Die Zeit der Neujahrsempfänge geht zu Ende, und es lohnt sich, zumindest einen Blick auf den des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer zu werfen. Die Fotos dazu hat beispielsweise die Münchner Abendzeitung online gestellt. Vor allem Bild Nr. 2 der Fotostrecke hat es in sich. Michael Graeter, der reale Münchner Baby Schimmerlos, schreibt dazu: „Fotoscheu geben sich zwei Damen aus Bayreuth – Festspiel-Chefin Katharina Wagner und ihre Schwester Eva, deren Outfit-Berater nicht seinen besten Tag gehabt hat.“
Hat er nur den Outfit-Berater von Eva Wagner-Pasquier (68) gemeint oder auch den von Katharina Wagner (35)? Ich tippe ich eher auf beide. Und möchte behaupten: Weder die eine noch die andere – was sichtlich ein Fehler war – hat sich vor der Münchenfahrt beraten lassen. Sonst hätten sie sich dem Anlass entsprechend angezogen, geschminkt und aufgebrezelt wie vermutlich mindestens 98 Prozent der schätzungsweise 500 anwesenden Damen.
Normalerweise würde ich kein Wort auf das Äußere der beiden Festspielleiterinnen verwenden. Aber was ist schon normal in Zusammenhang mit den Wagnerschwestern? Normal wäre, dass sie im Rahmen ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerinnen der Bayreuther Festspiele GmbH unter anderem auch angemessen ihren Repräsentationspflichten nachkommen. Das öffentliche Repräsentieren gehört zweifellos mit zu den Aufgaben eines Festspielleiters, zumal wenn es um eine Veranstaltung eines, wenn nicht des wichtigsten Geldgebers und Verbündeten geht.
Dass Horst Seehofer zu letzteren zählt, versteht sich von selbst. Nicht nur, weil der Freistaat Bayern einer der vier Gesellschafter der Festspiel-GmbH und auch sonst freigebig ist, wenn es um Belange des Wagnerfestivals geht. Sondern weil der Freistaat in seiner Ministerialbürokratie jenen Mann beschäftigt, der seit über einer Dekade unter welchem Minister auch immer stets die Strippen zugunsten der Interessen der Wolfgang-Wagner-Familie zu ziehen scheint. Toni Schmid ist intern offenbar so überzeugend, dass der Ministerpräsident samt Gattin selbst dann mit den Wagnerschwestern posiert, wenn diese etwas aus dem festlich gesetzten Rahmen fallen.
Ja, mehr noch: Bei seinem letzten, mit Laserlichtspielen und großem Geburtstagskuchen angereicherten Staatsempfang in Bayreuth war Seehofer sich nicht zu schade, vor den versammelten, zum Teil hochrangigen Gästen die Abwesenheit der Festspielleiterinnen zu entschuldigen, weil sie wegen der unmittelbar nach der Premiere zu erfolgenden Nachdreharbeiten der „Holländer“-Aufzeichnung der Neuinszenierung aus dem Vorjahr unabkömmlich seien.
Wie bitte? Was haben Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier beim Nachdreh zur Regiearbeit eines Dritten so Wichtiges zu tun, dass sie ihren von vielen erwarteten Auftritt beim Staatsempfang sausen lassen? Hätte das Führungsduo, wenn es denn überhaupt eine Notwendigkeit gegeben haben soll, die die Anwesenheit einer Festspielleiterin erfordert hätte, hier nicht Aufgabenteilung betreiben können, ja müssen? Wozu hat man denn inzwischen drei Geschäftsführer? Damit keiner das tut, was tunlichst erwartet wird?
„Keiner von den Wagners da?“ übertitelte denn auch Eleonore Büning in der F.A.Z. über ihren Bericht zum Auftakt der Festspiele 2013 und beschrieb die ehrliche Sorge der Bayreuther Presse und vom Rest der Wagner-Welt, „dass niemand verlässliche Angaben machen kann über Kleider und Frisuren von Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner“. Und weiter:
Ausgerechnet im Jubeljahr, zum zweihundertsten Geburtstag ihres Urgroßvaters, zeigten sich die festspielleitenden Schwestern nicht winkend an der Seite der politischen Gäste in der Öffentlichkeit. „Von den Wagners ist wohl heute keiner da!?“, ruft ein Fotograf an der Absperrung enttäuscht, als sich die Türen zum Festspielhaus schließen und die Vorstellung beginnt. Man sollte ihn nicht auslachen. Hatte nicht Katharina noch am Morgen im „Kurier“-Interview verkündet: „Wir sind da, wenn wir gebraucht werden“? Wann und wo, wenn nicht hier und heute, werden die beiden gebraucht? Eine Hauptaufgabe der Festspielleitung in Bayreuth besteht zweifellos darin, die Finanzierung dieses nur fünfwöchigen, auf nur einen einzigen Komponisten spezialisierten Sommerfestivals zu sichern. Sie ist deshalb ebenso dringend angewiesen auf das Wohlwollen der steuerzahlenden Öffentlichkeit, wie sie den Zuspruch der Politiker benötigt, die den Löwenanteil des Festspieletats bestreiten, teils aus dem Säckel des Bundes, teils aus dem des Freistaats Bayern. Diese Kausalität ist leicht zu begreifen, Lächeln oder Winken sind ja ebenfalls keine allzu komplexen Arbeitsvorgänge.
Zum Bayreuther Staatsempfang sind die fotoscheuen Festspielleiterinnen übrigens später dann doch noch gekommen – und gleich in jene der Öffentlichkeit verwehrten Räume enteilt, wo sich ein handverlesener illustrer kleiner Kreis um Gastgeber Host Seehofer und Bundeskanzlerin Angela Merkel versammelt hatte. Beim Eintreffen vor dem Neuen Schloss konnte ein Team des Bayerischen Rundfunks sie immerhin filmen, ohne gleich des Platzes verwiesen zu werden. Und ich habe geknipst.
Warum ich die Geschichte der vermeintlichen Fotoscheu jetzt erzähle? Weil sie doch einiges aussagt über die Beteiligten – über die Festspielleiterinnen, die es sich, wie es scheint, zur Gewohntheit gemacht haben, das Repräsentieren möglichst ganz sein zu lassen und die Öffentlichkeit meiden wie die Pest (was sie eindrucksvoll auch beim Geburtstagsempfang am 21. Mai 2013 in der Bayreuther Stadthalle praktiziert haben). Und über den Ministerpräsidenten, der sich wenigstens in einem Punkt mit Ludwig II., dem berühmtesten aller Bayern-Herrscher, gewissermaßen endlich auf Augenhöhe befindet: 1866 hat der Wittelsbacherkönig eine von Richard Wagner verfasste Ehrenerklärung für Hans von Bülow, dessen Frau Cosima und letztlich Wagner unterzeichnet, in der er die drei gegen alle, tatsächlich nur zu wahren Ehebruchsgerüchte in Schutz nahm. Was bekanntlich nichts anderes als eine nicht besonders gelungene Notlüge war.
Auf dem jüngsten gemeinsamen Foto trägt Horst Seehofer übrigens nicht nur einen „tadellosen Smoking“, sondern dazu den bayerischen Verdienstorden. Wollen wir wetten, dass aus dem bayerischen Kunstministerium längst der Vorschlag eingegangen ist, so schnell wie möglich auch die Festspielleiterinnen mit dieser Auszeichnung zu garnieren? Wegen ihrer mirakulösen Verdienste um die Bayreuther Festspiele? Damit auch der letzte Nörgler – ganz zu schweigen von Nörglerinnen! – merkt, was Sache ist?
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