Der unvollendete Sängerkrieg

Am 13. April 1845 schloss Ri­chard Wag­ner erst­mals die Par­ti­tur sei­ner Oper „Tann­häu­ser“ ab, von der es nach un­ter­schied­lich in­ten­si­ven Än­de­run­gen und Um­ar­bei­tun­gen meh­re­re Ver­sio­nen gibt – nur kei­ne, mit der er selbst zu­frie­den war.
„Tannhäuser“-Postkarte aus dem Wag­ner-Ju­bil­ums­jahr 1913 Vor­la­ge: Originalkarte

„Es ge­lang mir“, schreibt Ri­chard Wag­ner in sei­ner Au­to­bio­gra­fie, „durch äu­ßers­ten Fleiß und durch Be­nut­zung der frü­hes­ten Mor­gen­stun­den selbst im Win­ter, die be­reits am Ende des ver­gan­ge­nen Jah­res be­en­dig­te Kom­po­si­ti­on des Tann­häu­ser bis im April auch schon in der Par­ti­tur aus­zu­füh­ren. Für die Nie­der­schrift der In­stru­men­ta­ti­on hat­te ich mir eine be­son­de­re Schwie­rig­keit da­durch be­rei­tet, dass ich die­se zum Zwe­cke der Au­to­gra­phie­rung so­gleich auf das hier­zu nö­ti­ge be­son­ders prä­pa­rier­te Pa­pier mit all der hier­zu er­for­der­li­chen Um­ständ­lich­keit aus­führ­te. Ich ließ jede Sei­te so­fort auf Stein ab­dru­cken und in 100 Ex­em­pla­ren ab­zie­hen in der Hoff­nung, von die­sen Ex­em­pla­ren ei­nen zweck­mä­ßi­gen Ge­brauch für die schnel­le Ver­brei­tung mei­nes Wer­kes ma­chen zu kön­nen. Moch­te die­se Hoff­nung nun in Er­fül­lung ge­hen oder nicht, je­den­falls war ich jetzt um 500 Ta­ler, wel­che die Her­stel­lung die­ser Ex­em­pla­re kos­te­te, ärmer.“

Ein au­ßer­ge­wöhn­li­ches Ver­fah­ren, denn die 450 Sei­ten um­fas­sen­de Ori­gi­nal­vor­la­ge wur­de durch die li­tho­gra­fi­sche Ver­viel­fäl­ti­gung zer­stört. „Der Be­sitz die­ses Ex­em­pla­res“, steht im 100-fa­chen Par­ti­tur-Erst­druck, „gie­bt nur dann ein Recht zur öf­fent­li­chen Auf­füh­rung der Oper, wenn eine be­son­de­re nach­weis­li­che Ei­ni­gung mit dem Com­po­nis­ten vor­an­ge­gan­gen ist.“ Kurz ge­sagt: Wag­ner ris­kier­te mit dem Druck im Selbst­ver­lag viel, setz­te ein Drit­tel sei­nes Jah­res­ge­halts als Dres­de­ner Hof­ka­pell­meis­ter ein, um sei­ne ers­te neue Oper seit dem Flie­gen­den Hol­län­der so schnell wie mög­lich auf den Markt zu bringen.

„Ich hat­te mit die­ser Ar­beit“, so Wag­ner rück­bli­ckend, „ei­nen neu­en Ent­wi­cke­lungs­weg in der mit dem flie­gen­den Hol­län­der ein­ge­schla­ge­nen Rich­tung zu­rück­ge­legt. Mit mei­nem gan­zen We­sen war ich in so ver­zeh­ren­der Wei­se da­bei thä­tig ge­we­sen, dass ich mich ent­sin­nen muss, wie ich, je mehr ich mich der Be­en­di­gung der Ar­beit nä­her­te, von der Vor­stel­lung be­herrscht wur­de, ein schnel­ler Tod wür­de mich an die­ser Be­en­di­gung ver­hin­dern, so dass ich bei der Auf­zeich­nung der letz­ten Note mich völ­lig froh fühl­te, wie als ob ich ei­ner Le­bens­ge­fahr ent­gan­gen wäre.“

Die Ent­wi­cke­lung des „Tann­häu­ser“ war da­mit noch lan­ge nicht zu Ende. Be­reits nach der Ur­auf­füh­rung vom 19. Ok­to­ber 1845 in Dres­den be­gann Wag­ner mit der ers­ten Um­ar­bei­tung, schon für die zwei­te Vor­stel­lung am 27. Ok­to­ber 1845 hat­te er das Fi­na­le des 1. und 2. Ak­tes ge­kürzt und die Ein­lei­tung zum 3. Akt ge­än­dert. Ins­ge­samt un­ter­schei­det das Wag­ner-Werk-Ver­zeich­nis für den „Tann­häu­ser“ vier Sta­di­en der Ent­ste­hungs­ge­schich­te. Es gibt also nicht nur die Dresd­ner Ur­fas­sung, son­dern Ver­sio­nen bis zum ers­ten Druck der Par­ti­tur 1860, die Pa­ri­ser Fas­sung zur dor­ti­gen In­sze­nie­rung von 1861 mit der gro­ßen Bac­chanal­sze­ne so­wie jene bis zu der letz­ten von Wag­ner ein­stu­dier­ten Wie­ner Auf­füh­rung von 1875. Sein Nach­den­ken über den „Tann­häu­ser“ in­des hör­te nie auf. Am 23. Ja­nu­ar 1883 no­tier­te Co­si­ma Wag­ner in ihr Ta­ge­buch: „Abends Plau­de­rei, wel­che R. mit dem Hir­ten­ge­sang und Pil­ger­chor aus Tann­häu­ser be­schließt. Er sagt, er sei der Welt noch den Tann­häu­ser schuldig.“

Aus dem Um­feld Wag­ners schält sich ak­tu­ell noch Alex­an­der Rit­ter her­aus, der am 12. April 1896 in Mün­chen ge­stor­ben ist. Der am 15. Juni vor 180 Jah­ren in Nar­wa ge­bo­re­ne Gei­ger und Kom­po­nist war ein Sohn der müt­ter­li­chen Wag­ner-Freun­din und Gön­ne­rin Ju­lie Rit­ter, er­leb­te in Dres­den als Zehn­jäh­ri­ger Vor­stel­lun­gen von „Ri­en­zi“ und dem „Flie­gen­den Hol­län­der“ un­ter der Lei­tung des Kom­po­nis­ten, lern­te Wag­ner 1846 per­sön­lich ken­nen und blieb ihm zeit­le­bens ver­bun­den. Am 12. Sep­tem­ber 1854 hei­ra­te­te er Fran­zis­ka Wag­ner, eine in Würz­burg auf­ge­wach­se­ne Toch­ter von Wag­ners äl­te­rem Bru­der Al­bert, die als Schau­spie­le­rin in ih­rer Ge­burts­stadt de­bü­tier­te und be­reits drei Jah­re am Schwe­ri­ner Hof­thea­ter ge­spielt hat­te, wo sie auch spä­ter noch auf­trat. Von 1863 an leb­ten Alex­an­der und Fran­zis­ka Rit­ter neun­zehn Jah­re in Würz­burg und wirk­ten zu­nächst un­ter an­de­ren ge­mein­sam am dor­ti­gen Theater.

1882 be­rief Hans von Bülow den Mu­si­ker als 2. Kon­zert­meis­ter an die Mei­nin­ger Hof­ka­pel­le, 1883, 1884 und 1886 war Alex­an­der Rit­ter Gei­ger bei den Bay­reu­ther Fest­spie­len. Nach Bülows Rück­zug 1886 folg­te er Ri­chard Strauss nach Mün­chen, den er – zu­sam­men mit wei­te­ren jun­gen Kom­po­nis­ten – nach­hal­tig be­ein­fluss­te und för­der­te. Als Kom­po­nist schuf Rit­ter sym­pho­ni­sche Dich­tun­gen in der Tra­di­ti­on Franz Liszts, die ko­mi­schen Opern­ein­ak­ter „Der fau­le Hans“ (1878) und „Wem die Kro­ne“ (1889) so­wie früh­im­pres­sio­nis­tisch klin­gen­de Lie­der. Rit­ter starb ein Jahr nach dem Tod sei­ner Frau und nur ei­nen Mo­nat nach sei­nem größ­ten mu­si­ka­li­schen Tri­umph, der Auf­füh­rung der „Sturm- und Drang-Fan­ta­sie“ Sursum Corda un­ter der Lei­tung von Ri­chard Strauss in München.

Die Fa­mi­lie von Ri­chard Wag­ners Bru­der Al­bert (von links) Jo­han­na (die spä­te­re Wag­ner­sän­ge­rin Jo­han­na Jach­mann-Wag­ner), Ma­rie, Al­bert und Eli­se Wag­ner so­wie ganz rechts und in der Ab­bil­dung un­tern Fran­zis­ka (die eben­falls Sän­ge­rin wer­den soll­te und Alex­an­der Rit­ter hei­ra­te­te). Vor­la­ge: „Ri­chard Wag­ner uns sei­ne ers­te Eli­sa­beth Jo­han­na Jachmann-Wagner“

Die bei­den Rit­ters wa­ren im­mer wie­der da­bei, wenn es wich­ti­ge Wag­ner-Auf­füh­run­gen gab oder wenn Wag­ner re­zi­tier­te oder di­ri­gier­te – un­ter an­de­rem bei sei­nem Kon­zert für den ers­ten Wag­ner Kon­zert für den ers­ten Wag­ner­ver­ein 1871 in Mann­heim, bei den Vor­be­rei­tun­gen und Fei­er­lich­kei­ten sei­nes 60. Ge­burts­tags in Bay­reuth. Zu­vor, am 9. März 1873, schrieb Wag­ner Alex­an­der Rit­ter, sei­nem „theu­ren Nef­fen“, fol­gen­den Brief:

Ich er­su­che Dich auf das al­ler­ernst­lichs­te, mit ei­nem er­fah­re­nen Rath­ge­ber an der Hand, mir ei­nen ge­eig­ne­ten Tisch­wein (weiss) un­ter dem Würz­bur­ger Ge­wächs aus­zu­su­chen. Man sagt mir, der „Klos­ter­gar­ten“ be­sit­ze und pro­du­zi­re ei­nen wirk­lich leich­ten Tisch­wein. Von die­sem schi­cke mir zur Pro­be 12 Fla­schen. Der Ab­sen­der soll Post­vor­schuss dar­auf neh­men. Ich bin näm­lich zu der Ueber­zeu­gung ge­kom­men, dass ich seit län­ge­rer Zeit un­ter dem Ti­tel Rhein­wein nur ge­mach­tes und ge­fälsch­tes Zeug trin­ke. Wo­ge­gen der Würz­bur­ger, sei­ner Un­be­liebt­heit we­gen, im Rufe steht, we­nigs­tens rein und un­ge­fälscht vor­ge­setzt zu wer­den. Gott seg­ne Dich! In Eile und Noth Dein er­ha­be­ner On­kel R. Wagner.

Und wer mag, darf jetzt zu den Klän­gen des am 14. April 1871 ur­auf­ge­führ­ten Kai­ser­mar­sches ein Glas Würz­bur­ger Wein auf die Ge­burts­ta­ge der in Ober­war­men­stein­ach bzw. Bay­reuth ge­bo­re­nen Wag­ner-Ur­en­kel Eva Wag­ner-Pas­quier (14. April 1945) und Gott­fried Wag­ner (13. April 1947), die zwei Kin­der von El­len und Wolf­gang Wag­ner, heben.

Erst­ver­öf­fent­li­chung 2013 in dem Blog Mein Wag­ner-Jahr

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