszenierung begonnene erfolgreiche Public Viewing wird fortgesetzt mit der „Tristan“-Inszenierung von Christoph Marthaler aus dem Jahr 2005, mit der auch die Saison eröffnet wird. Künstlerisch herausragend ist die „Parsifal“-Inszenierung von Stefan Herheim, die 2008 Premiere hatte. Allenthalben ist von einer „neuen Offenheit“ die Rede, was aber nur stimmt, wenn man nicht genau hinschaut. Es gibt wieder Programmhefte zu den Einzelwerken, die konzeptionell und inhaltlich zumeist so dürftig sind, dass man sich das Geld sparen kann. Apropos: Gegenüber den Vorjahren gibt es eine Preiserhöhung. Die teuerste Karte kostet 225 Euro statt 208 Euro, der billigste Hörplatz 7 Euro statt 6,50 Euro, wobei man aus über vierzig verschiedenen Preiskategorien wählen kann.
2010: Im Januar wird bekannt, dass Peter Emmerich, der langjährige Pressechef der Festspiele, IM bei der Stasi war. Seine Enttarnung bleibt folgenlos. Der Umbau des Familienbetriebs in ein Staatstheater bringt mit sich, dass wegen der Dienst- und Ruhezeiten der regulären Tarifverträge erstmals innerhalb der „Ring“-Zyklen, die zuvor sängerschonend jeweils zwei spielfreie Tage beinhalteten, andere Werke gespielt werden müssen. Künstlerisch ein voller Erfolg ist der neue Ratten-„Lohengrin“ unter Andris Nelsons und Hans Neuenfels mit Jonas Kaufmann in der Titelpartie, der im Jahr darauf nicht mehr engagiert wird, weil er bei nur einer Hauptprobe fehlen würde. Die einseitige Bevorzugung des neuen Fördervereins TAff durch die Festspielleiterinnen sorgt für Zoff mit den Mäzenen und Wagnerverbänden. Letztmalig steht die „Ring“-Inszenierung des Dramatikers Tankred Dorst von 2006 im Programm, der für den ursprünglich engagierten Filmregisseur Lars von Trier einsprang. Der Bayerische Rechnungshof kritisiert die Kartenvergabe, der Bundesrechnungshof wird folgen. Katharina Wagner kündigt ein Projekt an, in dem die Nazi-Vergangenheit der Familie und der Festspiele aufgearbeitet werden soll und das schon wegen der fehlenden Finanzierung im Sande verlaufen wird.
2011: Im April sagt Wim Wenders ab, der designierte „Ring“-Regisseur für das große Wagnerjubiläumsjahr 2013. Beim Presseempfang vor der Eröffnungspremiere teilt Katharina Wagner mit, dass für ihn Volksbühnenchef Frank Castorf einspringen wird. Dass die 1876 erstmals veranstalteten, aber früher nicht regelmäßig durchgeführten Festspiele mit dieser Saison zum 100. Mal stattfinden wird von den Wagner-Urenkelinnen ebenso ignoriert wie das große Liszt-Jubiläumsjahr: Es gibt kein Geburtstagskonzert für den Freund, Wegbereiter und Schwiegervater Richard Wagners. Die „Tannhäuser“-Neuinszenierung von Sebastian Baumgarten mit einer avantgardistisch gemeinten Biogasanlage, Zuschauern auf der Bühne und Pausenbespielung ist ein szenisches Debakel, aus dem sich bald auch der Dirigent Thomas Hengelbrock verabschieden wird, der als Fachmann für historische Aufführungspraxis von der Festspielleitung nicht einmal zwei Naturhörner genehmigt bekommt. Umbesetzungen bei Dirigenten und Solisten gehören nun schon zur Tagesordnung, was die Qualität der Vorstellungen deutlich mindert. Das wirkt sich auch auf den Kartenverkauf aus. Bei Katharina Wagners „Meistersinger“-Inszenierung von 2007 bleiben schon bei der Wiederaufnahme-Premiere Plätze frei.
2012: Wegen eines überstochenen Hakenkreuz-Tattoos muss Titelheld Evgeny Nikitin vier Tage vor der „Holländer“-Premiere die Segel streichen, während Katharina Wagner Jonathan Meese als „Parsifal“-Regisseur für 2016 ankündigt, der gerne auch mit Hitler-Gruß auftritt. Zur Ausstellung „Verstummte Stimmen“ gibt es kein Grußwort von den Festspielleiterinnen, die später auch den israelischen Botschafter verprellen werden. Ersatzlos gestrichen sind die Gewerkschaftsvorstellungen, als bisheriger Hauptsponsor hat sich Siemens verabschiedet, was das Aus des beliebten Public Viewings bedeutet. Als Hauptsponsor ab 2013 präsentiert Katharina Wagner Wolfgang Grupp, den Chef der Textilfirma Trigema, dessen Engagement nicht lange vorhält. Der neue „Holländer“ unter dem für Stephan Kimmig eingesprungenen Regisseur Jan Phillip Gloger ist szenisch bedeutungslos, was live auch im Kino zu erleben ist. Letztmalig steht „Parsifal“ in der Regie von Stefan Herheim auf dem Programm; die technisch anspruchsvollen Verwandlungen klappen nicht mehr, weil über ein Drittel des Technikpersonals gekündigt hat. Am Rande des Hügels rumort es, weil die Wieland-Töchter den Umgang ihrer Cousinen mit der NS-Vergangenheit und die Umbaupläne von Haus Wahnfried kritisieren. Die Festspielleiterinnen erhalten im Herbst den Eon-Kulturpreis, dessen Jury Ministerialdirigent Toni Schmid vorsteht, der Verwaltungsratsvorsitzende der Festspiele.
2013: Erstmals kann man Festspielkarten auch übers Internet bestellen. Der Festspiel-Technikdienstleister zeigt sich nicht nur im ersten Anlauf heillos überfordert. Pünktlich zum Wagner-Jubliäumsjahr ist das Festspielhaus eingerüstet und das Haus Wahnfried zugesperrt, was Schlaglichter auf die Richard-Wagner-Stiftung und den Festspiel-Verwaltungsrat wirft. Hinter allem steht der gern allmächtige Ministeriale Toni Schmid, der geschickt die opportunen Satzungsänderungen durchdrücken wird. Die Festspiele, die mit Heinz Dieter Sense jetzt auch einen Geschäftsführenden Direktor haben, realisieren als Jubliäumsgabe Wagners Frühwerke zu stolzen Eintrittspreisen in der Oberfrankenhalle. Der trashige Jubiläums-„Ring“ des „Stückezertrümmerers“ Frank Castorf sorgt für ein Buhkonzert, auf das der Regisseur arrogant reagiert. Nur Dirigent Kirill Petrenko überzeugt Kritiker und Publikum restlos. Die Fachzeitschrift „Opernwelt“ kürt Petrenko zum Dirigenten des Jahres und Aleksandar Denic zum Bühnenbildner des Jahres. Weil das gesetzliche Rentenalter auch für saisonale Mitwirkende gelten soll, sorgt eine entsprechende Mitteilung für Rumor; zu den Ausnahmen wird auch noch 2018 Verwaltungsratsvorsitzender Schmid zählen, der Katharina Wagner auf ihren Intendantenposten gebracht hat.
2014: Im Februar wird gemeldet, dass Eva Wagner-Pasquier – garantiert nicht freiwillig! – nach der Saison 2015 aus der Festspielleitung ausscheidet, noch vor Festspielbeginn wird der Vertrag für Katharina Wagner bis 2020 verlängert. Laut ersten Planungen soll die anstehende Generalsanierung des Festspielhauses mindestens 30 Millionen Euro kosten. Wegen einer technischen Panne muss bei der Eröffnung – Bundeskanzlerin Angela Merkel fehlt ausnahmsweise bei der Premiere – das Publikum für vierzig Minuten aus dem Saal geschickt werden, worauf der kurz vor der Rente stehende langjährige Technikdirektor Karl-Heinz Matitschka entlassen und „Tannhäuser“ vorzeitig aus dem Spielplan gestrichen wird. Die F.A.Z. bezeichnet die Festspielleitung nunmehr als „Bayreuther Inkompetenz-Team“, Frank Castorf liefert zusätzliche Krokodile, beklagt Zensur, unverständliche Umbesetzungen und ein Klima „wie im Osten“. Die aktuellen sogenannten Regietheater-Inszenierungen lassen die Auslandsnachfrage einbrechen, die Zahl der potenten Sponsoren und Mäzene nimmt weiter ab. Im November wird der mit viel Bohei engagierte Jonathan Meese für den „Parsifal“ 2016 wieder ausgeladen, weil sein Konzept angeblich „nicht finanzierbar“ sei. Der Selbstvermarktungskünstler kontert mit ätzender öffentlicher Kritik.
2015: Katharina Wagners angeblich noch von Vater Wolfgang in Auftrag gegebene „Tristan“-Inszenierung in Dekonstuktions-Manier stößt auf wenig Begeisterung. Der bisherige Berater Christian Thielemann wird zum Musikdirektor der Festspiele ernannt – ein Posten, den die Festspiele bisher nie gebraucht haben. Thielemann soll die Ursache eines „Hügelverbots“ für Eva Wagner-Pasquier sein, was wiederum Kirill Petrenko fast zum Ausstieg bringt und nach sich zieht, dass Anja Kampe nicht wie vorgesehen die Isolde singt. Kartensucher sind am Grünen Hügel inzwischen die Ausnahme, Bayreuth sei „on it’s way downhill“ stellt auch das Portal musicalamerica.com fest. Im Publikum, das früher eine verschworene Kennergemeinschaft war, sitzen jetzt zunehmend auch Besucher, die erstmals in Bayreuth beziehungsweise in der Oper sind. Entsprechend groß ist das Handyverbotsschild auf dem Vorhang. Auf Karten muss man nicht mehr jahrelang warten, ahnungslose Schwarzhändler bleiben auf ihren teuren Karten sogar sitzen. Letztmalig dirigiert Kirill Petrenko den „Ring“, bekommt aber nach seiner letzten „Götterdämmerung“ keinen Vorhang mit dem Orchester. Was damit zu tun haben könnte, dass die Berliner Philharmoniker ihn und nicht Thielemann zu ihrem neuen Chefdirigenten gewählt haben.
2016: Katharina Wagner ist schon länger kein Mediendarling mehr und macht sich auch sonst rar. Sie ist nicht mehr alleinige Geschäftsführerin der Festspiele GmbH: Ihr zur Seite steht seit April Holger von Berg, der vom Münchner Residenztheater auf den Grünen Hügel wechselt. Aufgrund einer Selbstbewerbung darf Uwe Eric Laufenberg sein für die Oper Köln geplantes Regiekonzept des „Parsifal“ in Bayreuth umsetzen und sorgt selbstgefällig wegen angeblicher Islamkritik und durch Kritikerschelte für Schlagzeilen. Die geistige Substanz seiner Inszenierung ist minimal, umso größer sind die Sicherheitsmaßnahmen rund um das teils eingezäunte Festspielhaus, das man mit dem Auto nicht mehr direkt anfahren und in den Pausen auch nicht mehr als Fußgänger umrunden kann. Bejubelt werden nach der plötzlichen Absage von Dirigent Andris Nelsons der eingesprungene Hartmut Haenchen und Klaus Florian Vogt in der Titelrolle, anstelle von Kirill Petrenko dirigert der 77jährige Marek Janowski den „Ring“, der im Pay TV präsentiert wird. Für Schlagzeilen sorgen von Wolfgang Wagner gedrehte Filme aus der NS-Zeit. Erstmals haben die Festspiele offiziell nicht alle Tickets verkauft, erstmals wird spekuliert, dass nach 2020 der derzeitige Staatsopernchef Nikolaus Bachler aus München Festspielintendant werden könnte.
2017: Festspielkarten – ob regulär bestellt oder im Online-Sofortverkauf – sind sukzessive teurer geworden. Für Neuinszenierungen im Premierenjahr gibt es sogar gestaffelte Preise. Die teuersten Tickets für den Eröffnungstag kosten jetzt 400 Euro und in den späteren Vorstellungen maximal 368 Euro, die günstigsten Hörplatze liegt jetzt bei 13 bzw. 12 Euro. Am Tag vor der Eröffnung findet nach den üblichen Wagnerclan-internen Querelen im Festspielhaus ein von Hartmut Haenchen dirigiertes Gedenkkonzert für Wieland Wagner statt, der im Januar hundert Jahre alt geworden wäre. Die „Meistersinger“-Neuinszenierung von Barrie Kosky, in der Wagners Antisemitismus thematisiert wird, gelingt großartig – unter der musikalischen Leitung von Philippe Jordan und mit einer herausragenden Solistenriege, angeführt von Michael Volle als Sachs und Johannes Martin Kränzle als Beckmesser. Letztmalig steht der Castorf-„Ring“ auf dem Programm und wird am Ende mit viel Jubel und der Gewissheit verabschiedet, dass es in 2018 noch ein Wiedersehen mit der „Walküre“ geben wird. In der von Marie Luise Maintz kuratierten neuen Veranstaltungsreihe „Diskurs Bayreuth“ beschäftigen sich die Festspiele ausführlich mit ihrer braunen Vergangenheit. Das Symposium und die Konzerte in Wahnfried sind hochkarätig besetzt.
2018: Zum Probenbeginn sagt der nicht textfeste Tenor Roberto Alagna ab, Pjotr Beczala springt ein. Die „Lohengrin“-Neuinszenierung in der blauen Ausstattung des Künstlerpaares Neo Rauch und Rosa Loy floppt, weil der für Alvis Hermanis eingesprungene Regisseur Yuval Sharon es nicht schafft, aus dem schon Vorgegebenen szenische Funken zu schlagen. Christian Thielemann leitet erstmals den „Lohengrin“ in Bayreuth und ist nach Felix Mottl der zweite Mann im Graben, der alle Werke des Festspielrepertoires dirigiert hat. Anstelle von Hartmut Haenchen übernimmt Semyon Bychkov das „Parsifal“-Dirigat. Rundherum überzeugend ist neben den „Meistersinger“-Aufführungen nur noch die zweite Diskurs-Auflage – diesmal zum Thema „Verbote (in) der Kunst“ und mit der ersten Festspiel-Uraufführung seit 1882: Die Oper „der verschwundene hochzeiter.“ von Klaus Lang wird allerdings nicht im Festspielhaus, sondern im ehemaligen Reichshof-Kino gezeigt. Als unrühmlich erweist sich die Rekordsucht des früheren Startenors Plácido Domingo, der als erster Bayreuth-Sänger auch als Dirigent wirken darf – in einer dreimal solo aufgeführten „Walküre“, was im eigens für den „Ring“ gebauten Festspielhaus ein nicht zu rechtfertigender Tabubruch ist. Domingo wird ausgebuht, die mitverantwortliche Festspielleitung mangels Möglichkeit leider nicht.
Nachtrag 1: Im gegebenen Zeitraum festigt Katharina Wagner auch als Regisseurin an anderen Bühnen ihren Ruf als Absagenkönigin. 2012 steigt sie wegen angeblich unzulänglicher Probebedingungen vier Wochen vor der Premiere aus einem als Instant-„Ring“ bezeichneten Projekt in Buenos Aires aus. Die von Cord Garben musikalisch um die Hälfte verkürzte „Ring“-Tetralogie wird stattdessen von der einspringenden Regisseurin Valentina Carrasco in der vorgegebenen Ausstattung realisiert. Das Teatro Colon sagt später von sich aus eine für 2015 geplante „Parsifal“-Inszenierung durch Katharina Wagner ab. Eine ursprünglich für Juni 2017 zugesagte Neuinszenierung der Wagner-Urenkelin am Nationaltheater Prag scheitert aus Sicht Katharina Wagners an den technischen Beschränktheiten des Hauses. Stattdessen kassiert sie dafür, dass sie mit zwei vorhandenen Regiebüchern aus dem Nachlass ihres Vaters die fünfzig Jahre alte „Lohengrin“-Inszenierung Wolfgang Wagners von 1967 rekonstruiert. Ende 2017 folgt der nächste Ausstieg: Die an der Oper Leipzig geplante Premiere von Wagners „Tannhäuser“ in der Regie von Katharina Wagner wird „aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten“ abgesagt. Geplant war eine Überarbeitung jener Inszenierung, die Katharina Wagner im Sommer 2009 auf ihrer bevorzugten Urlaubsinsel Gran Canaria in drei Vorstellungen präsentierte. Die Oper Leipzig zeigt seit März 2018 stattdessen die schon andernorts gespielte, übrigens sehenswerte „Tannhäuser“-Inszenierung von Calixto Bieito, will es aber nochmal mit der Wagner-Urenkelin versuchen, was womöglich unterstreicht, wie gern Opernchef Ulf Schirmer in Bayreuth dirigieren würde: Voraussichtlich im November 2020 soll Katharina Wagners „Lohengrin“-Inszenierung in Leipzig Premiere haben, ein Werk, das sie erstmals 2004, unterstützt von ihrem damaligen Dramaturgen Robert Sollich, in Budapest realisiert hat.
Nachtrag 2: Dass man das alles natürlich auch ganz anders sehen kann, ist klar. Deshalb verweise ich gerne auf die beiden Bilanz-Artikel, die vor Beginn der Festspielzeit erschienen sind: Der erste ist von Manuel Brug, Feuilleton-Mitarbeiter der „Welt“ und unter anderem Moderator der aktuellen Podcast-Folgen der Festspiele. In dem kostenpflichtigen Artikel „Die erste Dekade“ fällt in der Druckversion zunächst die Bebilderung auf. Als Eye-Catcher fungiert ein Szenenfoto des Ratten-„Lohengrin“, der im Bildtext als einer der Höhepunkte der Amtszeit Katharina Wagners beschrieben wird, obwohl sie und ihre Halbschwester Eva Wagner-Pasquier in ihren ersten Amtsjahren nicht müde wurden, immer wieder zu behaupten, dass bis 2015 praktisch alles noch von Wolfgang Wagner geplant worden sei. Dass mit dem Bildtext zum dpa-Foto Katharinas aus dem Jahr 2012 dann suggeriert wird, es zeige die inzwischen 40-jährige Wagner-Urenkelin, kann man dem zuständigen Blattmacher vorwerfen. Aber dass auch in der korrigierbaren Netzversion ein Katharina-Foto gezeigt wird, das sichtlich nicht aktuell ist, lässt zumindest ansatzweise an Fake-News denken. Brug stellt in weiteren Artikeln zum und nach dem Festspielauftakt fest, dass „Katharina Wagner walkürenfelsenfest im Chefinnensattel sitzt“, „im Prinzip auch bereits nach bisherigem Vertragsende 2020“. Woher er das weiß? Vermutlich von der Chefin selber, oder? Letztere dürfte ich, wenn Reinhard J. Brembeck und seinem Profil-Kommentar vom 24. Juli in der Süddeutschen Zeitung glauben wollte, schwer verkannt haben. Denn der SZ-Kritiker hat ein Porträt der Festspielleiterin verfasst, in dem er das Kunststück schafft, Katharina Wagner mit dem Feminismus auf einen Nenner zu bringen. Immerhin kündigt er ausführlich an, dass den nächsten „Ring“ in Bayreuth nicht etwa Katharina Wagner „endlich selbst“ inszenieren wird, sondern – als angeblich erste Frau (war Cosima keine?) – Tatjana Gürbaca. Woher er das weiß? Womöglich von Toni Schmid, der unter anderem bei der SZ als Journalist arbeitete, bevor er ins Kultusministerium wechselte, sich dort schnell als eigentlicher Macher der Kulturpolitik in Bayern erwies und längst im Pensionsalter nach wie vor unter anderem als Verwaltungsratsvorsitzender der Festspiel-GmbH agiert? Wie auch immer: Tatjana Gürbaca ist eine Regisseurin, die ihr Handwerk versteht, was ihr schon früh Auszeichnungen einbrachte. Im Jahr 2000 gewann sie den renommierten Ring Award in Graz, 2013 wurde sie von der internationalen Fachzeitschrift Opernwelt zur Regisseurin des Jahres gekürt - und ihre „Parsifal“-Inszenierung in Antwerpen zur Aufführung des Jahres, die darüber hinaus 2014 in London als „Beste Opernproduktion“ mit dem International Opera Award prämiert wurde. 2016/17 erarbeitete sie in Antwerpen und Gent mit dem „Fliegenden Holländer“ und in Essen mit „Lohengrin“ zwei weitere Repertoirewerke von Richard Wagner. Am Theater an der Wien brachte Gürbaca zuletzt mit dem Dirigenten Constantin Trinks eine eigene „Ring“-Fassung heraus, die als Trilogie Wagners Tetralogie aus der Perspektive von Hagen, Siegfried und Brünnhilde erzählte. Man darf also gespannt sein!
Erstveröffentlichung dieser Bilanz in einer kürzeren Version am 30. August im Feuilleton des Fränkischen Tags
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